Sibylle Enderle, die Geschäftsführerin des Weltladens in Esslingen, packt Orangen für einen Kunden ein. Foto: Scherer - Scherer

In Portugal gilt Matthias Kästner als „verrückter Deutscher“: Er liefert Apfelsaft und nimmt dafür Orangen und Olivenöl mit. Die Produkte gibt es auch im Esslinger Weltladen.

EsslingenDie Geschichte hört sich an wie ein modernes Märchen: Vor fünf Jahren hat Matthias Kästner aus Winnenden 250 Liter selbst erzeugten Apfelsaft in seinen alten Kombi eingeladen und ist nach Portugal gefahren. Mit dem Ziel, innerhalb einer Woche den Saft von seinen Streuobstwiesen im Remstal unter die deutschen Aussteiger in Portugal zu bringen, vom Erlös portugiesische Orangen zu kaufen und wieder nach Deutschland zu fahren. Die Schnapsidee funktionierte, gegen alle Prognosen. Die Orangen kamen in Deutschland sehr gut an. Wer eine solche Orange gegessen hatte, wollte keine mehr aus dem Supermarkt. Und wollte gleichzeitig wissen, wann Kästner denn wieder Orangen aus Portugal habe. Für die zweite Tour an die Westalgarve hatte Kästner bereits einen Transporter mit Anhänger geliehen. Das Unternehmen Pois, sprich poisch, war geboren. Und nun, fünf Jahre später, hat Kästner einen florierenden Direktimport mit landwirtschaftlichen Produkten von Kleinbauern auf die Beine gestellt. Er zählt 107 Produzenten, Tendenz weiter steigend, 13 Mitarbeiter und 3 5 Abholstellen für die Ware in ganz Süddeutschland.

Alle vier bis fünf Wochen werden landwirtschaftliche Produkte aus Portugal mit einer portugiesischen Spedition an den Neckar gebracht, jede Woche fahren kleinere Laster mit Waren Winnenden an. Es sind längst nicht nur Orangen, die sich auf die 2500 Kilometer lange Reise machen, sondern auch andere Produkte wie Zitronen, Avocados, Süßkartoffeln, Tomaten, Mandarinen, Ananas, Bananen, Zucchini und andere handwerklich erzeugte Produkte wie Marmeladen, Olivenöl, Wein, Nussmus oder Fischkonserven. Die Ware ist immer frisch und unbehandelt. „Das ist das, was die Leute so überzeugt. Wo kann man schon mal reife Orangen essen, die ein paar Tage zuvor noch am Baum hingen?“, sagt Matthias Kästner. „Unbegastes Obst eben.“

Kästner is t ein Idealist. Und einer, der sich nicht in Schubladen pressen lässt. Geboren in Oberndorf am Neckar, lernt er zunächst Industriekaufmann, um dann aber doch 20 Jahre lang als Konzertveranstalter und DJ zu arbeiten. Als politischer Aktivist ging es ihm auch immer um Themen wie die Erzeugung hochwertiger landwirtschaftlicher Produkte, um fairen Handel, und um Bedingungen, die Produzenten von ihrer Arbeit leben lassen. Und Portugal ist, wie er sagt, „sein Herzensland seit mehr als 30 Jahren“. An der Algarve hat es sich indes schnell herumgesprochen, dass ein verrückter Deutscher portugiesisches Obst und Gemüse nach Deutschland importiert – direkt und ohne Zwischenhändler, und zu einem Preis, der etwa ein Vierfaches dessen darstellt, was der übliche Agrarmarkt den Erzeugern zahlt.

Pois hat für Belebung in der Westalgarve gesorgt. Für die Bauern lohnt es sich: „Unser größter Erzeuger hat etwa 80 Hektar Land, und unser kleinster eine Art Garten“, schildert Kästner. Für viele Kleinbauern war das Geschäft mit Pois existenziell: „Manch einer hat seinen Entschluss aufzuhören, wieder revidiert, andere wiederum haben weitere Bäume gepflanzt.“ Viele überlegen sich, was sie produzieren können, um bei Pois aufgeno mmen zu werden. Kästner achtet auf sein Konzept; vor Ort unterstützt ihn sein Freund Gustavo Braganca, ein Biobauer. Die Produkte müssen handwerklich und nachhaltig hergestellt werden, sie müssen unbehandelt und von guter Qualität sein. „Es ist ein cooles Gefühl, dass die Leute vor Ort beginnen , neue Wege zu gehen“, freut sich Kästner. Eine Erzeugerin habe ihm Melonenessig angeboten, zwei junge Kleinbauern köstliche Fischkonserven und gerade arbeite ein Bauer daran, Ingwer zu produzieren. „Dann hätten wir den ersten europäischen Ingwer“, verkündet Kästner stolz. Pois zeigt Wirkung, verändert die Wirtschaft vor Ort: Mittlerweile steht eine Lagerhalle in Albufeira, in der Ware zwischengelagert wird. Kästner hat einen Vertrag mit einem Holzkistenbauer vor Ort, der für die Produktion zwei arbeitslose Jugendliche anstellen konnte. „So wirkt sich Pois aus“, sagt Kästner. Seine Botschaft lautet: „Fairer Handel in Europa ist möglich.“

„Poisch“, sagt Kästner mit dem sanften portugiesischen Wischlaut und man spürt, dass es sein Herzensprojekt ist. „Liebe und Respekt“, sagt er, und dass er ohne Pois nicht mehr sein wollte. Und dann erzählt er die Geschichte, wie das portugiesische Kind zu seinem Namen kam. Kästner, der die Sprache des Landes nicht spricht, suchte einen Namen für sein florierendes Projekt und ihm kam dieses Wort, das die Portugiesen so oft im Gesprä ch sagen, gelegen. Pois, das heißt so viel wie „weil“, „genau“, „so machen wir’s“ – eine Art positive Redewendungen mit vielen Einsatzmöglichkeiten.

Pois-Produkte gibt es seit Kurzem auch im Weltladen in Esslingen – frische Ware kommt dienstagnachmittags – in Kästners Hofladen in Winnenden, im Fluxus in der Calwer Passage in Stuttgart und im Laden Plattsalat im Hallschlag. Alle vier bis fünf Wochen findet im Theaterhaus in Stuttgart eine großes portugiesisches Frühstück statt. Dort können Leute vor Ort kaufen oder auch ihre bestellte Ware abholen. Abholstellen gibt es in ganz Südwestdeutschland, unter anderem auch im Kulturzentrum Dieselstraße in Esslingen.

Mehr unter www.pois-portugal.de