Die Datenbank auf dem Handy dient zur Kontrolle einer Vermutung. Nur anhand von Fotos kann ein Laie eine Sorte nicht sicher bestimmen. Quelle: Unbekannt

Von Roland Kurz

Eckhart Fritz steckt sich einen Schnitz in den Mund und kaut darauf herum. „Süß, hmm, interessant - auf jeden Fall gut zum Mosten.“ Doch den Namen des rotgelben Apfels weiß er nicht, obwohl er mehr als 400 Sorten kennt. Vermutlich ist es eine lokale Sorte, die ein Landwirt selbst gezogen hat, glaubt der Fachmann vom Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee. Die Gütlesbesitzer stehen mit ihren Tüten und Körben vor dem alten Schafstall Schlange, um ihre Äpfel und Birnen bestimmen zu lassen. Im Stall hat der Kreisverband der Obst- und Gartenbauvereine eine Ausstellung aufgebaut mit 212 Sorten - die bunte Vielfalt aus der Streuobstlandschaft am Albrand. An einem Tisch sitzt Eckhart Fritz und untersucht im Akkord. Als Assistent hockt Rudolf Thaler dabei, Vorsitzender des OGV Bissingen, der im Museum Kurse gibt, wie man besseren Most macht.

Eine ältere Frau legt einen roten Apfel hin und fragt: „Kann man den essen?“ „Ha jaa! Natürlich!“, sagt Fritz, „Berner Rosenapfel. Bloß nicht zu lange lagern. Jetzt ein Apfelmus machen mit einer wunderschönen Farbe.“ Die Fragen nach Lagerung und Nutzung muss Fritz immer wieder beantworten. Die Frauen wissen jedoch meistens, welche Sorte gut zum Backen ist - nur den Namen kennen sie nicht.

Hans-Joachim Schubert aus Erkenbrechtsweiler hat drei Sorten Birnen mitgebracht. Nach 30 Jahren Zufalls-Mosterei hat er kürzlich den Kurs bei Rudolf Thaler besucht und will nun wissen, welche Birne er bislang verwendet hat. Fritz schneidet eine grün-braune Frucht an und verteilt die Schnitze. Alle Probierer verziehen das Gesicht. „Grüne Jagdbirne, zu viel Gerbstoff, höchstens zum Brennen zu gebrauchen“, kommentiert Fritz. Die zweite Birne ist eindeutig eine Williams. „Man spürt das Muskataroma, sehr gut zum Brennen“, erklärt Fritz. Und die Oberösterreicher ist gut zum Mosten - das wissen die alten Schwaben.

Die alten Sorten betrachtet Fritz als genetisches Potenzial. Dieses Reservoir an Erbanlagen sei im Intensivobstbau, der auf marktgängige Sorten spezialisiert ist, nicht mehr zu finden. Alte Sorten könnten zum Einkreuzen interessant sein, um neue resistenter zu machen. Wenn Eckhard Fritz im Grünen unterwegs ist, hält er deshalb nach Bäumen Ausschau, die jedes Jahr gut aussehen, zum Beispiel der Schweizer Orangenapfel.

Alkmene, James Grieve, Gewürzluiken - Eckhart Fritz bestimmt die bekannten Apfelsorten im Sekundentakt. Aber die Frau hat noch eine schwierige Aufgabe mitgebracht. Fritz probiert die große Frucht. Ein wenig Golden Delicious ist drin, vielleicht mit Indo gekreuzt, stellt er fest und zückt sein Handy. Er ruft seine Apfelbilder auf und vergleicht das Schnittbild. Okay, ein Mutsu, eine japanische Kreuzung, wie er vermutet hat. Ein Laie könne wenig mit Fotos oder gar einer Apfel-App anfangen, meint Fritz. Kürzlich habe ihm jemand einen „Pilot“ gezeigt, den er anhand von Fotos identifiziert habe. Er habe nur gefragt, wie alt der Baum sei. 60 Jahre? Die Sorte „Pilot“ gebe es aber erst seit zehn Jahren.

Fritz schneidet einen Apfel auf, dessen Haut duftet und vergleicht seine „App im Kopf“ und den Apfel. Eindeutig: Die extrem großen Kernfächer sind typisch für Fießers Erstling, einst vom Hofgärtner am Karlsruher Schloss gezüchtet. Und zwar eine Kreuzung mit dem Bismarckapfel. Mit dem verbindet Fritz eine Geschmackserinnerung aus der Kindheit. Als Bub habe er erstmals seine Nase an so einen Apfel gehalten. Der Pomologe kennt nur fünf Sorten, die einen eindeutigen Geruch haben.

Neben Brettacher und Goldparmäne gehört der Gewürzluiken in jede württembergische Apfelausstellung. Die Sorte soll auf einen Weingärtner Luik aus Sulzgries zurückgehen. Im Beurener Schafstall findet man etliche Abkömmlinge: Königs- und Stauferluiken, Süß- und Sommerluiken, Jägerluiken, Gesäter Luiken, Blau- und Frühluiken. Ein alter, von der Arbeit gebeugter Landwirt steht vor den Körbchen und weist auf den Muskateller Luiken hin, den er gestiftet hat: „Der hot sieba Name, bei ons hoißt’r Baschtles Epfel. Andre saget Krackerle, weil er beim Neibeißa so kracket. Oder Schätterle, weil sich beim Lagern die Körnle löset, ond no schepperts.“ Ein Liebhaber-Apfel, findet Karl Fischer, „aber die meischte send verfrore, em Wenter anno 58.“

Mehr als drei Stunden sind vergangen. Eckhart Fritz hat nicht mal Zeit gehabt, sich aus der Thermoskanne einen Kaffee einzuschenken. Er testet ein Äpfelchen, das er für einen Reno hält. „Noi, beppsüß - und Reno ist nicht beppsüß. Irgendeine neue Sorte. Der Fachmann ist nicht ganz mit sich zufrieden. „Manchmal fehlen mir auch die Wörter, um den Geschmack zu beschreiben. Da wäre ich gern besser.“

Nicht alle alten Sorten hält der Pomologe für erhaltenswert. Zum Anbau empfiehlt er auch neue wie den Topaz, ein „toller Allrounder“. Aber Berlepsch und Horneburger Pfannkuchenapfel seien immer noch lohnenswert. „Ich glaube aber nicht, dass wir irgendwann nochmal eine Mostbirne züchten werden.“

Als Nachschlagwerk empfehlenswert: Walter Hartmann, Farbatlas Alte Obstsorten. Rat und Fotos findet man auch unter www.kob-bavendorf.de/arbeitsbereiche/streuobst