Weit mehr als drei Milliarden Euro sollen sich die Wirecard-Manager ergaunert haben. Foto: dpa/Peter Kneffel

Die Ermittler werfen Markus Braun und weiteren Wirecard-Managern Betrug in Milliardenhöhe vor. Der Finanzdienstleister hat seit 2015 die Bilanzen gefälscht. Nun hat ein Kronzeuge ausgepackt.

München - Der frühere Wirecard-Chef Markus Braun sitzt erneut hinter Gittern. Diesmal kommt er nicht wie bei einer früheren Inhaftierung gegen Kaution wieder auf freien Fuß, verfügte eine Haftrichterin. Ebenfalls verhaftet wurden der frühere Wirecard-Finanzchef Burkhard Ley und der ehemalige Chef des Rechnungswesens, gab Oberstaatsanwältin Anne Leiding von der Staatsanwaltschaft München 1 bekannt. Dem Trio und weiteren Verdächtigen werde gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Untreue und Marktmanipulation vorgeworfen.

Es geht um mutmaßlich ergaunerte Summen von weit mehr als drei Milliarden Euro. Damit haben sich die zur Last gelegten Vergehen gegenüber ersten Beschuldigungen erheblich ausgeweitet. Auf die Spur gesetzt wurden die Ermittler von einem Kronzeugen. Dabei dürfte es sich um den Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft handeln.

Der hochrangige Manager hat sich selbst der Münchner Justiz gestellt und sitzt in Untersuchungshaft. Er hat gestanden und über seinen Rechtsanwalt mitteilen lassen, dass er mit der Justiz kooperiert. „In Vernehmungen wird von einem streng hierarchischen System, geprägt von Korpsgeist und Treueschwüren gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden als Führungsperson berichtet“, sagt Leiding. Das deutet auf Braun als hauptverantwortlichen Strippenzieher.

Marsalek weiter im Fokus der Ermittlungen

Der jeweilige Tatbeitrag der einzelnen Beschuldigten könne aus ermittlungstaktischen Gründen noch nicht offengelegt werden, schränkte die Oberstaatsanwältin gleichwohl ein. Das bedeutet, dass auch der flüchtige Ex-Vorstand Jan Marsalek nicht aus dem Schneider und weiter im Fokus der Ermittlungen ist. Der 40-jährige Österreicher wird in der Nähe von Moskau vermutet. Dort soll er in einem Anwesen leben, das vom russischen Inlandsgeheimdienst GRU bewacht wird. Der Kreml dementiert.

In München sind die Ermittler zur Erkenntnis gelangt, dass das Wirecard-Management seit 2015 die Bilanzen gefälscht hat. Neben Zeugen würden auch Urkunden diesen Verdacht erhärten, sagt die Justiz. Durch vorgetäuschte Einnahmen seien Bilanzsumme und Einnahmen über Jahre hinweg aufgebläht worden. Dabei dürften in manchen Jahren die Hälfte der Wirecard-Umsätze und alle angeblichen Gewinne frei erfunden gewesen sein. Den Beschuldigten sei spätestens seit Ende 2015 klar gewesen, dass Wirecard mit den real existierenden Geschäften insgesamt rote Zahlen schreibt, erklärte Leiding.

Angebliche Erfolgsgeschichte endgültig als Märchen enttarnt

Damit entpuppt sich die angebliche Erfolgsgeschichte vom deutschen Vorzeige-Start-up endgültig als Märchen und freie Erfindung seiner Manager. Auch auf Treuhandkonten angeblich existierende Vermögenswerte über gut 1,9 Milliarden Euro haben nie existiert, stellen die Münchner Ermittler klar. Um die Illusion gut laufender Geschäfte aufrechtzuerhalten, hätten die beschuldigten Manager unter Vortäuschung falscher Bilanzen rund 3,2 Milliarden Euro an Krediten und sonstiger Gelder von ihren Investoren ergaunert. Die seien wegen der Insolvenz von Wirecard nun höchstwahrscheinlich verloren.

Der mutmaßliche Betrug geht aber noch weiter. 2015 hat der Dax-Konzern in Indien eine Firma zu einem weit überhöhten Preis gekauft, werfen die Ermittler Braun und seinen Mittätern vor. Um mutmaßlich rund 300 Millionen Euro überteuert zugekauft wurde von einem Fonds auf Mauritius, dessen Eigner bislang offiziell nicht ermittelt wurden. Insider vermuten, dass Braun, Ley und andere Ex-Wirecard-Manager hinter ihm stehen.

Oberstaatsanwältin appelliert an weitere Kronzeugen

Ob die Staatsanwaltschaft Anhaltspunkte hat, ließ Leiding offen. Sie richtete aber einen Appell an weitere Kronzeugen. Wer auspacke, könne mit erheblicher Strafmilderung rechnen, erklärte die Oberstaatsanwältin. „Klar ist aber auch, dass der Wert von Informationen mit Fortschreiten unserer Ermittlungen geringer wird“, sagte sie.

Ihr Appell richtet sich mutmaßlich an den flüchtigen Marsalek, der sich mit einer größeren Menge an Geld in Form der Kryptowährung Bitcoin nach Russland abgesetzt haben soll. Auch er wird als einer der Begünstigten hinter dem Fonds auf Mauritius vermutet.