Sozialminister Manfred Lucha muss sich im Landtag erneut viel Kritik anhören. Foto: dpa/Marijan Murat

Die Kehrtwende von Gesundheitsminister Karl Lauterbach bei der Quarantänepflicht ärgert seinen Stuttgarter Amtskollegen Lucha – sie hat auch Folgen im Landtag.

Das Stuttgarter Sozialministerium reagiert ausgesprochen verschnupft auf Lauterbachs Wende. „Wir nehmen die kurzfristige Volte des Bundesgesundheitsministers, von der wir via Talkshow und Twitter erfahren haben, zur Kenntnis“, erklärt das Sozialministerium auf Anfrage unserer Redaktion. Am Montag hätten die Gesundheitsminister von Bund und allen 16 Ländern nach anderthalb Stunden intensiver fachlicher Debatte im Beisein von RKI-Chef Lothar Wieler den einstimmigen Grundsatzbeschluss über das weitere Vorgehen bei Quarantäne und Absonderung ab dem 1. Mai getroffen, betonen die Beamten des grünen Sozialministers Manfred Lucha.

„Technische Einzelheiten waren noch gar nicht erarbeitet“, teilen sie mit, und es klingt einigermaßen fassungslos. „Wir erwarten nun für die nächste Gesundheitsministerkonferenz am kommenden Montag von Herrn Lauterbach einen praktikablen Vorschlag, der vor allem die Erkenntnisse der Gesundheitsämter und Fachleute berücksichtigt“, fordert Luchas Haus. „Auf dieser Grundlage sollten wir dann eine faktenbasierte, geordnete Debatte zwischen den obersten Gesundheitsbehörden und dem Bundesgesundheitsministerium in Gang setzen.“

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Alle Landesgesundheitsminister können sich durch Lauterbachs Holterdipolter-Wende düpiert fühlen. Aber für Lucha ist die Sache aktuell besonders heikel. Immerhin hat er sich unter Berufung auf die baden-württembergischen Gesundheitsämter neben anderen Lockerungsmaßnahmen eben auch dafür ausgesprochen, die Isolationspflicht zu streichen und stattdessen auf Eigenverantwortung der Infizierten gesetzt. Das teilte Lucha Lauterbach brieflich mit und zwar ohne es zuvor mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann abgestimmt zu haben und nur kurz nachdem der Stuttgarter Regierungschef die Bundesregierung massiv kritisiert hatte: Laut Kretschmann schlägt der Bund den Ländern die Möglichkeiten zur Pandemiebekämpfung mit dem Auslaufen des Infektionsschutzgesetzes aus der Hand. Luchas Schreiben an Lauterbach wirkte, als falle sein eigener Minister dem Stuttgarter Regierungschef in den Rücken.

Lauterbachs Wende hat Folgen in Stuttgart

Lucha hatte Lauterbach in dem Brief aufgefordert, den Wechsel von der pandemischen in die endemische Phase einzuläuten. Damit würde das Coronavirus ähnlich wie eine Grippe ohne Tests oder Quarantäne behandelt. Sein Vorgehen trug Lucha Lob der Gesundheitsämter und von wichtigen Akteuren im baden-württembergischen Gesundheitswesen ein, aber auch einen harschen Rüffel von Kretschmann: Der Brief sei missverständlich, komme zur Unzeit, sei nicht abgestimmt und müsse zurückgezogen werden.

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Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte in der Talkshow von ZDF-Moderator Markus Lanz angekündigt, dass das vor wenigen Tagen angekündigte Ende der Isolationspflicht für Menschen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, doch nicht kommt. „Ich werde das wieder einkassieren, dass die Isolation von Corona-Infizierten nicht mehr von den Gesundheitsämtern angeordnet wird, sondern in die Eigenverantwortung der Betroffenen gestellt wird“, sagte der Gesundheitsminister in der Sendung. Er begründete diesen Schritt mit den negativen Begleiterscheinungen, die diese Entscheidung bei den Bürgern auslösten. Das werde als Signal missverstanden, dass das Virus nicht mehr gefährlich sei

Als Minister müsse er sich korrigieren, wenn eine Entscheidung sich als problematisch erweise, betonte Lauterbach im Fernsehstudio. Zwar hätten die Gesundheitsämter, die unter anderem durch die Anordnung der Quarantäne überlastet seien, das Ende der Isolationspflicht gewollt. Wegen der unerwünschten Nebenwirkungen dieses Schrittes, werden er die Entscheidung aber bereits an diesem Mittwoch korrigieren. Abgestimmt hat er diese Kurskorrektur mit seinen Länderkollegen nicht.

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Die SPD- und die FDP-Landtagsfraktion forderten deswegen die Entlassung Luchas. Begründet wird der Antrag nicht nur mit Fehlern Luchas während der ganzen Pandemie. Den Gipfel des Fehlverhaltens stelle der Vorstoß des Ministers zur Beendigung der pandemischen Lage dar. „Wenn der Sozialminister des Landes Briefe nach Berlin schreibt, die eine völlige Abkehr von der bisherigen Corona-Politik der Landesregierung bedeuten, und der Ministerpräsident ihm öffentlich widerspricht, dann ist das Maß endgültig voll“, wetterte der SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. „Das ist ja eine 180-Grad-Wendung, die eigentlich nicht zu erklären ist“, erklärte sein FDP-Kollege Hans-Ulrich Rülke. Dann sei mit Kretschmanns Intervention die zweite 180-Grad-Wende gekommen. „So spielt man sich und das Land schwindelig“, ergänzte der Liberale.

Nachdem die Landtagspräsidentin Muhterem Aras eine Sondersitzung zum Oppositionsantrag auf Luchas Entlassung abgelehnt hat, soll das Parlament wohl an diesem Donnerstag über den Antrag abstimmen. Kretschmann hat das Begehren der Opposition bereits als „absurd“ zurückgewiesen. Er werde seinen Minister ganz sicher nicht entlassen.

FDP kritisiert Lauterbach scharf

Besonders spannend wird bei der Landtagsdebatte, wie die Liberalen und die Sozialdemokraten politisch mit der Tatsache umgehen, dass nun auch ihr gemeinsamer Ampel-Bundesgesundheitsminister bei der Isolationspflicht eine 180-Grad-Wende hingelegt hat. Für den FDP-Landtagsfraktionschef Rülke kommt koalitionssolidarische Schonung nicht in Frage. „Herr Lauterbach erscheint mit seinem Amt zunehmend als überfordert“, erklärte er auf Anfrage unserer Redaktion.

„Erst kündigt er monatelang eine allgemeine Impfpflicht an und ist nun plötzlich für eine Impfpflicht ab sechzig. Dann kündigt er ein Ende der Isolationspflicht ab 1. Mai an, um in einer Talkshow einen Tag später wieder zurück zu rudern. So macht man das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik kaputt.“ Lauterbachs Fehler animiert Rülke aber auch nicht zu größerer Milde gegenüber Lucha. „Wir beantragen die Entlassung Luchas, weil er in der Pandemie einen Fehler nach dem anderen gemacht hat und nun zudem noch seine Autorität verloren hat, weil ihn der Ministerpräsident öffentlich gemaßregelt hat. Was soll sich daran ändern, wenn Herr Lauterbach irrlichtert?“, erklärte er auf eine entsprechende Frage.

Lauterbach: „Der Fehler lag bei mir“

In der Nacht setzte Bundesgesundheitsminister Lauterbach nach seinem Auftritt bei Markus Lanz jedenfalls noch einen Tweet ab, in dem er seine Aussagen aus der Talkshow noch einmal unterstrich. „Die Beendigung der Anordnung der Isolation nach Coronainfektion durch die Gesundheitsämter zugunsten von Freiwilligkeit wäre falsch und wird nicht kommen“, schrieb er.

„Hier habe ich einen Fehler gemacht. Das entlastet zwar die Gesundheitsämter. Aber das Signal ist falsch und schädlich.“ Er erklärte weiter: „Corona ist keine Erkältung. Daher muss es weiter eine Isolation nach Infektion geben. Angeordnet und kontrolliert durch die Gesundheitsämter.“ Für Mittwoch kündigte er weitere Informationen an. Er betonte: „Der Fehler lag bei mir und hat nichts mit der FDP oder Lockerung zu tun. Es ging um Entlastung der Gesundheitsämter“.

Auf die Entscheidung, dass die Isolationspflicht ab 1. Mai nicht mehr gelten soll und eine „dringende Empfehlung“ für eine fünftägige Isolation an ihre Stelle treten soll, hatte Lauterbach sich erst am Montag mit den Gesundheitsministern der Länder verständigt.

Patientenschützer, Immunologen und viele Verbände hatten die Neuerung kritisiert. Der Sozialverband VdK warf Bund und Ländern vor, komplett auf das „Prinzip Durchseuchung“ zu setzen. „Der Schutz der Risikogruppen spielt für die Politik offenbar überhaupt keine Rolle mehr“, kritisierte VdK-Präsidentin Verena Bentele. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel hatte Lauterbachs Ankündigung als „faktisches Ende der staatlichen Infektionsbekämpfung“ eingeordnet.