Rekonstruktion und Illustration von Mirasaura in seiner natürlichen Waldumgebung bei der Jagd auf Insekten. Foto: Gabriel Ugueto

Das 247 Millionen Jahre alte Reptil „Mirasaura grauvogeli“ ist ein Saurier aus der Triaszeit. Er zeigt neuartige, komplexe Hautauswüchse, die andere Strukturen aufweisen als Federn bei Dinosauriern und Vögeln. Der Fund ist von herausragender Bedeutung für die Paläontologie.

Körperbedeckungen wie Haare und Federn spielen in der Evolution eine zentrale Rolle. Als komplexe Hautauswüchse ermöglichen sie Warmblütigkeit durch Isolation und erfüllen zugleich Funktionen wie Balz, Wahrnehmung, Abschreckung sowie – bei Vögeln – den Flug.

Sie unterscheiden sich deutlich von den einfachen Schuppen der Reptilien. Solche komplexen Hautstrukturen waren bisher nur bei Säugetieren, Vögeln und ihren nächsten fossilen Verwandten – Dinosauriern und Flugsauriern – bekannt.

Ein Forscherteam unter der Leitung der Paläontologen Stephan Spiekman und Rainer Schoch vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart beschreibt in der Fachzeitschrift „Nature“ ein frühes Reptil aus der Triaszeit namens Mirasaura grauvogeli, was „Grauvogels Wunderreptil“ bedeutet.

Saurier, der auf Bäumen lebte

Der baumbewohnende Saurier besaß einen Rückenkamm mit bislang unbekannten, komplexen Hautauswüchsen, die als evolutionär sehr frühe Alternative zur Feder interpretiert werden.

Der Fund zeigt, dass komplexe Hautstrukturen nicht nur bei Vögeln und ihren nächsten Verwandten vorkommen, sondern möglicherweise bereits vor den modernen Reptilien existierten. Die Entdeckung einer frühen, 247 Millionen Jahre alten “Federalternative“ erweitert das Verständnis der Evolution der Reptilien grundlegend.

Neue komplexe Hautstrukturen als frühe Alternative zu Federn

Der Rückenkamm der neu entdeckten kleinen Echse Mirasaura diente wahrscheinlich dazu, Artgenossen zu imponieren. Er besteht aus einzelnen, sich dicht überlappenden Hautauswüchsen, die jeweils eine federartige Kontur mit einem schmalen Mittelgrat aufweisen.

Echte Federn bestehen aus vielen filigranen, verzweigten Strukturen, die als Federäste bezeichnet werden. Bei Mirasaura gibt es keine Hinweise auf solche Verzweigungen. Aus diesem Grund geht das Forschungsteam davon aus, dass sich die Struktur der neuartigen Hautauswüchse von Mirasaura weitgehend unabhängig von denen der Vögel und Dinosaurier entwickelt hat.

„Mirasaura" liefert den ersten direkten Beweis, dass komplexe Hautauswüchse in der Erdgeschichte deutlich früher entstanden sind als bisher angenommen. Die Entdeckung einer „Federalternative“ bei so frühen Reptilien ist aus evolutionärer Sicht von größter Bedeutung und kaum zu überschätzen. Wir haben tatsächlich eine Art „Wundersaurier“ entdeckt“, erklärt Stephan Spiekman.

Wundersaurier mit Federkleid

Früher galten Dinosaurier als schuppige, träge Tiere, während nur echte Vögel Federn besaßen. Dieses Bild änderte sich grundlegend, als in China gefiederte Dinosaurier entdeckt wurden, die keine Vögel waren. Dadurch verschwammen die Grenzen zwischen schuppigen, „kaltblütigen“ Reptilien und gefiederten, „warmblütigen“ Vögeln.

Die älteste bekannte Dinosaurierfeder ist etwa 150 Millionen Jahre alt. Auch die Flugsaurier – Pterosaurier - trugen wahrscheinlich eine Körperbedeckung aus Federn.

„Mirasaura grauvogeli zeigt, wie überraschend vielfältig Evolution sein kann. Sie hat bereits sehr früh – lange vor den Dinosauriern – eine unerwartete Alternative zur Feder entwickelt. Solche unabhängigen Entwicklungen ähnlicher Strukturen verdeutlichen das enorme Potenzial der Evolution“, erläutert Rainer Schoch, Leiter der Paläontologischen Abteilung am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart.

Wendepunkt in der Paläontologie

„Unsere Studie ist ein weiterer Wendepunkt in einer fast 30-jährigen Entwicklung der Paläontologie, die mit den ersten Funden gefiederter Dinosaurier in China Ende der 1990er Jahre begann. Der Fund von Mirasaura besitzt für uns eine sehr große Bedeutung“, konstatiert Co-Autor und Federspezialist Christian Foth.

Bei der Untersuchung von Mirasaura wurden modernste Techniken eingesetzt – darunter Bildgebungsverfahren am European Synchrotron (ESRF), um den vogelähnlichen Schädel zu rekonstruieren. Er weist eine schmale, fast zahnlose Schnauze, große, nach vorne gerichtete Augenhöhlen und ein gewölbtes Schädeldach auf. Die Schnauze diente vermutlich dazu, Insekten aus engen Baumhöhlen herauszuholen.

Die Drepanosaurier, zu denen auch Mirasaura gehört, gelten als besonders bizarre Lebewesen der Triaszeit. Sie hatten greiffähige Vordergliedmaßen, zum Teil große Krallen, lange, tonnenförmige Körper, einen langen, greiffähigen Schwanz. Damit konnten sie sich wie Affen an Ästen festhalten. Einige Arten hatten zu diesem Zweck sogar eine hakenförmige Kralle an der Schwanzspitze.

„Drepanosaurier sind erst seit wenigen Jahrzehnten bekannt und zeigen viele ökologische Anpassungen. Mirasaura lebte in den ersten Wäldern nach dem großen Massenaussterben am Perm-Trias-Übergang. Der Rückenkamm von Mirasaura mit einer neuartigen Hautstruktur ergänzt die einzigartigen Merkmale dieser Reptiliengruppe“, resümiert der Paläontologe Hans Sues, Mitautor der Studie vom National Museum of Natural History in Washington.

Grauvogels „Wunderreptil“

Ursprünglich wurde das Fossil von Mirasaura im Elsass gefunden. Der Fossiliensammler Louis Grauvogel begann dort in den 1930er Jahren mit der Ausgrabung von Fossilien aus der mittleren Trias. Unter seinen Funden befanden sich auch Fossilien von Mirasaura.

Im Laufe der Jahre baute er eine umfangreiche Sammlung auf, die viele Jahre im Besitz der Familie Grauvogel blieb. Im Jahr 2019 wurde sie an das Staatliche Museum für Naturkunde Stuttgart übergeben. Dort wurde Mirasaura bei der Präparation von Fossilien der Sammlung von dem Mitautor der Studie, Dieter Seegis, entdeckt.

Die Autoren haben das Tier zu Ehren von Louis Grauvogel Mirasaura grauvogeli – „Grauvogels Wunderreptil" genannt. Das Fossil befindet sich heute in der paläontologischen Sammlung des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart.