Diese Werbeplakate haben die Diskussion um werbliche Inhalte entfacht. Foto: Grüne/privat

Der Streaming-Dienst Joyn wirbt für eine Dating-Show, dessen Werbekampagne als sexistisch kritisiert wird. Die Gleichstellungsbeauftragte sieht Handlungsbedarf, auch was Werbeinhalte betrifft.

Stuttgart - „Was Altes? Was Junges? Was Neues!“ Mit markigen Sprüchen, provozierenden Begriffen und tiefen Dekolletés bewirbt die Streaming-Plattform Joyn (Pro 7, Sat 1) zurzeit seine neue Realityshow mit dem Titel M.O.M. Die Plakate dazu hatten in Stuttgart Grünen-Politikerinnen empört, da „sexistisch und herabwürdigend“. Nun sind die Plakate aus den Kästen genommen worden – doch nicht wegen dieser Kritik: „Die Werbekampagnen dauern in der Regel etwa zehn Tage. Die Dekade für diese Kampagne ist am Dienstag ausgelaufen, deshalb wurden die Plakate abgehängt“, teilt das Tiefbauamt der Stadt Stuttgart mit.

Kritik an sexistischen Inhalten

Neben den Kommunalpolitikerinnen hatten sich zwei weitere Stuttgarterinnen über die Kampagne bei Ursula Matschke beschwert. Die Gleichstellungsbeauftragte wird im Zweifel vom Tiefbauamt um eine Stellungnahme gebeten, doch „in dem Fall hat wohl keiner die Abkürzung von Milf für Mother I’d like to fuck gekannt“. Das Tiefbauamt aber beteuert, ihm seien die Plakate nicht zur Überprüfung vorgelegt worden. Dies würden die Außenwerbungsfirmen zu Beginn einer Kampagne nur tun, wenn sie selbst einen Verstoß gegen die Plakatier-Richtlinien der Stadt Stuttgart vermuten würden. Eine Anfrage bei der Ströer Gruppe, die Außenwerbung für Joyn macht, blieb am Donnerstag unbeantwortet.

Das Thema wird damit nicht erledigt sein. „Ich werde mich damit beschäftigen müssen, dass es nicht mehr nur allein um die Visualisierung von Verunglimpfung geht, sondern auch und vielleicht sogar mehr um sexistische Inhalte wie die Herabwürdigung der Frauen zu verfügbaren Objekten“, kündigt die Gleichstellungsbeauftragte an. Man hätte damit eine Ebene erreicht, die neu sei für Stuttgart. Die Kampagne sei für sie auch Anlass, „mit den beiden in Stuttgart tätigen Außenwerbungsfirmen das Gespräch zu suchen“.

Kriterienkatalog erweitern

Seit den 1990er-Jahren sei in die Verträge mit den beiden Stuttgarter Plakatierungsfirmen JCDecaux und Ströer der Passus aufgenommen, dass Werbung „nicht gegen Gesetze, polizeiliche Verordnungen oder gute Sitten verstoßen“ und nicht „frauen- und fremdenfeindlich“ sein darf. Ferner legt der Passus fest, dass die Außenwerbungsfirmen über die Annahme von Aufträgen nach „pflichtgemäßem Ermessen“ entscheidet und Aufträge zurückweisen soll, „deren Ausführung unzumutbar“ wäre.

Laut Kriterienkatalog ist Werbung als sexistisch abzulehnen, wenn die sexuelle Attraktivität von Frauen ohne Sachzusammenhang als Werbemittel verwendet wird, wenn Frauen in Abhängigkeit von und in Unterordnung zu Männern dargestellt werden, die Werbung – offen oder subtil – zu Gewalt gegen Frauen aufruft, der Eindruck erweckt wird, dass Frauen wie Ware als Zugabe zum Produkt erworben werden könnten, die Frauen sexuell jederzeit verfügbar seien oder wenn sie in klischeehaften Rollen, lächerlich oder in demütigender Haltung dargestellt werden. Diese Aufzählung schickte Ursula Matschke im April 2003 an alle Ämter und Eigenbetriebe. Wenn jetzt nicht allein die Darstellung, sondern auch der Inhalt der Werbung unter die Lupe genommen wird, reicht dieser Katalog unter Umständen nicht mehr aus. Die Gleichstellungsbeauftragte will zur nächsten, noch digitalen Beiratssitzung am 17. Juni eine überarbeitete Version vorlegen.

Sexismus wird am häufigsten beanstandet

Der Deutsche Werberat – die Selbstkontrolleinrichtung der Werbewirtschaft und Wächter über die Einhaltung ethischer Grenzen – hat 2019 erneut einen Anstieg von Beschwerden verzeichnet. Laut seines Jahrbuchs 2020 sind im vergangenen Jahr 3636 Einzelbeschwerden eingegangen. In 514 Fällen fällte der Werberat eine Entscheidung, in 373 Fällen lag kein Verstoß gegen den Werbekodex vor. Geschlechterdiskriminierende Werbung, also sexistische Werbung, Frauen- und/oder Männerdiskriminierung, seien immer noch die häufigsten Gründe (259 Beschwerden), warum sich die Bevölkerung mit Protesten an den Werberat wende. In Fällen mit Beanstandung hätten rund 91 Prozent aller Unternehmen ihre Werbung geändert oder gestoppt, in lediglich 13 Fällen erteilte der Deutsche Werberat eine öffentliche Rüge, weil die Unternehmen nicht auf die Beanstandung reagiert hatten.