In Esslingen entsteht ein komplett neuer Stadtteil. Das Besondere daran: Es soll klimaneutral sein, also die Umwelt nicht belasten.
EsslingenFür den jungen Mann in schmutziger Arbeitskleidung ist es eine Herausforderung. Zögernd nähert er sich der Gruppe von Frauen und Männern, die in sauberer Kleidung intensiv miteinander sprechen und dabei den engen Bürgersteig versperren. Fragend schaut er in die Runde, und tatsächlich öffnet sich ihm eine kleine Gasse, die sich augenblicklich wieder schließt, nachdem er durchgegangen ist.
Einer aus der Gruppe hat Karten, eingeschweißt in Klarsichtfolie, also auch gut für Schlechtwettertage. Aber an diesem Freitag ist es sommerlich warm und trocken. Trotzdem tragen einige Männer Anzugsjacken, Bürohemden und schwarze, geschlossene Straßenschuhe. Das ganze sieht ein bisschen aus wie ein Bildungsausflug von Menschen, die weniger mit Hammer und Meißel zu tun haben wie der junge Mann von der Baustelle, die aber dafür sehr genau wissen, wie sich die dauerhafte Bespielung einer Computertastatur anfühlt.
Und so ist es dann auch: Planer, Verwaltungsangestellte und Politiker machen sich in Sichtweite der großen Baustellen in der Neuen Weststadt ein Bild über das, was gerade dort passiert. Eine Begehung, wenn man so will. Von Menschen, die an mehr oder weniger großen Hebeln sitzen. Gemeinderäte der Grünen, der Freien Wähler und der Linken sind dabei (Andreas Fritz, Carmen Tittel, Annette Silberhorn-Hemminger, Hermann Falch, Tobias Hardt), eine Landtagsabgeordnete der Grünen (Andrea Lindlohr), ein Bürgermeister (Wilfried Wallbrecht), zwei Verwaltungsangestellte (Frank Schneider, der das Planungsamt leitet und Katja Walther, die sich von Amts wegen um Nachhaltigkeit und Klimaschutz kümmert) sowie ein Staatssekretär aus dem Landesumweltministerium (Andre Baumann), der einen persönlichen Referenten (Klaus Eckert) mitgebracht hat. Ergänzt wird das illustre Dutzend von Tobias Nusser, der für eine Ingenieurgesellschaft arbeitet. Sie alle sehen, wie auch zu Beginn der Sommerferien in der Neuen Weststadt noch gebaut und geschuftet wird. Offenbar ist es an der Zeit für eine Zwischenfazit, zu dem auch der dezente Hinweis des Bürgermeisters Richtung Staatssekretär gehört, das weitere Fördermittel benötigt werden. Aber vielleicht ist es auch nur der Terminkalender des Staatssekretärs, der die Menschen zusammenbringt. „Sommertour“ steht im Kalender. Esslingen ist die letzte Station dieser Tour – nach und nach verabschiedet sich auch die Politik in den Urlaub.
Zu sehen ist viel: Einiges ist schon komplett fertig, manches halb fertig und anderes noch nicht angefangen. Ein gigantisches Projekt: Auf über zwölf Hektar Land, einem ehemaligen Güterbahnhofsgelände, entsteht ein neuer Stadtteil – ein Traum für jeden Planer, erst recht, wenn er in einer Stadt lebt, die aus allen Nähten platzt und nicht zuletzt aufgrund ihrer geografischen Lage relativ wenig Platz hat.
Seit 2003 wird der neue Westen geplant, inzwischen auch bebaut. Doch während neue Mauern, neue Fenster, neue Fassaden und lange, dürre Baukräne weithin sichtbar sind, existiert das eigentlich Besondere dieses Stadtteils in Details, die weniger offenkundig sind: Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die ganz große Zukunft, um die Errichtung eines klimaneutralen Stadtquartiers. Wobei „klimaneutral“ ein weiter Begriff ist. In der Regel sagt er aus, dass das neu Geschaffene – ein Produkt, eine Dienstleistung oder ein ganzes Stadtviertel – die Menge an klimaschädlichen Gasen zumindest nicht noch weiter erhöht.
Der kleine Expertenkreis, der sich jetzt durch die Fleischmannstraße Richtung Stadtwerke bewegt, sieht den sogenannten Béla, wie der Block B genannt wird und auch B’ler heißen könnte: Ein fertig gebauter Würfel; unten Gewerbe mit hohen Glasfenstern, oben Wohnungen. Es leuchtet in Anthrazit und Weiß und an den Balkonen ist etwas Glas angebracht, sodass man auf einem der vielen Balkone sogar erkennen kann, dass hier tatsächlich Menschen wohnen. Der einzige Wäscheständer weit und breit wirkt etwas fremd in der steril wirkendenden Straßenzeile. Dahinter kommt ein weiterer Block, der noch im Bau ist, und dahinter ein Gelände, auf dem blaue Baucontainer stehen. Hier soll ein öffentlicher Raum entstehen, ein „Stadtteilplatz“, wie es in den Planungen offiziell heißt. Daneben ist der Bauplatz für den Bau der neuen Hochschule – hier sollen im nächsten Jahr die Bagger anrollen.
Am Ende des Vormittags findet sich die kleine Erkundungsgesellschaft in einem gut gekühlten Raum der Stadtwerke wieder, wo die sinnlichen Eindrücke der Straße mit Powerpointcharts theoretisch abgekühlt werden. Von der Dachterrasse lässt sich das Ausmaß des Vorhabens aus der Vogelperspektive betrachten. Es werden noch weitere Jahre ins Land gehen, bevor das alte und das neue Esslingen ineinander verschmelzen. Aber Teile der Zukunft sind schon sichtbar.