Quelle: Unbekannt

Von Sabine Försterling (Text) und Andreas Kaier (Fotos)

Die Anleitung für Anfänger klingt alles andere als einfach: Drehen von rechts nach links sowie kreuzen von links nach rechts. Zunächst dreht sich der spindelförmige Klöppel mit dem Garn in der einen Hand und anschließend beim Kreuzen wandert er in die andere. Charlotte Lörcher sitzt oft viele Stunden im lichtdurchfluteten Wintergarten mit Blick über die Filder am Klöppelkissen, der Klöppelrolle oder der Jatte, die wie eine überdimensionierte Strickliesel aussieht, und fertigt filigrane Meisterwerke. Die Technik der jahrhundertealten Handarbeitskunst ist vielseitig wie kaum eine andere, für Viele ist sie aber ein Buch mit sieben Siegeln. Wer näht, hält sich an ein Schnittmuster, wer strickt an eine Anleitung. Aber wer kann schon einen Klöppelbrief entziffern? Im Moment hat Lörcher 26 Klöppelpaare vor sich liegen, die flink durch ihre Hände gleiten. „Hier muss strikte Ordnung herrschen, sonst wird das nichts“, betont die 60-Jährige und hat dazu eine Geschichte parat: In früheren Zeiten hatten sich die Bauersfrauen im Winter ein Zubrot mit Klöppeln von Spitzen verdient. Eine wunderte sich, dass sie nur drittklassige Ware lieferte, bis heraus kam, dass der Sohn in der Nacht die Klöppel mit dem Garn durcheinander gebracht hatte.

Sie habe schon immer irgendwas „geknibbelt“, für ihre Kinder genäht, gestrickt und gehäkelt, erzählt Lörcher, die beruflich als Selbstständige für Patentanmeldungen am Computer zeichnet. Zu ihrem 50. Geburtstag habe sie heimlich - ohne Wissen ihres Mannes - eine Klöppelgruppe besucht: „Dort habe ich gemerkt, dass die klassische Variante dieser Handwerkskunst, die Herstellung von weißen Spitzendecken, nicht mein Ding ist.“ Nachdem Lörcher die Technik erlernt hatte, entschloss sie sich, eigene Wege mit ihren Entwürfen zu gehen.

Doch der Anfang war auch für sie mühsam: „Als ich das erste Mal an der Jatte saß, lachte meine Lehrerin hinter mir schallend.“ Sie sei kurz davor gewesen, einen Knoten in die Arme zu bekommen. Bei der Klöpplerin, die sich selbst als Fantasievogel bezeichnet, kommt oft zuerst das Garn und dann die Frage, was sich daraus machen lässt. Die 60-Jährige experimentiert gerne - mit Keramik- und Papiergarn ebenso, wie mit Sockenwolle, Rosshaar, Angelschnur sowie Edelstahldraht. „Ich stürme daher auch mal einen Elektronikladen, um Schmuck herzustellen.“ Jedes Material bringt eine andere Herausforderung mit sich. Der sperrige Edelstahldraht springt schnell von der Spule, und die Klöppelarbeiten aus Rosshaar werden nicht mit den üblichen Mitteln, sondern mit einer Flüssigkeit für Dauerwellen gestärkt. Statt Spitzendecken fertigt Lörcher filigrane Halsbänder, Ohrringe, Weihnachtskugeln und Ostereier, aber auch Schals. Die Ideen gehen ihr nie aus. Bei einem Goldschmied hat die 60-Jährige ein von ihr gefertigtes, geklöppeltes Muster in ein Silberblech eingeprägt und daraus einen Ring geformt. Für die Hutmacherin Birgit Sophie Metzger aus Esslingen entwirft die Patentzeichnerin Blüten, die für deren außergewöhnliche Headpieces gedacht sind, einen besonderen Kopfschmuck. Für den „Blütenreigen in Kelchform“ hat Lörcher vor zwei Jahren den dritten Preis bei einem Wettbewerb der Vereinigung schweizerischer Spitzenmacherinnen erhalten. Darüber hinaus entwirft die 60-Jährige für die Handarbeitszeitschrift Anna.

Auf einen dreidimensionalen Weihnachtsstern ist sie besonders stolz, denn so etwas habe es noch nicht gegeben. Außerdem trägt die Klöpplerin mit ihren themenbezogenen Entwürfen zur Gestaltung von Messeständen der Madeira Garnfabrik bei. Bis zu drei Wochen sitzt Lörcher an einem filigranen Werk. Neben Geduld ist höchste Konzentration gefragt. Das bedeutet, öfter mal eine Pause einzulegen. Im Sommer klöppelt sie am liebsten am Teich im Garten: „Der Ort muss mich wohl inspirieren, denn hier geht es am Schnellsten“, sagt die 60-Jährige. Sie sei auch schon auf einer Streuobstwiese gesessen und das Klöppelkissen reist im Wohnmobil in den Urlaub mit. „Mir macht es einfach Spaß, aus ein paar Fäden was Schönes zu schaffen“, sagt Lörcher. Das bietet sie dann auch auf Kunsthandwerkermärkten an.

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