Laufhäuser gibt es nicht nur in der Landeshauptstadt – sondern auch in deren Speckgürtel: In den Gewerbegebieten von Leinfelden-Echterdingen befinden sich zwei Bordelle Foto: Lichtgut

Zehn Frauen und Männer wollen in Leinfelden-Echterdingen über Sexarbeit, Menschenhandel und Zwangsprostitution informieren. Die Initiative hat eine Ausstellung nach Leinfelden-Echterdingen geholt. Diesen Samstag wird sie eröffnet. 

Als Hilke Lorenz, Redakteurin dieser Zeitung, beim Pressestammtisch in Leinfelden-Echterdingen über das Thema Prostitution berichtete, schoss Regina Golke sofort dieser Gedanke durch den Kopf: „Da muss man doch was machen.“ Damals war das Thema „Prostitution – moderne Sklaverei. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Paradise-Prozess ziehen?“ Lorenz hatte den Prozess als Rechts- und Gesellschaftsautorin begleitet. Bordellbetreiber Jürgen Rudloff war im Februar 2019 zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Das Stuttgarter Landgericht hat ihn wegen Beihilfe zum Menschenhandel und Zwangsprostitution sowie Betrugs schuldig gesprochen.

Zwei Bordelle in der Messe- und Flughafenstadt

Das Paradise gibt es nicht mehr. Am selben Ort, nämlich im Echterdinger Gewerbegebiet, läuft das Geschäft mit der Prostitution allerdings weiter. Das Haus hat einen neuen Besitzer, Luxor lautet nun der Schriftzug. Eine weitere Adresse für Freier liegt im Stettener Gewerbegebiet. Mit dem Laufhaus Stetten gibt es also zwei Bordelle in der Messe- und Flughafenstadt.

„90 bis 95 Prozent der Frauen machen diesen Job nicht freiwillig“, hatte die Journalistin gesagt. Regina Golke erinnert sich noch sehr gut an diesen Satz. „Das ist eine unglaubliche Zahl“, sagt sie. Zwangsprostitution und Menschenhandel treiben die Frau aus Stetten um. „Frauen werden oftmals mit falschen Versprechungen in diesen Job gelockt, dann wird ihnen der Pass abgenommen und körperliche Gewalt angedroht“, sagt sie. In dieser Branche werde deutschlandweit ein Gewinn von vielen Millionen Euro gemacht, betont sie. Der komme aber nicht den Prostituierten zu gute, sondern vielmehr Zuhältern und Bordellbetreibern.

Dass Frauen als Waren gelten, die man benutzen darf, will Regina Golke nicht in den Kopf. Solange dieser Satz aber in den Köpfen der Freier festsitzt, gebe es keine Gleichberechtigung. 2022 hat die Frau aus Stetten deshalb eine Gruppe ins Leben gerufen, die sich Arbeitskreis Prostitution Leinfelden-Echterdingen nennt. „Wir wollen die Bevölkerung informieren und Lösungen aufzeigen“, sagt sie. Einmal im Monat trifft sich der zehnköpfige Kreis im Sitzungssaal des Leinfelder Rathauses.

Der Initiative gehören Frauen und Männer an, die in politischen Parteien, bei den Landfrauen oder in der Leinfelder Frauengruppe organisiert sind. Auch Ursula Kurz-Gebert engagiert sich dort: „Ich habe gelesen, dass 2002 die Prostitution und das Betreiben eines Bordells legalisiert wurde und das Land als Bordell Europas gilt“, sagt sie. Und weiter: „Wir wurden durch die Anwesenheit von zwei Bordellen in unserer Stadt veranlasst, etwas zu tun.“

Aufgerüttelt haben die beiden Frauen auch Vorträge der SPD-Bundestagsabgeordneten Leni Breymaier, die im Vorstand des Stuttgarter Vereins „Sisters“ ist. Der Verein kämpft für den Ausstieg aus der Prostitution. Berichte der ehemaligen Prostituierten Sandra Norak, die sich für das sogenannte „Nordische Modell“ einsetzt, das Ausstiegshilfen für Prostituierte und die Bestrafung von Freiern vorsieht, haben sie aufgewühlt. Ohne Menschenhandel würde diese Branche nicht funktionieren, hatte diese berichtet.

Auch um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, bereitet der Arbeitskreis Prostitution aktuell seine erste große Aktion vor. Die Gruppe wird dabei unter anderem von Rahab, der Esslinger Beratungsstelle für Menschen in der Prostitution, der Landeszentrale für politische Bildung, der Bürgerstiftung, der Volkshochschule und der Stadt unterstützt. Die Initiative wird im Februar die Ausstellung „gesichtslos – Frauen in der Prostitution“ nach Leinfelden-Echterdingen holen. Die Bilder des Fotografen Hyp Yerlikaya waren schon in Stuttgart und Esslingen ausgestellt. Die Schau wird durch die Mannheimer Beratungsstelle Amalie verliehen.

Frauen schildern auf 40 Plakaten ihre Sorgen, Ängste und Hoffnungen. Ihre Lebens- und Arbeitswelten sollen sichtbar werden. Die Schau wird ergänzt durch mehrere Vorträge. So sprechen Gunda Rosenauer vom Ludwigsburger Bündnis gegen Menschenhandel und Jörg Kuebart, der Bundesvorsitzende Zeromacho Deutschland, darüber, warum Prostitution eben kein normaler Job ist und wie die Würde der Frauen und Mädchen geschützt werden kann. Auch an der Aufklärung des Paradise-Prozesses beteiligte Polizeiermittler kommen zu Wort.

Simon Häggström, ein Kriminalbeamter aus Stockholm, wird über den schwedischen Umgang mit der Prostitution berichten. Er hat das Buch „Auf der Seite der Frauen“ geschrieben. Darin berichtet er darüber, wie die Arbeit eines Polizisten unter dem „Nordischen Modell“ aussieht.

Das Programm

Die Ausstellung
Die Ausstellung „gesichtlos – Frauen in der Prostitution“ wird am Samstag, 15. Februar, um 17 Uhr im Leinfelder Haus eröffnet und ist dort bis Mitte März zu sehen. Bürgermeister Carl-Gustav Kalbfell und Astrid Fehrenbach von der Beratungsstelle Amalie werden sprechen. Rahab-Mitarbeiterinnen werden von ihrer Arbeit berichten. Führungen durch die Ausstellung werden angeboten. Die Schau kostet keinen Eintritt. Der Arbeitskreis ist allerdings auf Spenden angewiesen.

Der Arbeitskreis
Der Arbeitskreis hat eine E-Mail-Adresse eingerichtet, über die die Gruppe erreicht werden kann. Die Adresse lautet: ak-prostitution@le-mail.de