Toots Hibbert (1942-2020) hatte seine Wurzeln im gospelgetränkten US-Soul. Foto: AP/Amy Harris

Er war einer der Gründerväter des Reggae. Und doch war er kein Reggae-Sänger wie die anderen. Toots Hibbert, Frontmann von Toots and the Maytals, war ein ganz besonderer Typ.

Jamaika - Dichte Wolken von Ganja-Qualm, ein alle Sinne umnebelnder Marihuana-Smog, dieses Studio- und Lebensumfeld des Reggae kommt vielen sofort in den Sinn, wenn eine Band aus Jamaika ihre lasziv verschleppten, ans Wiegen einer Hängematte erinnernden Rhythmen schrubbt. Da klingt es wie ein fieser Witz, dass die Karriere eines der Gründerväter des Reggae ausgerechnet wegen des Besitzes von Marihuana beinahe entgleiste. Toots Hibbert wurde um die Durchbruchszeit des neuen Sounds herum, 1966 nämlich, als alte Hasen und junge Talente um Aufmerksamkeit und Studiozeit rangelten, eineinhalb Jahre ins Gefängnis gesteckt. Aber bei Hibbert, der nun im Alter von 77 Jahren in Kingston auf Jamaika gestorben ist, wohl an Covid-19, war manches anders als im Reggae-Klischee.

Es war der schwarze Rhythm & Blues aus den USA, der am Anfang des Reggae stand. Bands aus der Karibik eigneten sich diese Musik an, spielten die Hits nach oder plagiierten sie. Frederick Nathaniel Hibbert, Spitzname Toots, Jahrgang 1942, war Teil dieser Bewegung namens Ska. Toots and the Maytals hieß die Gruppe, die mitmachte, woran auf Jamaika viele, an jeder Straßenecke spielende Bands arbeiteten: allmähliche Verlangsamung des Tempos, Integration afrikanischer und karibischer Rhythmen, Texte, die sich inhaltlich und im Slang auf den Alltag vor Ort bezogen. Aus Ska ging so Rocksteady hervor und aus dem wiederum der Reggae.

Wendung des Glücks

Was Toots Hibbert aber nicht mitmachte, war die Entwicklung des Gesangs hin zum entspannteren Vortragen der Geschichten. Im Gegenteil, er blieb dran an der Entwicklung in den USA, wo Soulsänger wie Otis Redding aus Bluesqual und Gottesdienstjauchzen intensive irdische Erlösungsforderungen formten. Hibbert war die große Soulstimme des Reggae. Aus seiner Kehle kam allenfalls mal im spielerischen „Das kann ich auch“-Gestus ein zugerauchter Song wie „Rastaman“, der cool Gleichmut behauptete.

Hibberts Hits wie „54-46 was my Number“ über seine Haftstrafe, „Times tough“ über ökonomische Not oder „Funky Kingston“, eine Aufforderung zum Tanz, waren in schwitzende Trance pendelnde Anrufungen irdischer und himmlischer Gewalten um eine große Wendung des Glücks. Dieser Bezug auf die Wurzeln des US-Souls in Erweckungsgottesdiensten kam bei ihm nicht aus zweiter Hand. Hibbert war der Sohn von Laienpredigern in der Gemeinde der Siebten-Tags-Adventisten, er kannte Erweckung und Verzückung von klein auf.

Alles verziehen

Eben weil seine Musik so stark nach Soul klang, ist sie im Ausland weniger begeistert aufgenommen worden als die von Bob Marley. Sie klang nicht exotisch genug. Zuhause war das anders, und Hibbert sah sich keineswegs als Randfigur des Reggae: Er habe den Begriff Reggae durch einen Versprecher überhaupt erst erfunden, hat er behauptet. Das ist wahrscheinlich grober Unfug, aber wer die drei besten Alben von Toots Hibbert hörte, „Kingston Funky“ und „In the Dark“ mit den Maytals sowie „Toots in Memphis“ mit einer großartigen Studioband und lauter US-Soulklassikern, der verzieh ihm jeden Quatsch.

Dass Hibbert später viele für seine Verhältnisse nur achtbare Platten aufnahm, bleibt ein wenig rätselhaft. In seinem letzten Lebensjahr aber hat er mit einer Gruppe, die ihm nichts schenkte, „Got to be tough“ eingespielt. Mit nun heiserer Altmännerstimme hat er da allen noch mal gezeigt, was Präsenz ist.