Neuer Anfang in Ruinen: eine Konditorei in Köln Foto: ZDF/Agentur Höffkes

Der Dokumentarfilm „Wir bauen auf“ im ZDF zeigt die deutsche Nachkriegszeit in privaten Filmaufnahmen. Mit trotzigem Aufbaugeist wird der Bombenschutt weggeräumt – auch Stuttgart und andere süddeutsche Orte sind auf den Bildern zu sehen.

Stuttgart - Johann Peter Mettenleiter ist Konditor, sein Café war eine gute Adresse in Stuttgart. Nun stehen er und seine Familie voreinem Trümmerbergam alten Friedrichsplatz, wie die Ecke Friedrichstraße/Kronenstraße einmal hieß. Aber alle, Alt und Jung, haben sie Schaufeln in der Hand und nutzen sie, wie andere auch im zerbombten Nachkriegs-Stuttgart. Nur dass bei den Mettenleiters eine Schmalspurkamera mitlief und deren Aufnahmen auch erhalten blieben. Man kann sie in Jörg Müllners dreiviertelstündigem Dokumentarfilm „Wir bauen auf!“ sehen, der die Nachkriegszeit in Amateurfilmen zeigt und an diesem Dienstag um 20.15 Uhr im ZDF läuft.

Der Schutt rund um die Mettenleiters und die Verwüstung auf anderen Aufnahmen, die etwa den von Luftangriffen schwer mitgenommenen Stuttgarter Hauptbahnhof zeigen, machen jenseits allen Nachdenkens, was denn moralisch gut und richtig gewesen wäre, sehr nachvollziehbar, warum die bundesrepublikanische Gesellschaft zunächst so wenig wissen wollte von ihrer jüngsten Vergangenheit. Da waren gewiss Schuldgefühle im Spiel, die Gefahr der Selbstbelastung und manchmal auch Unbelehrbarkeit.

Ein Café als Kraftakt

Aber da ragte eben auch diese enorme Aufgabe vor einem auf, dieser reale und figurative Trümmerberg, der weggeräumt werden musste. Und dann ging die Aufbauarbeit ja erst los. Es gibt auch Bilder, wie die stolze Familie Mettenleiter bereits im Mai 1948 ihr Café im Neubau wiedereröffnet: Es bleibt immer ein Rest Unerklärbarkeit solcher Kraftakte, die Frage nach den Energiereserven dieser Generation.

Jörg Müllner hat bereits mehrere Dokumentationen vorgelegt, in denen Privataufnahmen vom Dritten Reich und vom Krieg erzählten. Auch in dieser Fortsetzung überraschen am meisten wieder die Farbaufnahmen, die sehr unmittelbar auf uns wirken. Schließlich haben wir gelernt, Schwarz-Weiß als Signal für „ganz andere Zeiten“ zu lesen. Es gibt Bilder aus Köln, Dresden und Krefeld, aber viel Material stammt aus dem süddeutschen Raum, aus Bad Reichenhall, Schönaich und Stuttgart.

Ein Wohltäter verarmt

Am rührendsten ist die Geschichte von Johann Bruecker, einem schon 1907 in die USA ausgewanderten Donauschwaben. Bruecker entwickelte einen der ersten elektrischen Rasierapparate, den Shavemaster, wurde wohlhabend und reiste 1953 nach Deutschland, um seine heimatvertriebene Familie zu suchen und ihr auf die Beine zu helfen. Der schon über 70-Jährige war, über das Schicksal der eigenen Verwandten hinaus, so angerührt von der Lage der Vertriebenen, dass er eine Stiftung gründete und Häuser für die noch immer in Notquartieren Lebenden baute.

In den USA aber versiegten seine Lizenzeinnahmen. Über seinem Engagement verarmte Bruecker, er starb 1965 mittellos. Ein paar der Aufnahmen zeigen ihn in Momenten des Glücks: Als eine Straße feierlich nach ihm benannt wird, strahlt er so viel Stolz, Rührung und doch auch Bescheidenheit aus, dass man wieder einmal staunt, was ein paar Meter Schmalfilm alles fassen können.

Ausstrahlung: ZDF, 1. Dezember 2020, 20.15 Uhr. In der Mediathek des Senders ab 30. November, 20.15 Uhr