Gegenwehr ohne Wutausbruch: Kretschmann bei Maischberger. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Sandra Maischberger setzt Ministerpräsident Kretschmann im ARD-Talk heftig unter Druck: Hat er grüne Versprechen gebrochen? Der wehrt sich – und räumt Fehler ein.

Das war ein quicklebendiger Schlagabtausch von ARD-Moderatorin Sandra Maischberger und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstagabend in der ARD: Ob er seine Wahlversprechen bei der Windkraft gebrochen habe, ob er nicht besser in der CDU wäre, ob er als radikaler Maoist in seiner Vergangenheit nicht auch Gesetze gebrochen habe wie die Klimaschützer heute? So ging das in einem fort. Sandra Maischberger war angriffslustig – doch Kretschmann – 74 Jahre alt, seit fast 60 Jahren politisch aktiv und seit elf Jahren Ministerpräsident – konterte nach Kräften. Zu einem seiner berüchtigten Zornesausbrüche kam es nicht, allenfalls zum verschmitzten Lächeln. Alles unter Kontrolle.

Unentschlossen bei der Maskenpflicht

Der Themen-Reigen begann mit der Maskenpflicht in Bus und Bahn, die Schleswig-Holstein abschaffen will, und ob da Baden-Württemberg folgen werde, fragte Maischberger. Das wolle er seinem Gesundheitsminister überlassen, sagte Kretschmann und zeigte sich selbst etwas unentschlossen: „Wir gucken uns das mal an.“ Einerseits sei man im ÖPNV ja dicht gedrängt und die Maske sei nicht sehr beschwerlich, andererseits sei man im Übergang von der Pandemie zur Endemie und auch bei Grippe – also Influenza – sei man darauf angewiesen, dass die Leute sich selbst schützen und zuhause bleiben, wenn sie Symptome haben.

Im Winter Eisblumen am Fenster

Dann ging es über zur Energiekrise und dem Energiesparen, und Maischberger erinnerte an die Flucht der Familie Kretschmann aus Polen in 1948, bei dem ein Geschwister von Kretschmann starb, und sie fragte, wie es denn früher so gewesen sei. Sein Leben in der Kindheit sei höchst bescheiden gewesen, sagte Kretschmann, man habe im Winter Eisblumen am Fenster gehabt und auf Strohsäcken geschlafen. „Der Lebensstandard vor 70 Jahren war vollkommen anders.“ Aber auch heute, so berichtete Kretschmann, heize er in seinem Haus lediglich ein Zimmer, die Wohnstube, in seinen Büros gelte die Maxime von 19 Grad. „Wir müssen uns ans Sparen gewöhnen“, so der Ministerpräsident, und wenn die Politik dafür eine Kampagne mache, dann sei das doch gut. Sticheleien von der Berliner SPD-Bürgermeisterin Franziska Giffey, die Kretschmanns Werben für den Gebrauch des Waschlappens als zynisch empfand, wies er zurück als „zugespitzte Äußerungen von Politikern, die ich nicht auf die Goldwaage lege“.

Als Grüner Vermittler beim Bürgergeld

Weiter ging’s im Parcours zum Bürgergeld, da erwartet sich Kretschmann einen „ordentlichen Kompromiss“ im Vermittlungsausschuss, der ein Instrument sei, um den Deutschland vielfach beneidet werde. Als einziger Grüner unter den Länderchefs sieht sich Kretschmann da in einer Mittlerrolle: „Das muss ich gut hinbekommen.“ Eine Festlegung, wo er denn die Stellschrauben drehen wolle, die die CDU als problematisch empfindet – Karenzzeit, Sanktionen oder Schonvermögen von 60.000 Euro?– konnte Maischberger dem Politiker allerdings nicht entlocken.

Windkraft im Mittelgebirgsland

Etwas lauter wurde es dann beim Vorwurf Maischbergers, dass das seit elf Jahren grün regierte Baden-Württemberg seine selbst gesteckten Ziele beim Ausbau der Windkraft nicht erreicht habe. Da wurden dann Windräder gezählt und gelistet. „Machen Sie Versprechen, die Sie nicht halten?“, fragte die Moderatorin. Kretschmann verwies darauf, dass bei der topografischen Lage – „wir sind ein Mittelgebirgsland“ – der Südwesten bei den Ausschreibungen nicht zum Zuge gekommen sei, man habe für einen Südbonus gekämpft im Bund, den Robert Habeck dann erst durchgesetzt habe: „Jetzt wird der Hochlauf bei der Windkraft beginnen.“ Auch die Genehmigungsverfahren -früher bis zu sieben Jahren – würden verkürzt auf drei Jahre, in zwei Landkreisen habe man es schon in acht Monaten zur Windkraft geschafft. Aber Kretschmann räumte auch Fehler ein: „Es liegt nicht immer in der eigenen Hand. Aber wir waren nicht schnell und intensiv genug.“

Erinnerung an den radikalen Maoisten

Was die radikalen Klimaschützer anbelangte, da äußerte Kretschmann Verständnis für deren Anliegen, das sei berechtigt, aber die angewandten Mittel seien „nicht zielführend“, wenn sie von 85 Prozent der Bürger abgelehnt würden. Und es sei doch vollkommen sinnfrei, Kunstwerke zu bewerfen. Ob er in seiner Studentenzeit als radikaler Maoist nicht selbst mal Gesetze gebrochen habe, fragte Moderatorin Maischberger. Eine Sekunde lang musste Kretschmann überlegen, dann meinte er lächelnd: „Einmal habe ich gekifft.“

Warum er nicht bei der CDU sei, fragte Maischberger

Der Grüne, den die Schwarzen lieben: Diesen Slogan brachte Sandra Maischberger wiederholt, und sie wollte wissen, warum er, Kretschmann, in dessen Land die Windkraft floppt und ein AKW weiterläuft, eigentlich nicht bei der CDU sei. „Ich bin ein Grüner“, sagte Kretschmann daraufhin, und dass es dieser Partei zu verdanken sei, dass die Windkraft jetzt preiswerter sei als jedes konventionelle Kraftwerk, und die Pflicht zu Fotovoltaik-Anlagen auf Neubauten in Baden-Württemberg – durchgesetzt in seiner zweiten Legislaturperiode, 60.000 neue Anlagen im Jahr bringend – sei ein „gigantischer Fortschritt“.

Solidarität mit Boris Palmer

Unterhaltsam am Ende dann die kurze Abfrage von Themen: Boris Palmer zurück zu den Grünen? Ja, für den hätte Kretschmann gerne wieder eine „schnelle“ Wiederaufnahme in die Partei. Dass sein Vater den kleinen Winfried Winnetou genannt habe? Ja, das habe ihm gefallen. Ein erneuter Amtsantritt? Werde nicht der Fall sein, so Kretschmann. Und ob er auch für Kanzler Olaf Scholz für jeden Tag bete, dass der gesund und Kanzler bleibe, wie er es 2016 einmal über die damalige Kanzlerin Angela Merkel gesagt habe? Da betonte Kretschmann, dass diese Aussage damals metaphorisch gemeint sei. Aber es sei schon zutreffend, dass ihn mit Merkel mehr verbinde als mit Scholz: „Sie ist Naturwissenschaftlerin, genau wie ich Naturwissenschaftler. Da gibt es eine untergründige Verbindung.“