Auf der Voralb-Prärie: Die „Stallhexen“ aus Köngen/Denkendorf vor der Kulisse des Breitensteins. Drei Tage sind sie über die Alb geritten. Fotos: Kaier Quelle: Unbekannt

Von Melissa Seitz und Roland Kurz

Es riecht nach frischem Heu. Die Pferde wiehern und ein angenehmes Lüftchen zieht durch die Ritzen des alten Schuppens - für Pferdefreunde der Himmel auf Erden. Dieser Himmel befindet sich mitten in Bissingen, hinter dem Bauernhaus von Tatjana Richter. Vor etwa 20 Jahren hat sich die passionierte Reiterin den Stall eingerichtet. „Ich habe mir einen Mädchentraum erfüllt. Meine Pferde stehen sozusagen auf meiner Terrasse“, erzählt sie. Im Hinterhof können sich ihre Schützlinge frei bewegen. Sie stehen nicht den ganzen Tag in Boxen, sondern haben einen großen, eingezäunten Bereich für sich. Seit zwei Jahren gehört die „Villa Richter“, wie der Hof von der Familie genannt wird, außerdem zu den 14 Wanderreitstationen im Verein „Mittlere Alb zu Pferde“.

Für Tatjana Richter war schon immer klar: „Wenn ein Pferd nicht auf die Koppel kann, dann ist das kein richtiges Pferdeleben.“ Deswegen heißt es ab Mai für ihre Schützlinge: raus in die Sonne und auf die Wiese, ganz in der Nähe der „Villa Richter“. Der leere Stall brachte eine Freundin der Hofbesitzerin auf eine Idee. „Sie erzählte mir von dem Verein ‚Mittlere Alb zu Pferde‘ und schlug mir vor, in dem Schuppen über meiner Sattelkammer eine Wanderreitstation einzurichten.“ Die Pferde der Wanderreiter könnten dann im leeren Auslauf oder im Stall die Nacht verbringen.

Die Bissingerin ist früher selbst mit ihrem Pferd von Ort zu Ort geritten. „Damals bin ich noch mit einer Karte geritten und hatte keine Ahnung, wo ich die Nacht verbringen werde“, erinnert sich Tatjana Richter. Wanderreitstationen zu finden, sei damals nicht so einfach gewesen. Not machte dann erfinderisch: „Einmal musste ich meine Pferde in einer Garage unterbringen“, erzählt sie.

Park & Ride

Am Freitagnachmittag fahren Susanne Wunderwald aus Denkendorf, ihre Tochter Emmy sowie drei Freundinnen mit ihren Pferden in der „Villa Richter“ vor. „Stallhexen“ nennt sich die Truppe, die ihre fünf Vierbeiner auf einem der Wangerhöfe in Köngen stehen haben. Übers Wochenende wollen sie eine Albtour machen. Sie lassen es gemütlich angehen. Ein kleiner Ausritt zum Fotoshooting, dann beziehen sie ihre Unterkunft.

Im Hinterhof, direkt neben dem offenen Stall, führt eine hölzerne Treppe auf den Dachboden der Sattelkammer. „Das war früher ein Hühnerstall“, sagt Tatjana Richter. „Bevor wir alles umgebaut haben, sah es hier schlimm aus.“ Die Hühnerstangen und Legestellen sind gewichen. Dafür hat man das Gefühl, in ein uriges Bauernhaus einzutreten. Alles ist rustikal eingerichtet, die Möbel sind aus Holz, an den Wänden hängen Hufeisen und am Eingang steht ein altes Wagenrad. Fast alles im Raum ist nach dem Motto „Do it yourself“ entstanden. Darauf legt Tatjana Richter Wert: „Ich möchte, dass die Wanderreitstation einfach gestaltet ist, meine Gäste sich aber trotzdem wohlfühlen.“ Das Bett und den Esstisch hat sie aus Paletten zusammengebaut. Auch das Dach besteht aus Paletten, aus 70 Stück. „Die sind einfach genial“, sagt Richter und klopft auf den selbst gebauten Tisch.

Das Einzige, was in diesem Raum nicht aus Holz ist, ist die kleine Küchennische. Tatjana Richter erzählt: „Viele Wanderreiter sind richtig ausgestattet für ihre Reise. Sie haben eigene Pfännchen dabei und kochen für sich abends.“ Die Köngener „Stallhexen“ lieben es komfortabler und lassen sich abends von Tatjana Richter ein Vesper servieren. Auch die Tiere - ein Araber, zwei irische Tinker, ein Konik, ein Arbeitspferd aus Polen, und ein Kleinpferd, ebenfalls aus Polen - sind gut versorgt, für zwölf Euro pro Nase.

Die Reiterinnen haben von oben einen guten Blick auf ihre Pferde - durch ein Holzfenster mit einem Ast als Griff. „Auf diese Idee hat mich mein Nachbar gebracht, er ist Künstler“, erzählt Tatjana Richter. Er hat ihr auch den Tipp für die Wandverkleidung mit Rosshaar gegeben. „Anfangs habe ich die Wand mit eigenem Lehm und Heu bedeckt“, erklärt die Bissingerin. „Mein Nachbar riet mir dann, die Haare meiner Pferde mit einzuarbeiten. Das Verstreichen ging einfacher und die Masse hielt besser.“ In der „Villa Richter“ wird nichts weggeworfen, mit etwas Kreativität findet hier alles Verwendung. Aus bunten Badfliesen puzzelt Tatjana Richter hinter der Küchenzeile gerade eine Mosaik-Wand.

Reiter sollen ihrem Pferd auf dem Bissinger Hof ganz nah sein. Ein Blick aus dem Fenster genügt, um sich zu vergewissern, dass es dem Tier gut geht. Nur die Treppe hinunter und man steht neben dem offenen Stall. „Natürlich kann das Pferd auch auf der Koppel übernachten, aber meine Gäste finden es meistens schöner, nachts direkt bei ihrem Pferd zu schlafen“, sagt Richter. Die Wanderreiterei hält sie für eine besondere Sparte des Reitens: „Dadurch entwickelt sich eine besondere Beziehung zwischen dem Pferd und dem Reiter.“

Ritt durchs Gewitter

Am Samstagmorgen satteln die „Stallhexen“ auf. 400 Höhenmeter sind zu bewältigen. „Für Natham, meinen Tinker, war der Albaufstieg eine ganz schöne Herausforderung“, erzählt Susanne Wunderwald später. Oben durften die Tiere erst mal auf einer Wiese ausruhen und grasen. In Schopfloch fand sich ein freundlicher Mann, der den Pferden einen Eimer Wasser spendierte. Während der Rast am Harpprechthaus des DAV zogen dunkle Gewitterwolken auf. „Das kommt beim Wanderreiten vor“, meint Susanne Wunderwald, „dann heißt es eben Regenzeug raus, Augen zu und durch.“ Nach sieben Stunden und etwa 26 Kilometern gelangte die Truppe zur zweiten Wanderreitstation, dem Lindenhof Straub in Feldstetten.

Stolperer nicht gefragt

Am Sonntagmorgen wachen die Reiterinnen wieder bei Regenwetter auf. Erst als es nachlässt, brechen sie auf. Sie haben sich nur 18 Kilometer Strecke vorgenommen. Picasso, der Araber von Marion Triebe, gibt das Tempo vor, die anderen versuchen, mitzuhalten. Am Filsursprung vorbei geht es bei Wiesensteig zum Bläsiberg hoch. Den Aufstieg hat Susanne Wunderwald vorher mit ihrem Mann zu Fuß erkundet. Der eigentlich vorgesehene Weg erschien ihnen zu steil. Wanderreiten ist vor allem auf regennassen Wegen nicht ganz ohne Risiko. „Man braucht ein trittsicheres Pferd, keinen Stolperer“, meint die Denkendorferin. Sie hat schon zehn Touren mit ihrem Pferd gemacht, auch im Schwarzwald. Sie empfiehlt eine gute Vorbereitung, die Einheimischen zur Route zu befragen und vielleicht zum Einstieg eine geführte Tour zu buchen. Auch der Gepäcktransport in einem Begleitfahrzeug erleichtert das Unternehmen.

Mit einfachen Unterkünften muss der Wanderreiter zufrieden sein. Auf dem Rosenhof - er zählt noch nicht offiziell zu den Reitstationen - können die Reiter eigentlich kein Essen mitbuchen. Doch die Mutter von Hofchefin Sarah Frohnmayer wirft spontan ein paar Steaks auf den Grill und zaubert noch einen Salat hinzu. Geschlafen wird dann im Schlafsack und im Stroh - so wie die Pferde.

Wanderreiterstationen

14 Wanderreitstationen sind inzwischen Mitglied im Verein „Mittlere Alb zu Pferde“. Diese Form des „sanften Tourismus“ entwickle sich gut, sagt die Vorsitzende Julia Krüger aus Mehrstetten. „Die Leute merken, dass es eine schöne Art ist, die Landschaft in Ruhe zu entdecken.“

Zwei Höfe bieten auch Touren für Reiter ohne eigenes Tier an. Personen mit wenig oder keiner Reiterfahrung empfiehlt Julia Krüger das Trekking mit Pferd oder Muli. Dabei werden die Tiere geführt.

Der Verein gibt ein Infoblatt mit Karte und Adressen heraus und hat Kriterien für die Höfe aufgestellt.

Die Unterkünfte sind in der Regel einfach ausgestattet. Für Pferde zahlt man 10 oder 12 Euro, die Reiter selbst übernachten ab 14 Euro, je nach Verpflegungsangebot.