Vor der Liebe sind auch Agenten niemals sicher. Rachel (Diane Kruger) verguckt sich in den charmanten Geschäftsmann Farhad (Cas Anvar). Foto: Weltkino/Kolja Brandt - Weltkino/Kolja Brandt

Cas Anvar hat sich in die erste Reihe der Film- und Theaterdarsteller gespielt. Im Gespräch mit unserer Zeitung spricht er über seine Rolle in Yuval Adlers Spionage-Drama „Die Agentin“.

EsslingenGeschichten aus dem Geheimdienst-Milieu haben Filmemacher seit jeher fasziniert. Manches, was da erzählt wird, wirkt wie ein modernes Märchen. Der israelische Bestseller „The English Teacher“ von Yiftach Reicher Atir ist wohltuend anders, weil der Autor früher selbst beim Geheimdienst Mossad war und dessen Arbeit authentisch zeigt. Neben Diane Kruger und Martin Freeman brilliert in Yuval Adlers Verfilmung, die kommende Woche unter dem Titel „Die Agentin“ in die deutschen Kinos kommt, der Schauspieler Cas Anvar, der im Gespräch mit unserer Zeitung über seine Arbeit an diesem Film berichtet.

„Die Agentin“ ist keine klassische Spionage-Geschichte à la James Bond. Macht das für Sie den Reiz der Geschichte aus?
Ja. Der Film erzählt keine eindimensionale Agenten-Geschichte, die vor allem von spektakulären Schießereien und wilden Verfolgungsjagden lebt. Das sollen andere machen, die dafür mehr Geld zur Verfügung haben. „Die Agentin“ ist eine vielschichtige Story, die nicht nur in Schwarz und Weiß gezeichnet ist, sondern auch in allen Grautönen. Wir wollen zeigen, was dieses Milieu mit Menschen macht und welch hohen Preis jemand zahlen muss, der sich in die Welt der Spionage begibt. Das hat mich an diesem Projekt fasziniert.

Sie spielen den Geschäftsmann Farhad, der von einer Frau, die auf ihn angesetzt wird, unwissentlich in dieses Milieu hineingezogen wird...
Er ist anders als die Menschen in seinem Umfeld, muss sich ständig seiner Familie gegenüber beweisen und hat eine gescheiterte Ehe hinter sich. Und dann begegnet er dieser faszinierenden Frau, die alles zu sein und zu haben scheint, was er sich erträumt. Deshalb lässt er sich völlig auf sie ein und glaubt ihr alles. Das ist für mich ein ebenso wichtiger Aspekt dieser Geschichte: Welchen Preis müssen unschuldige Menschen bezahlen, die ohne ihr Zutun in die Achterbahn der Geheimdienst-Organisationen geraten?

Jeder kennt Agentenfilme und glaubt zu wissen, wie es an dieser unsichtbaren Front zugeht. Wissen wir es wirklich?
Nein. In Wahrheit geht es da längst nicht so romantisch zu, wie viele glauben. Stell dir vor, dass dein ganzes Leben aus Lügen besteht und dass du dir in diesem Lügengebäude keinen falschen Schritt erlauben darfst, um nicht enttarnt zu werden. Du musst diese Lügen über viele Jahre hinweg in aller Konsequenz leben. Jede persönliche Beziehung ist auf Lügen aufgebaut. Der einzige, mit dem du ehrlich sein darfst, ist dein Verbindungsoffizier. Und mit jeder weiteren Lüge wird dieses Kartenhaus komplexer und anfälliger. Wer will schon ein Leben voller Lügen?

Man muss kein Agent sein, um mit Lügen konfrontiert zu werden. Auch im Alltag scheinen Lügen immer selbstverständlicher zu werden. Erzählt dieser Film auch etwas über die Natur des Menschen?
Er zeigt uns zumindest, wie weit verbreitet Täuschung geworden ist. Diese Geschichte ist ein extremes Beispiel dafür, wie die Welt schöngefärbt und verdreht wird und wie kleine Lügen ganz selbstverständlich eingestreut werden, um zu einem Ziel zu gelangen. Das hat zugenommen.

Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Unsere Welt ist komplizierter geworden. Wir sind heute durch das Internet mit allem und jedem verbunden und können total anonym bleiben. Plötzlich kann man ungeniert herumfantasieren, falsche Realitäten kreieren und sich mit Hilfe seiner Computer-Tastatur für jeden ausgeben, der man gerne sein möchte. Wer das liest, hat oft keine Chance, Realität und Fiktion voneinander zu unterscheiden. Und vor allem hat das inzwischen oft gar keine Konsequenzen mehr. Lügen und Täuschen war früher viel aufwendiger und hatte oft auch viel ernsthaftere Folgen.

Keiner wird gezwungen, zu lügen ...
Vielleicht liegt es daran, dass vielen in ihrem Leben moralisch und geistig etwas fehlt und dass mancher dann versucht, dieses Defizit durch andere Stimulationen, die er selbst kreiert, auszugleichen. Ohne diese selbst erzeugte Spannung würden sich manche ganz alleine fühlen. Unsere Welt wird durch Geld und Macht bestimmt. Die allermeisten spielen nicht in dieser Welt, werden jedoch von ihr bestimmt. Wenn wir uns nicht selbst unterhalten, fühlen wir uns gelangweilt. Deshalb werden eigene Fantasiewelten kreiert. Meist sind sie harmlos. Was wir in diesem Film erleben, geht viel weiter, weil es scheinbar in einem höheren, nationalen Interesse passiert. Deshalb werden die Lügen komplexer und schwerwiegender. Und sie werden in diesem vermeintlich höheren Interesse immer selbstverständlicher über das ganze Leben von Menschen gestülpt – so wie im Falle meiner Figur. Da nimmt man ganz selbstverständlich in Kauf, dass sein Leben ruiniert wird.

Haben Sie sich mal überlegt, ob Ihnen so etwas auch passieren könnte?
Darüber denke ich inzwischen häufiger nach. Zum Beispiel über die Frage, wie oft man im Leben an einen Punkt geraten kann, an dem man sich für oder gegen etwas entscheiden muss und am Ende vielleicht einen bestimmten Weg geht, von dem einem der eigene Instinkt irgendwie abrät. Plötzlich kann das ganze Leben aus der Bahn geraten. Und man muss sich klar machen: Menschen, die so etwas versuchen wie Rachel, sind unglaublich geschickt in ihrer manipulativen Art.

Das Interview führte Alexander Maier.

Für alle, die sich Yuval Adlers neuen Film „Die Agentin“ im Kino anschauen wollen, verlosen wir einige Freikarten. Wenn Sie gewinnen wollen, schreiben Sie an die Eßlinger Zeitung, Redaktion Kino, Zeppelinstraße 116 in 73 730 Esslingen und notieren Sie den Namen der Hauptdarstellerin, die als Agentin zwischen alle Fronten gerät.

Cas Anvar und „Die Agentin“

Der Film: Viel zu lange hat Mossad-Kontaktmann Thomas Hirsch (Martin Freeman) nichts mehr von der Agentin Rachel (Diane Kruger) gehört – nun erhält er aus heiterem Himmel einen sonderbaren Anruf: Rachel lässt ihn wissen, ihr Vater sei gestorben. Weil sie das nicht zum ersten Mal sagt, ist der Geheimdienst aufgeschreckt: Thomas wird zum Krisentreffen beordert, wo er alles, was er über Rachel weiß, erzählen soll. Zuletzt hatte Thomas sie auf den ahnungslosen Geschäftsmann Farhad (Cas Anvar) angesetzt, den sie zu krummen Deals verführen sollte. Dann hat sie sich in ihn verliebt und ist untergetaucht. Nun will der Mossad wissen, ob Rachel wegen ihres brisanten Wissens gefährlich wird.

Der Schauspieler: Cas Anvar, der in Yuval Adlers Film „Die Agentin“ den Geschäftsmann Farhad spielt, wurde in Kanada geboren und hat an der National Theatre School in Montreal studiert. Der Durchbruch gelang ihm 2003 mit dem Film „Lüge und Wahrheit – Shattered Glass“. Seither hat er sich unter anderem in der Hit-Serie „The Expanse“ und mit dem oscar-nominierten Spielfilm „Raum“ einen Namen gemacht. Und er zählt im Theater zu den profiliertesten Shakespeare-Darstellern der Gegenwart.