Foto: dpa - dpa

Eine Handvoll Teilnehmer hatte die erste Montagsdemo gegen Stuttgart 21. Die 500. Demo fällt zeitlich zusammen mit dem Jubiläum des Baubeginns. Ein Zufall.

Stuttgart (dpa/lsw)Manchmal schreibt der Zufall seltene Geschichten. Die 500. sogenannte Montagsdemonstration der Gegner das Bahnvorhabens Stuttgart 21 ist so ein Fall. Denn nur einen Tag vor dem Jubiläumsprotest jährt sich ausgerechnet der Baubeginn des heftig debattierten und schwer umkämpften Milliardenprojekts zum zehnten Mal. Ende Oktober 2009 hatten sich die Gegner erstmals vor dem Gebäude in der Innenstadt versammelt für das, was später als «Montagsdemo» bekannt werden sollte. Drei Monate später und nach jahrelanger Vorbereitung rollten dort die ersten Bagger an.

Seitdem forderten die Gegner lange statt der unterirdischen Station mit Anbindung an die Neubaustrecke nach Ulm einen optimierten Kopfbahnhof. Billiger wäre der ihrer Ansicht nach, sicherer auch und leistungsfähiger. Heute sind diese Stimmen deutlich stiller geworden. Doch der Streit um die Tieferlegung des Hauptbahnhofs hat Spuren hinterlassen bei den Menschen in der Stadt.

Der 64-jährige Uli Stübler ist einer der wenigen Demonstranten der ersten Stunde. Mindestens zu dritt seien sie damals gewesen, zwei weitere Frauen hatten sich am selben Abend vor dem Rathaus getroffen und erstmals öffentlich gegen das Bauprojekt demonstriert. Voneinander wussten die Grüppchen nichts, aber das sollte sich schon eine Woche später ändern, als die Demonstranten vor dem Hauptbahnhof bereits zu Dutzenden zusammenkamen. Ein Jahr später zählten die Organisatoren bei einer Montagsdemo bereits rund 15.000 Teilnehmer.

Stübler würde auch heute wieder Plakate bemalen und sich vor den Bahnhof stellen - trotz der mittlerweile fünf massiven Kelchstützen in der Baugrube und trotz all der fertig gebohrten Tunnel. «Die Wut war damals da und die Wut ist geblieben», sagt der Graphiker. Die Stuttgart-21-Gegner standen unter Druck, erinnert er sich. «Die Finanzierungsvereinbarung sollte in Kraft treten. Und da haben wir uns natürlich gefragt, was wir noch machen können.»

"Immer noch so empörend"

Und heute? Warum ist er nach wie vor mit dabei, montagabends, wenn das von ihm entworfene gelbe Ortsschild mit dem roten Längsstrich wieder durch die Fußgängerzone getragen wird? «Tja...», sagt Stübler. «Warum?» Er scheint um die richtigen Worte zu ringen: «Weil die Sache für mich immer noch so empörend ist.» Denn seiner Ansicht nach wird Stuttgart 21 die Ansprüche eines Bahnhofs nicht erfüllen - da können ihn auch die zahllosen Gutachten und Statistiken der Bahn nicht überzeugen. Stübler will auf all die Erfahrungen seit der ersten Montagsdemo an jenem Abend vor 500 Wochen nicht verzichten. «Das hat mir im Laufe der Zeit viel gegeben und mich vieles gelehrt.»

Heute werde das geschrumpfte Demo-Grüppchen oft als etwas schrullige Folklore belächelt, doch habe er auch Freunde gefunden in Reihen der Gegner. Eine homogene Masse sei die Protestbewegung aber nicht. «Viele meinen nach wie vor, die Kraft der Argumente reiche aus», sagt Stübler. Im Stillen wünscht er sich bisweilen, dass die «Grauhaarigen einfach mal weniger brav sind und die Baustelle stürmen».

Am Abend, als Stübler das erste Mal am Bahnhof stand, hat sich auch Barbara Drescher ihr Demoschild über Brust und Rücken gehängt, um vor das Rathaus zu ziehen. «Zu zweit waren wir damals und ich hab ausgesehen wie ein belegtes Sandwich, das durch die Gegend wandert», erinnert sie sich heute. Die Aufbruchstimmung in jener Zeit sei enorm gewesen. «Und damals waren wir noch überzeugt davon, dass das Projekt auf der Kippe steht.» Heute sieht Drescher das anders: «Es hat sich nichts verändert», sagte die Landschaftsplanerin. «Wir haben nichts erreicht. Und das frustriert mich ungeheuerlich.» Die meisten Menschen seien nicht mehr überzeugt, für die Ziele auf die Straße zu gehen, die einst Zehntausend Menschen öffentlich gefordert hätten. «Die überwiegende Mehrheit der Leute denkt, das seien alles nur frustrierte Alte», sagt Drescher.

Interesse der Bürger am Projekt gestiegen

Protest hin oder her, der Tiefbahnhof und der Rest des umfangreichen Projektes wird gebaut, da sind sich Stübler und Drescher heute einig. Aber Stuttgart werde auch nie wieder so sein wie vor dem Baustart vor zehn Jahren, auch das wissen die beiden: «Man hat damals gefühlt, dass die Stadt in Bewegung kommt und ein wenig bewegt sie sich noch immer», sagt Drescher. «Es ist hier eine Zivilgesellschaft entstanden, die es sich nicht mehr nehmen lässt, in Gruppen aufzutreten und penetrant auf der Straße herumzustehen.»

Während sich Stübler beim Kaffee an die «Stunde Null» der «Montagsdemos» erinnert, wächst auf der anderen Straßenseite der neue Tiefbahnhof Stück für Stück weiter. Und die Proteststimmung der Stuttgarter scheint dem Interesse am Projekt gewichen zu sein. Beim jüngsten Tag der offenen Baustelle zählten die Veranstalter der Bahn mit 64.000 Menschen mehr als doppelt so viele Besucher wie in den vergangenen Jahren, das Interesse an der Debatte um den neuen Abstellbahnhof in Untertürkheim fällt gering aus und auch das Verkehrsministerium räumt nun ein, dass sich der Deutschlandtakt der Bahn auch mit dem Tiefbahnhof einhalten lässt.

Heute, zehn Jahre nach Baubeginn und kurz vor der 500. Montagsdemo, sind drei Viertel aller Tunnelröhren fertig, die ersten Stützen für die Dachkonstruktion gebaut und Verträge schon lange unterschrieben. Es fehlen nur noch wenige Baugenehmigungen und zumindest bislang schließt die Bahn nach zahlreichen Preissprüngen weitere Kostensteigerungen aus.