Mark Lanegan hat auf Musik gesetzt, nicht auf Karriere. Foto: imago images/Gonzales Photo/Per-Otto Oppi

Die Grunge-Musik ist ohne den Sänger und Songwriter Mark Lanegan schwer vorstellbar. Aber es ging ihm nicht um Labels: nur um Musik, die durchs Leben hilft.

Stuttgart - Irgendwo zwischen dem No-Future-Groll der wütenden Pessimisten und der Gier nach der ersten Million noch vor dem dreißigsten Geburtstag bewegt man sich durchs Leben. Manchmal hilft Musik dabei, den Kurs zu finden. Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre fügte sich in Seattle der Soundtrack einer verschreckten Generation zusammen. Grunge nannte man jene Musik bald, die konstatierte, dass die Lage ziemlich übel sei, bald eher noch schlechter werde, dass es aber eventuell eine Chance gebe, das Schlimmste über sich wegziehen zu lassen: wenn man sich zu einem kleinen harten Ball forme, vielleicht im Kreis guter Kumpels oder im Bett neben einem geliebten Menschen.

Einer der Sänger und Songschreiber, die den Grunge geprägt haben, war der nun im Alter von 57 Jahren gestorbene Mark Lanegan – und dass dessen Namen viel weniger Menschen kennen als den von Kurt Cobain, verrät etwas über die Mechanismen der Medien und der Musikindustrie, aber wenig über die Musiker selbst.

Obdachlos und süchtig

Lanegan sang bei den Screaming Trees, dann bei den Queens of the Stone Age, er hat Soloalben veröffentlicht – aber nichts davon folgte einem Karriereplan, nichts davon schielte auf Trends. Lanegan machte Musik, weil die für ihn das Leben selbst war – oder vielleicht sollte man sagen, die Rettungsleine in einem Kampf auf Leben und Tod. Lanegan war lange heroinsüchtig, ein Säufer obendrein, seine Existenz hing in Fetzen, zeitweise war er obdachlos. In seinen Memoiren „Sing backwards and weep“, die auf Deutsch „Alles Dunkel dieser Welt“ heißen, hat er davon erzählt. Vor allem aber hat er in seinen faszinierend vieldeutigen, eher Stimmungen kartografierenden als klare Gedanken formulierenden Liedern das Ringen zwischen Lebenswillen und Depression dargestellt.

Monate auf der Intensivstation

„ Entweder holt mich ein Lied förmlich aus mir selbst heraus“, hat Lanegan 2015 im Gespräch mit unserer Zeitung gesagt, „oder es trägt mich an einen Platz, an dem ich plötzlich meinen eigenen Film sehe. Lieder, mit denen ich mich identifizieren kann, haben manchmal auch den Effekt, dass ich mich plötzlich in einer Art und Weise sehe, in der ich mich sehen möchte.“ So hat sich der Mann mit der kratzigen, aber sehr beweglichen Baritonstimme denn Labels entzogen, auch Grunge war ihm unbehaglich: ob Blues, Hardrock, Punk oder Garagenrock – wichtig war ihm, ob etwas berührte, nicht, ob es sich an Muster hielt.

Kaum waren seine Memoiren erschienen, schob er einen zweiten Band nach: „Devil in a Coma“. Der schildert in Prosa, Gedichten und Liedtexten seinen besonders schweren Covid-19-Verlauf, die quälenden Monate auf der Intensivstation. Es ist ein Buch der Mahnung und der Reue, denn Mark Lanegan hatte zuvor zu jenen verwirrten Pandemieleugnern gehört, denen Verschwörungsmunkeleien glaubhafter schienen als Notfallmediziner und Virologen. Der nach Irland Übersiedelte bekannte im Januar 2022, er werde „der erste sein, der sich eine Booster-Impfung holt“, sobald die Booster zur Verfügung stünden. Am 22. Februar ist er in seinem Zuhause in Killarney gestorben, die Todesursache wurde vorerst nicht genannt.

Mark Lanegan mit den Screaming Trees: Nearly lost you

Mark Lanegan mit den Queens of the Stone Age: Song for the Dead

Mark Lanegan: One Way Street