Angesagt: Kuschliges Dreieckstuch für frostige Tage. Quelle: Unbekannt

Von Dagmar Weinberg(Text) und Roberto Bulgrin (Fotos)

Die Idee zur Temperaturdecke hat Andrea Hehl, die in Hohenkreuz zuhause ist, aus dem Internet. „Wenn man sowas sieht, fängt es sofort im Kopf an zu rattern.“ Zumal sie Projekte mag, die sich entwickeln. „Das ist total spannend.“ Bevor sie ans Werk gehen konnte, galt es einen Wollproduzenten zu finden, der eine fein abgestufte Farbpalette bietet: Von tiefem Dunkelblau, das an eisig kalten Tagen verstrickt wird, über Grün- und Gelbtöne bis hin zu einem knalligen Rot, das bei Temperaturen von mehr als 30 Grad zum Einsatz kommt. Bei der Sockenwolle wurde sie fündig.

Seit Jahresanfang misst sie jeden Tag um 12.30 Uhr die Temperatur, um anschließend in der jeweils passenden Farbe eine Reihe kraus rechts zu stricken. „Ich stricke auch, wenn’s total heiß ist.“ Jeder Monat wird mit einer Reihe aus schwarzer Wolle beendet. „An der Decke sieht man, dass sich das Klima verändert“, sagt Andrea Hehl - nicht nur wegen der vielen orange- und knallroten Tage im Sommer. Der Winter war eher Hellblau. Und nach dem späten Frost im April ging’s in großen Schritten Richtung Sommer.

Dass einiges Geld in ihr Jahresprojekt fließt, ist klar. „Aber bei der vielen Arbeit, die man sich mit solch einem Stück macht, wäre es blöd, an der Qualität zu sparen.“ Das sieht auch Gabriele Stangner so, die wie Andrea Hehl seit vielen Jahren nicht von den Nadeln lassen kann und die „Strickbienen“ zusammengebracht hat. „Ich habe einfach ein paar Frauen, die auch gerne stricken, angesprochen“, berichtet sie. „Es ist eine Freude, wenn man mit Gleichgesinnten zusammensitzen kann. Denn denen muss man nicht erklären, warum man strickt.“ Zudem ist das Nadelspiel entspannend. „Es ist immer lustig bei uns und wir gehen fröhlich nach Hause“, erzählt eine „Strickbiene“, die während eines Reha-Aufenthalts das Hobby wieder entdeckt und gemerkt hat, „dass mir das Stricken gut tut“.

Zwar liegt selbst Gemachtes zurzeit im Trend. „Aber es gibt auch Leute, die das abwerten und es omahaft finden“, erzählt eine Frau aus der Runde. „Einige meiner Kollegen können überhaupt nicht verstehen, dass ich stricke.“ Umso wohler fühlt sie sich im Kreis der „Strickbienen“. Denn bei den Treffen in der Scherrerei zieht niemand die Augenbrauen hoch, wenn man von „Wollqualitäten“ und Mustern schwärmt, die man entdeckt und natürlich sofort ausprobiert hat. Und es ist sonnenklar, dass Strickzeug nicht nur ins Reisegepäck gehört, sondern auch im Urlaub Wollgeschäfte durchstöbert werden. Die männlichen Begleiter werden derweil, da sind sich alle einig, am besten in einem netten Café geparkt.

Die „Strickbienen“, die in einer Whatsapp-Gruppe miteinander verbunden sind, blättern zwar nach wie vor gerne in Handarbeitsheften. Auf der Suche nach Inspiration surfen sie aber auch durchs Internet. Dort findet man inzwischen ungezählte Blogs und Plattformen. Auf denen werden nicht nur Strickmuster geteilt. Kommt man bei komplizierten Teilen oder einer bestimmten Technik mal nicht so recht weiter, gibt’s immer jemanden, der online Hilfestellung gibt. „Das Internet ist Segen und Fluch zugleich“, meint Andrea Hehl. „Denn es ist leider unmöglich, alles, was man dort so entdeckt, in einem einzigen Leben zu stricken.“

Um nicht zu sehr ins Hintertreffen zu geraten, „hat jede von uns immer mehrere Projekte gleichzeitig am Start“, erzählt Gabriele Stangner - mindestens eines sollte in die Handtasche passen. Ob man mit dem Bus oder Zug unterwegs ist, sich mit Freunden in der Kneipe trifft oder einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher verbringt: „Stricken geht immer“, lautet das Credo der Frauenrunde.

Neben Stapeln von Anleitungen und Handarbeitsheften beherbergen die „Strickbienen“ daheim Kisten voller Material. „Wenn ich eine schöne Wolle sehe, habe ich meistens sofort eine Idee, was ich daraus machen könnte und muss dann einfach zuschlagen“, erzählt Gabriele Stagner. Damit sie nicht den Überblick verliert, ist sie inzwischen dazu übergegangen, die frisch erworbenen Objekte der Begierde zusammen mit der Anleitung oder einem Zettel, auf dem sie ihre Idee notiert, in eine Tüte zu packen.

Zum „Grundbedürfnis“ jeder „Strickbiene“ gehört es, dass die Vorratsspeicher stets gut mit Sockenwolle gefüllt sind. So kann kaum eine der Frauen widerstehen, als Barbara Scherrer endlich das frisch gelieferte Paket öffnet und Sockenwolle hervorzaubert, in der die Weihnachtsfarben Rot, Weiß und Grün miteinander versponnen sind. „Das Wort Wolle kommt schließlich nicht von brauchen, sondern von wollen“, sagt Andrea Hehl.