Vor allem für Mieter mit kleinem Geldbeutel ist es schwierig, eine Wohnung zu finden. Das gelte nicht, wenn sie die Kosten übernimmt, glaubt die Stadt. Foto: imago/Arnulf Hettrich

Das Stuttgarter Sozialamt und das Jobcenter zahlen jetzt höhere Mieten für bedürftige Menschen. Die Stadt sieht darin einen Vorteil. Der Mieterverein sieht das anders.

Der seit Jahresbeginn geltende – um 6,8 Prozent höhere – Stuttgarter Mietspiegel 2023/2024 hat auch Auswirkungen auf die Obergrenzen von Mieten, die vom Sozialamt oder dem Jobcenter übernommen werden. Dank der erhöhten Mietobergrenzen stehe auf dem freien Markt „ein ausreichendes Wohnungsangebot zur Verfügung“, will die Stadt nun in einer Marktrecherche ermittelt haben. Das bestreitet der Stuttgarter Mietervereinsvorsitzende Rolf Gaßmann. Von den im Internet recherchierten 639 Wohnungen für Haushalte mit ein bis sechs Personen dürften viele mehrfach gezählt sein und seien insgesamt auch wenig in Relation zu 5000 Namen in der Notfallkartei und 20 000 Personen, die in Stuttgart eine bezahlbare Wohnung suchten.

Welche Miete ist angemessen?

Die Stadt ermittelt die Obergrenzen für Bezieher von Transferleistungen mithilfe ihres Mietspiegels. Sie definiert ein „unteres Marktsegment“, lässt also Vergleichsmieten für Penthäuser außen vor und solche, die Fußbodenheizung, Handtuchwärmer oder eine Dusche mit ebenerdigem Einstieg haben. Weil danach immer noch zu viel Komfort unterstellt wird, nimmt sie vom Rest nur die günstigsten Wohnungen. Die Mietobergrenzen sind dann das Produkt der Wohnfläche und des mittels Mietspiegel ermittelten Quadratmeterpreises.

Wie hoch ist die Mietobergrenze?

Für einen Ein-Personen-Haushalt beträgt sie 566 Euro. Bei maximal zulässigen 45 Quadratmetern Wohnfläche ergibt sich ein Quadratmeterpreis von 12,58 Euro (vorher 11,67 Euro). Bei zwei Personen-Haushalten (bis 60 Quadratmeter sind es 670 Euro, bei vier Personen-Haushalten maximal 923 Euro (bis 90 qm). In der Praxis gilt die Obergrenze aber unabhängig von der tatsächlichen Wohnungsgröße – so kann etwa eine Person auch in einer kleineren Wohnung mit einem höheren Quadratmeterpreis leben, solange die Mietobergrenze nicht überschritten wird. Für einen Vier-Personenhaushalt in einer 60-Quadratmeter-Wohnung würde das rechnerisch einen Quadratmeterpreis von 15,38 Euro ausmachen. Damit läge aber eine gesetzwidrige Mietpreisüberhöhung vor, da lediglich 12,31 Euro gestattet wären. Oder andersherum: die Wohnung müsste zu diesem Preis mindestens 75 Quadratmeter groß sein.

Gibt es überhaupt Billigwohnungen?

Die Stadt sagt ja. Sie hat im Internet nach Wohnungen unterhalb der Mietobergrenze gesucht und für Ein-Personen-Haushalte (ab einem Zimmer) 183 Angebote gefunden, für zwei Personen-Haushalte (ab zwei Zimmer) 89 und für Vier-Personen-Haushalte (ab drei Zimmer) 192. Damit würden also „ausreichend Wohnungen am Markt angeboten“. Ob diese aber an die Empfänger von Transferleistungen vermietet würden, lasse sich nicht sagen; da aber monatlich 175 Haushalte in Stuttgart umziehen würden, sei davon auszugehen.

Ist das schlüssig?

Es stellen sich zumindest Fragen. So hat die Stadt festgestellt, dass zuletzt bei 87 Prozent der Ein-Personen-Haushalte die Miete im Schnitt bei 387,14 Euro gelegen habe, das wäre deutlich unter der Obergrenze von 566 Euro. Das dürfte allerdings daran liegen, dass die Mieter die zulässigen 45 Quadratmeter nicht ausschöpfen. Das bestätigt der Mietervereinsvorsitzende Rolf Gaßmann, der auch auf den Portalen unterwegs war. Er ist skeptisch, ob die Obergrenzen angesichts hoher Angebotsmieten ausreichten, um eine Wohnung zu ergattern. Bei 566 Euro hatte er zwar 74 Treffer für 1-Zimmer-Wohnungen, davon aber allein 22 unter 20 Quadratmetern. Bei der zulässigen Größe von 45 Quadratmetern fand er nur noch 13 Angebote. „Das Sozialamt nimmt also die überteuerten Minizimmer als Beleg dafür, dass es ein ausreichendes Angebot an 1-Zimmer-Wohnungen gibt“, kritisiert Gaßmann. Familien mit zwei Kindern kann er keine großen Hoffnungen machen: Für vier Zimmer bis 923 Euro fand er nur drei Wohnungen – die Behörde dagegen 73 – aber nur deshalb, weil sie lediglich nach Drei-Zimmer-Wohnungen suchte.

Was kann man tun?

Solange man auf den freien Wohnungsmarkt angewiesen ist, wohl nicht viel. Gaßmann sieht bei den Obergrenzen einen Konflikt: Einerseits sollen sie die Anmietung zu Marktpreisen ermöglichen. „Andrerseits erlauben sie ohne gleichzeitige Begrenzung der Quadratmeterzahl nach unten, dass raffgierige Vermieter überhöhte Mieten auf Kosten der Steuerzahler kassieren und zudem den Mietspiegel nach oben treiben“. Die Mieter verspürten aber, sofern Jobcenter oder Sozialamt keinen Druck ausübten, weil man von Amtswegen froh ist, wenn die Klientel überhaupt mit Wohnraum versorgt ist, verständlicherweise keine große Neigung zur Intervention. Deshalb sollten die Behörden zwar durch großzügige Auslegung von Obergrenzen den Wohnungssuchenden zur Wohnung verhelfen, aber danach gleichzeitig gegen überhöhte Mieten rechtlich vorgehen, in dem sie „rigoros von der Mietpreisbremse Gebrauch machen und die Herabsetzung der Miete und die Rückzahlung überhöhter Mietanteile durchsetzen“.

Und wie agiert die Stadt?

Beim Thema Kostensenkung setzt sie eher beim Mieter als beim Vermieter an. In den Fällen, in denen die Kaltmiete über der Obergrenze liegt, wird nach Ablauf eines Jahres geprüft, ob die Senkung auf die Höchstbeträge zumutbar ist. Das sei etwa der Fall, wenn untervermietet würde, bei einem Umzug – oder eben, wenn mit dem Vermieter verhandelt werden könne. Ist ein Umzug nicht zumutbar, wird die Kaltmiete nach einem halben Jahr nur noch in Höhe der Höchstgrenze bezahlt. Liegen bedeutende Gründe wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Rücksichtnahme auf schulpflichtige Kinder vor, kann auf die Absenkung verzichtet werden. Das sei aber der Ausnahmefall.