Dem „Drachenlord“ folgen Tausende Menschen auf Youtube - viele davon, weil sie ihn verachten. Längst ist der Streit aus dem Netz in der realen Welt eskaliert. Kann ein Gerichtsurteil Frieden bringen?
Hass und Hetze kommen im Internet ständig vor. Trotzdem ist der Fall des Youtubers „Drachenlord“ auch für Fachleute einmalig. Seit Jahren streitet sich der Videoblogger im Internet und in der realen Welt mit seinen Gegnern. Und immer wieder mussten sich Polizei und Justiz mit Straftaten beider Seiten beschäftigen. Jetzt steht der „Drachenlord“ erneut in Nürnberg vor Gericht - und hofft, eine Haftstrafe noch einmal abwenden zu können.
Zu zwei Jahren Haft hatte das Amtsgericht den 32-Jährigen im vergangenen Oktober verurteilt, weil er unter anderem in mehreren Fällen nach gegenseitigen Beschimpfungen handgreiflich geworden war. Dagegen hatten Staatsanwaltschaft und Verteidigung Berufung eingelegt, so dass das Landgericht sich am 23. März wieder mit den Vorwürfen und dem Urteilsspruch beschäftigen wird. Vor Gericht hatte der 32-Jährige damals zugegeben, dass er unter anderem einen Mann vor seinem Haus mit einer Taschenlampe attackiert und einen anderen in den Schwitzkasten genommen hatte.
Wie konnte der Streit so eskalieren?
Doch wie konnte der Streit so eskalieren? Begonnen hatte alles 2014, als der Blogger seine Adresse in einem seiner Videos nannte und seine sogenannten Hater aufforderte, zu ihm zu kommen. Und das taten diese auch. Sein Wohnort kam seitdem nicht mehr zur Ruhe. Nahezu täglich machten sich Schaulustige zu „Mobbing-Wallfahrten“ - wie es der Kölner Internetanwalt Christian Solmecke nennt - in das mittelfränkische Dorf Altschauerberg auf. Immer wieder musste die Polizei wegen Ruhestörung, Hausfriedensbruchs und anderer Anzeigen ausrücken.
„Es handelt sich hier um eine neue Form der Gruppendynamik, die sich im Laufe der Zeit verselbstständigte“, erklärt Solmecke. Ihm sei weltweit kein weiterer Fall bekannt, der über so viele Jahre eine solche Dimension angenommen habe.
„Der Fall ist so herausragend, weil er kein Ende nimmt“, meint auch Medienwissenschaftler Christian Gürtler von der Universität in Erlangen. Der Youtuber steuere selbst viel dazu bei. „Er geht immer auf die Hater und ihre Kommentare ein, wohingegen sich die Hater auch bemühen, ihn immer wieder zu provozieren.“
Viele fuhren betrunken nach Altschauerberg
Die Aussagen der Opfer vor Gericht, die sich zum Teil in anderen Verfahren selbst wegen Vergehen verantworten müssen, zeigten das deutlich. Viele fuhren betrunken nach Altschauerberg und lockten den „Drachenlord“ mit lauten Beschimpfungen oder durch Randale an seinem Zaun aus dem Haus. In einem im Prozess gezeigten Video ist zu hören, wie sie dadurch planen, „ihn in den Knast zu bringen.“ Der Blogger ist zu dem Zeitpunkt schon wegen Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Die Richterin bezeichnete ihn bei der Urteilsbegründung deshalb als Täter und Opfer zugleich. „Dieses Verfahren ist ein trauriges Beispiel dafür, welche Folgen Hass und Mobbing im Internet haben“, sagte sie.
Der Blogger Sascha Lobo bezeichnete das Urteil damals als „empörend“. Der „Drachenlord“ sei „ein Opfer, das unsagbar gequält wurde und dem nichts blieb, als sich zu wehren“, schrieb er in seiner Online-Kolumne beim „Spiegel“. Der Fall zeige: „Wenn ein Tausende Köpfe starker Hassmob im Netz beschließt, eine Person fertig zu machen - kann die Bundesrepublik dem nichts entgegensetzen. Schlimmer noch - der Hassmob ist durch die Unwissenheit und den Zynismus von Staatsorganen und der medialen wie sozialmedialen Öffentlichkeit in der Lage, den Staat zum Komplizen zu machen.“
Immer wieder tauchen „Hater“ auf
Sein Haus hat der 32-Jährige inzwischen an die Gemeinde verkauft und ist weggezogen. Doch auch danach tauchen immer wieder Hater dort auf, um Fotos zu machen oder Innenansichten zu filmen, wie auf einem Telegram-Kanal zu sehen ist. Die Gemeinde wollte das Haus in den nächsten Tagen abreißen lassen. Zumindest in Altschauerberg könnte dann Ruhe einkehren.
Um den „Drachenlord“ ist es dagegen alles andere als still geworden. Er reist jetzt mit seinem Auto umher und postet davon Videos - und auch jetzt beobachten ihn die Hater, teilen auf Telegram Fotos von seinem Auto und versuchen, seinen Aufenthaltsort herauszufinden.
„Es gleicht einer Verfolgungsjagd“, meint Gürtler. Ein Ende ist seiner Ansicht nach nicht in Sicht. „Es wird nicht aufhören, bis er aufhört zu streamen“, sagt der Experte. Ähnlich sieht es Solmecke: Man dürfe nicht vergessen, dass er als Youtuber mit Aufmerksamkeit sein Geld verdiene, sagt er. Die Provokation sei auch Teil seines Geschäfts.