Angela Merkel mit General Eberhard Zorn und Noch-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Foto: dpa/Michael Kappeler

Ihre kurze Rede hält sie noch in ihrer gewohnt gleichbleibenden Tonlage, doch als das Stabsmusikkorps zu spielen beginnt, sieht man der Noch-Kanzlerin Angela Merkel die Bewegung an. Nach 16 Jahren wird sie von der versammelten Staatsspitze mit einem großen Zapfenstreich verabschiedet.

Berlin - Die Arbeitsmoral der Pfarrerstochter hat bis zum Schluss gehalten. So, wie es Angela Merkel auf ihrer Sommerpressekonferenz im Juli selbst prophezeite: „Ich werde und bin gefordert. Das wird sich auch bis zum letzten Tag meiner Amtszeit fortsetzen.“ Nun ist dieser Donnerstag nicht ihr offiziell letzter Arbeitstag im Kanzleramt, das dürfte der nächste Dienstag sein. Aber der Große Zapfenstreich am Abend kommt doch einem gefühlten Ende ihrer 16-jährigen Amtszeit gleich – und tagsüber musste sie noch weitreichende Coronabeschlüsse verhandeln.

Die scheidende Kanzlerin hat sich das anders gewünscht, keine Frage. Ihr wäre „wohler“ gewesen, das Land in einer anderen Lage an Nachfolger Olaf Scholz zu übergeben, bekennt sie am Nachmittag. Aber der Ablauf passt natürlich zur Krisenkanzlerin, die darin nur einen weiteren Hinweis auf ein Land und eine Welt in großer Unruhe erkennt.

„Die Welt mit den Augen des Anderen sehen“

Nun steht sie im eiskalten Berliner Dezemberdunkel im Hof des Bendlerblocks, das Verteidigungsministerium hinter sich, und verabschiedet sich mit „Dankbarkeit und Demut“ von ihrem Amt, das sie mit „Fröhlichkeit im Herzen“ auszuüben versucht habe. Die wünscht sie „im übertragenen Sinne auch unserem Land für die Zukunft“. Ihre kurze Rede zu Beginn der Zeremonie gerät zu einem Plädoyer gegen „Missgunst, Missmut und Pessimismus“. Wo Hass und Hetze laut würden, so Merkel, müsse auch der Widerspruch der Demokraten laut werden. Die scheidende Kanzlerin wiederholt das, was sie gern als ihr politisches Vermächtnis sähe, den Einsatz für gegenseitiges Verständnis und internationale Organisationen, mit denen unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden können. Sie ermutigt jene, die ihr nachfolgen, „die Welt immer auch mit den Augen des Anderen zu sehen“.

Angela Merkels Augen verraten, wie sehr das staatliche Abschiedszeremoniell sie bewegt. Nicht während ihrer Ansprache, die sie in jener gleichbleibenden Tonlage vorträgt, die den einen so vertraut und manch anderen gar verhasst ist. Als aber das Stabsmusikkorps der Bundeswehr zu spielen beginnt, kommt beim Nina-Hagen-Song „Du hast den Farbfilm vergessen“, einem „Highlight“ ihrer DDR-Jugend, Bewegung in die Kanzlerin. Leicht bewegt sich der Kopf zum Rhythmus des Liedes, in dessen Text die Insel Hiddensee in ihrem langjährigen Wahlkreis zu Ehren kommt. Im zweiten Stück ihrer persönlichen Auswahl, Hildegard Knefs „Für mich soll’s rote Rosen regnen“, kommen dann die Emotionen: Angela Merkel klammert ihre Hände fest aneinander, Halt suchend, mit sichtbar feuchten Augen.

An der Seite ihrer Lieblingsnachfolgerin

Es ist der Augenblick, der dann doch sehr eindrücklich werden lässt, dass gerade eine Ära zu Ende geht, die Frau abtritt, die die Bundesrepublik mehr als ein Fünftel der Zeit ihres Bestehens regiert hat. Die gesamte Staatsspitze ist vertreten, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier natürlich, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Verfassungsgerichtschef Stephan Harbarth und viele Wegbegleiter wie Peter Altmaier oder Parteifreundfeinde wie Horst Seehofer. Die ganze Zeit an ihrer Seite ist Noch-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die sie einst als Lieblingsnachfolgerin auserkoren hatte, die aber nicht über Merkels Härte verfügte, um im Chefsessel der Noch-Kanzlerpartei CDU lange zu überdauern.

Dem Mann, der sie nun am nächsten Mittwoch aller Voraussicht nach stattdessen beerbt, wünscht die 67-Jährige „alles, alles Gute und eine glückliche Hand und viel Erfolg“. Sie macht damit erneut deutlich, dass sie Deutschland beim ebenfalls anwesenden Olaf Scholz in guten Händen wähnt.

„AKK“ erhält von Merkel eine der roten Rosen, die passend zu Knefs Evergreen in der Kälte stehen. Sie selbst nimmt sich auch eine, winkt in die coronabedingt kleine Menge, steigt ins Auto und fährt lächelnd davon.