Maria (Anna Loos, Mitte) und eine Nachbarin (Bettina Mittendorfer) beruhigen Moritz (Marcus Mittermeier). Foto: ZDF/Stephan Schaar

In der Komödie „Alle Nadeln an der Tanne“ im ZDF spielt Anna Loos eine Frau, die ihren psychisch angeknacksten Bruder zu sich nach Hause holt. Der Ernst einer Familienkrise bleibt durch alle Heiterkeit hindurch spürbar.

Stuttgart - Nein, so etwas tut man nicht. Man zeigt nicht im Abendprogramm des ZDF, wo sonst sowieso viel hausschuhhaft Wohliges läuft, auf der Zielgeraden Richtung Weihnachtsfestbesinnlichkeit einen Film, in dem es um die Zerreißprobe einer Familie geht, um die Aufnahme eines Mannes, der nach schweren körperlichen und seelischen Karambolagen psychisch krank ist. Außer man erzählt das sehr, sehr heiter und mit Happy-End-Garantie vom ersten Bild an, womit man sich den Vorwurf einhandeln könnte, das Thema zu verharmlosen. Man lässt das also lieber – oder doch nicht?

Das Autorenteam Uli Brée und Rupert Henning sowie die Regisseurin Mirjam Unger wagen sich mit „Alle Nadeln an der Tanne“ an so eine Geschichte, die behaglich bleiben soll, aber nicht süßlich werden darf, die möglichst nicht in einer Katastrophe enden, aber die Möglichkeit der Katastrophe und die Belastung durch diese Option spürbar halten soll.

Spuren eines Unfalls

Das Ergebnis ist keine Tieftauchexpedition in seelische Finsternis, die auf den Filmfestivals dieser Welt um Preise konkurrieren könnte, aber eine Überraschung auf einem Sendeplatz, auf dem eine krokantbestreute Edelschnulze gut aufgehoben wäre. „Alle Nadeln an der Tanne“ läuft am Donnerstag um 20.15 Uhr im ZDF und steht bereits vorab in der Mediathek.

Maria Koslowski (Anna Loos) trifft nach Jahren ihren Bruder Moritz (Marcus Mittermeier) wieder, der gerade beinahe vom Dach einer Klinik gesprungen wäre. Moritz war als Fotograf viele Jahre im Ausland, nun ist er zurück – gezeichnet von den Spuren eines Autounfalls, aber auch von anderen alten und neueren Verletzungen. Zu Weihnachten will Maria den Wiedergefundenen nicht in der Psychiatrie lassen, sie holt ihn gegen ärztlichen Rat nach Hause.

Visionen und Flashbacks

In diesem Zuhause steht zwar nicht alles zum Besten. Aber die Probleme werden in der vertrauten Mischung aus quietschbunter Übertreibung und pastellzarter Verharmlosung gezeichnet. Blickte man beispielsweise nur auf die Entfremdung zwischen Maria und ihrem langweiligen Ehemann Kurt, dem reisescheuen Reiseführerautor, der seine Recherchen mit dem Finger auf der Landkarte betreibt, fiele einem die Wette leicht, der absonderliche Moritz werde sich nur als die wohltuende Störung der Routine entpuppen, die alle Beteiligten ins intensivere Leben wachrüttelt.

Aber wenn Moritz tatsächlich auftaucht, wenn er aus freundlicher Hilflosigkeit in unberechenbare Flashbacks kippt, Visionen hat, sich ins Auto der erschreckten Nachbarin setzt und auf Arabisch erklärt, wo es hingehen soll, dann kriselt es plötzlich. Mittermeier gibt dem netten Moritz in solchen Momenten die nötige Kante, damit wir uns auch einige nicht mehr korrigierbare Fehlleistungen vorstellen können. Und Anna Loos schenkt ihrer Maria ab und an ein gar nicht mehr strahlendes Sorgengesicht, das einen grundsätzlichen Zweifel ausdrückt. Hat sie sich gründlich übernommen, und macht sie so für ihren Bruder gerade alles nur noch sehr viel schlimmer?

Flugbahn eines Handschuhs

Wie „Alle Nadeln an der Tanne“ leicht schräge Heiterkeit mit einem steten Rest Beunruhigung würzt, sieht man schön an einem Gespräch zwischen Maria und der Ärztin, der die Rückkehr von Moritz in die Klinik lieber wäre als der Aufenthalt in der Familie. Die Ärztin bittet Maria, doch einen Einmalhandschuh aufzublasen. Die hält nun einen Ballon mit fünf Wülsten in der Hand. Sie solle loslassen, bittet die Ärztin, Maria tut’s, der Handschuh fliegt in wirrer Bahn durch die Luft. Nun solle Maria noch einen Handschuh aufblasen, bittet die Ärztin – und dann vorher sagen, wie seine Flugbahn verlaufen werde. Der Verdutzten erklärt sie, so sei es mit der Krankheit von Moritz. Genaue Prognosen seien unmöglich.

„Alle Nadeln an der Tanne“ ist nur eine Winzigkeit anders als man erwarten würde. Aber diese Winzigkeit, diese Spur Verunsicherung gibt den netten Wendungen ihren Sinn zurück. Sie sind nicht mehr nur Drehbuchroutine, sondern Rettung der Figuren vor echter Gefahr. Schon an diesem Montag läuft zum Vergleich im ZDF „Weihnachtstöchter“, Rolf Silbers Komödie über eine zerstrittene Familie, die sich durch einen Erbfall weiter entzweit und zu Weihnachten wieder zusammengebracht werden muss. Auch hier gibt es ein paar possierliche Spitzen gegen das bürgerliche Leben – aber ein Risiko spürt man dabei nie.

Ausstrahlung: ZDF, Donnerstag, 17. Dezember, 20.15 Uhr. Bereits vorab in der Mediathek verfügbar.