Quelle: Unbekannt

Von Ulrike Rapp-Hirrlinger (Text und Fotos)

Jede Kugel ist einzigartig, jede erzählt ihre Geschichte. Die Kugel ist die Krönung aller Formen, quasi das Abbild des Universums“, sagt Stefan Metzler. Die vielen Farben und Strukturen des kristallinen Kalksteins von der Alb haben es ihm angetan. Aus ihm entstehen seine kleinen Kunstwerke. Metzler steht in der Manufaktur der Kugelmühle, umringt von Besuchern. An Sonn- und Feiertagen erklärt er hier Interessierten, wie die schimmernden Steinkugeln in den unterschiedlichsten Farben, Musterungen und Größen, die vor ihm in flachen Körben liegen, hergestellt werden. Ganz nebenbei bekommen die Besucher eine kleine Lehrstunde über die Geologie der Schwäbischen Alb, erfahren unter anderem von prähistorischen Riffen und Lagunen, die heute den begehrten Stoff für Metzlers Kugeln liefern. Unter der Woche arbeiten in diesem Raum die Mitarbeiter an den Maschinen, die die Wand säumen. Vier bis fünf „passionierte Mitstreiter“ hat Metzler - die meisten aus dem Ort. Er selbst geht werktags seinem Broterwerb als Ingenieur nach und kann nur abends in der Werkstatt sein. Die Kugelmühle betreibt er nebenberuflich.

Metzler, Jahrgang 1965 und nach eigenem Bekunden „Neidlinger mit Migrationshintergrund“, weil im nahen Weilheim geboren, ist studierter Agraringenieur. Der Faszination der Steinkugeln erlag er, als er bei Bergwanderungen das Handwerk des Kugelmüllers kennenlernte. Es sollte allerdings noch gut 20 Jahre dauern, bis er sich den Traum von der eigenen Kugelmühle in Neidlingen erfüllen konnte. In der früheren Molke, später ein Waschhaus, das dann 30 Jahre lang leer stand, richtete sich Metzler 2005 seine Manufaktur ein, wenige Meter weiter drehen sich im Seebach seine vier Kugelmühlen.

Sie bestehen unten aus einem festen Mühlstein aus Sandstein, dem „Genger“, und einem vom Wasser angetriebenen hölzernen Mühlrad, dem „Läufer“. Diese Teile fertigt Metzler im Normalfall selbst an. Je nach der Größe der Kugeln, die hergestellt werden sollen, sind in den Mühlstein konzentrische Rillen eingefräst - je kleiner die Kugeln, umso mehr Rillen. Metzler fertigt Kugeln von drei, vier und sechs Zentimeter Durchmesser. Das gleiche Rillenprofil weist auch der Läufer aus Buchenholz auf. Die Bewegung, die die Steine in der Mühle zu Kugeln schleift, beschreibt Metzler so: „Es ist, wie wenn Sie von Hand Klöße formen.“

Die Kugelmühle nutzt den gleichen Effekt, durch den Kiesel im fließenden Wasser entstehen: „Im Grunde macht die Kugelmühle nur das, was natürlicherweise im Bach mit dem Gestein geschieht, gibt diesem Vorgang jedoch eine gezielte Richtung“, erklärt Metzler. Bis auf den hundertsten Millimeter genau würden die Kugeln geschliffen, sagt der Kugelmüller. Bevor die Steine jedoch in der eigentlichen Mühle landen, müssen sie bearbeitet werden. Nicht jedes Gestein eigne sich, erklärt der Kugelmüller. Vor allem Kalkstein lässt sich gut formen. Auch während der Verarbeitung kommen noch Mängel wie Poren oder Hohlräume zum Vorschein, die verhindern, dass eine glatte Kugeloberfläche entsteht. Sein Material sucht der Kugelmüller persönlich in den Steinbrüchen der Umgebung aus - am Drackenstein, in Merklingen, Heimsheim, Marbach, Römerstein-Zainingen oder Erkenbrechtsweiler, aber auch in Leinfelden-Echterdingen wurde Metzler schon fündig. In den Schieferbrüchen von Holzmaden und Ohmden findet sich Schwarzjura, der den Kugeln wegen seiner Schichtung ein attraktives Streifenmuster verleiht. Die Farben reichen von gebrochenem Weiß, lichtem Grau über Gelb- und Beigetöne, Kaffeebraun, bis hin zu rötlichen, altrosa, violetten und dunkelgrauen bis fast schwarzen Tönen. Schichtungen im Gestein, aber auch Einschlüsse von Mineralien oder Versteinerungen geben den Kugeln ihr individuelles Aussehen. „Nur wenige Menschen wissen, dass wir auf der Alb Marmor haben. Dabei ist das unser wichtigster Bodenschatz. Er wird europaweit exportiert“, erläutert Metzler. Oft legen ihm die Steinbruchbesitzer besonders schöne Stücke zur Seite. Man pflegt ein gutes Verhältnis.

Damit aus den Gesteinsblöcken die Rohlinge für die Kugelmühlen werden, braucht es viele Arbeitsgänge. Das ist die eigentliche Arbeit des Kugelmüllers. Der Tüftler Stefan Metzler hat seine ganz eigene Technik und auch die nötigen Werkzeuge dafür entwickelt. Zunächst werden aus den Steinen Bohrkerne geschnitten und diese dann aus zwei weiteren Raumrichtungen quergebohrt. Dadurch entsteht ein kugeliges Etwas mit Hörnchen. Diese werden durch Schleifen entfernt. „Damit die Mühle Kugeln formen kann, muss der Stein in jeder Richtung rollfähig sein“, weiß der Kugelmüller. Zwischen jedem Arbeitsgang müssen die Rohlinge trocknen. „Sonst sieht man die Fehler im Stein nicht“, erklärt Metzler. Denn die Rohlinge sollten möglichst keine Risse, Fugen oder Sprünge vorweisen. Doch auch im Laufe des Entstehungsprozesses birgt der Stein immer wieder Überraschungen - Kristalle oder Versteinerungen kommen zum Vorschein. „Man kann eben nicht in ihn hineinschauen. Ich bin selbst immer wieder überwältigt, was aus den Steinen rauskommt“, sagt Metzler.

Die Mühle wird oberschlächtig betrieben. Das bedeutet, dass das Wasser möglichst im rechten Winkel auf die Flügel des Läufers trifft. In der Mühle durchlaufen die Rohlinge eine Spiralbahn - rund 180 000 Umdrehungen macht die Mühle pro Tag. Durch die Doppeldrehung entsteht die Kugelform. Rund 24 Stunden dauert es, bis die Kugeln fertig sind, im Winter auch mal weniger, im Sommer zuweilen länger. „Kaltes Wasser hat mehr Kraft, wenn es auf die Flügel der Mühle trifft, während es im Sommer oft nur noch plätschert“, erklärt Metzler. Der Kugelmüller ist ganz auf die Natur, auf Wassermenge und Temperatur angewiesen. Danach entscheidet sich, wie viele der vier Mühlen der Seebach antreiben kann. Um Vollmond herum übrigens dauert es länger, bis die Kugeln ihre vollendete Form haben. Metzler vermutet, die Gravitation des Mondes bewirke, dass sich die Mühlen langsamer drehen.

Was Metzler aus den Mühlen birgt, sieht zunächst eher unscheinbar aus. Erst mit dem Polieren eröffnet sich dem Betrachter die ganze Schönheit des Gesteins. Etwa 30 Minuten wird jede Kugel mit einem Spezialfilz bearbeitet, um solch glänzende, gemaserte Bälle zu erhalten, wie sie nachher in den Körben liegen. Farbe und Struktur des Gesteins erscheinen erst jetzt deutlich. Weiße Einschlüsse im schwarz-grauen Stein etwa seien versteinerte Muscheln, erklärt Metzler. „In der polierten Kugel eröffnet sich die ganze Entstehungsgeschichte der Schwäbischen Alb“, schwärmt er. Doch auch wer die Kugeln nur als dekorative Elemente sieht, kann sich an ihrem Anblick erfreuen. Die Neidlinger Kugeln bekommt man übrigens nur vor Ort. „Wir versenden sie nicht, weil wir wollen, dass die Leute nach Neidlingen kommen“, sagt Metzler. Zwischen 8000 und 11 000 Besucher zählt er pro Jahr in der Kugelmühle.

Stefan Metzler will seine Kugelmühle nicht nur möglichst klimaneutral betreiben, sondern auch wenige Abfälle produzieren. Den Strom, den die Mühle benötigt, wird aus Wasserkraft gewonnen. Die nach dem Ausbohren zurückbleibenden durchlöcherten Steine werden ebenso wie das beim Schleifen anfallende Kristallmehl für eine geringe Summe verkauft und dienen vor allem als Pflanzsteine für Gärten. Metzler ist stolz darauf, dass sich seine Kugelmühle von Anfang an selbst getragen hat. Die Mühle soll zudem nicht nur der Herstellung der schönen Kugeln dienen: „Sie soll ein Sympathieträger für die Nutzung der Wasserkraft sein.“

www.kugelmuehle-neidlingen.de

Beliebte Sammlerstücke

Murmel: Der Begriff „Murmel“ oder „Marmel“ ist von Marmor abgeleitet. „Murmeln waren früher beliebte Sammlerstücke und wurden sogar vererbt“, weiß Stefan Metzler. „Das Verschenken einer Murmel soll dem Schenker als auch dem Beschenkten Glück bringen.“ Dahinter steckt der Gedanke, dass Glück wie die Liebe etwas ist, das sich nur vermehrt, wenn man es verschenkt. Erst mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurden Murmeln auch aus Glas, Porzellan oder gepresstem Kreidestaub hergestellt.

Kugelmühlen:Kugelmühlen gibt es seit mehr als 1000 Jahren. Wald- und Bergbauern besserten durch die Produktion von Spielmurmeln ihr karges Einkommen im Winter auf. Kugelmüller war kein Lehrberuf, das Wissen um die Herstellung der Kugeln wurde in der Familie weitergegeben. Während laut Stefan Metzler in Deutschland mit Ausnahme von Schauanlagen nur noch die Neidlinger Mühle Kugeln in traditioneller Weise produziert, gibt es in Österreich noch einige wenige aktive Kugelmüller.