Die zuständigen Behörden lassen die nötige Behutsamkeit vermissen. Foto: Susanne Güsten

Seit ihrer Umwandlung von einem Museum in eine Moschee sehen Experten das Gotteshaus aus dem Jahr 532 in Gefahr.

Von Noahs Arche soll das Holz der Kaisertüren in der Hagia Sophia stammen, die vom Narthex in den Hauptraum der Hagia Sophia führen und einst nur der byzantinische Kaiser an Feiertagen durchschreiten durfte. Eineinhalb Jahrtausende lang wurden die sieben Meter hohen Tore für künftige Generationen bewahrt. Nun haben Unbekannte sie mutwillig beschädigt: Mit scharfem Werkzeug wurden tiefe Schnitzer in die Verzierungen gegraben, möglicherweise um Splitter des Holzes zu stehlen. Kritiker sehen ihre Befürchtung bestätigt, das Weltkulturerbe werde durch die Umwandlung von einem Museum in eine Moschee zur Zielscheibe.

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Im Gedränge achten Besucher kaum auf die Beschädigungen, und das Aufsichtspersonal ist vollauf damit beschäftigt, Touristen zum Ablegen ihrer Schuhe anzuhalten, damit der grüne Kunststoffteppich nicht beschmutzt wird, mit dem die byzantinische Kirche seit ihrer Umwandlung in eine Moschee vor knapp zwei Jahren ausgelegt ist. Entdeckt wurde der Schaden am Montagabend von Serif Yasar, dem Vorsitzenden des Istanbuler Vereins für Kunstgeschichte, der einem Hinweis aus den sozialen Medien nachging und Alarm schlug. Die gleichgültige Reaktion des Personals habe ihn schockiert, sagte Yasar im Gespräch mit unserer Zeitung. Der Schichtleiter des Wachpersonals erwiderte ihm lediglich, er wisse von nichts. Der diensthabende Leiter der Moschee sagte, er solle nicht übertreiben, der Schaden werde „repariert“. Aufzeichnungen von Sicherheitskameras gebe es nicht.

Gleichgültige Behördenvertreter

Yasar wandte sich am Dienstag an die Staatsanwaltschaft und nahm einen Anwalt, um Strafanzeige zu erstatten. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, forderte er; das Weltkulturerbe der Hagia Sophia dürfe nicht weiterhin ahnungslosen und gleichgültigen Behördenvertretern überlassen bleiben. Die jetzt beschädigten Türen stammen mutmaßlich aus dem 6. Jahrhundert und waren selbst den byzantinischen Kaisern so heilig, dass sie nur zu besonderen Anlässen geöffnet wurden.

Überraschend komme der Frevel an dem Kunstdenkmal nicht, sagte Yasar, nachdem die Hagia Sophia bei der Umwandlung zur Moschee im Juli 2020 aus der Obhut des Kulturministeriums in die Verantwortung des staatlichen Religionsamts der Türkei überging. So sei der Wissenschaftliche Beirat der Hagia Sophia aufgelöst worden, in dem Kunst- und Architekturhistoriker über Schutz und Erhalt der Kirche wachten. Das Religionsamt verfüge nicht über die Expertise, das Denkmal fachgerecht zu bewahren.

Museum oder Moschee?

Die Hagia Sophia wurde unter dem byzantinischen Kaiser Justinian im Jahr 532 als Kirche erbaut; der osmanische Sultan Mehmet II. wandelte sie nach der Eroberung von Konstantinopel im Jahr 1453 in eine Moschee um. Nach Gründung der Türkischen Republik erklärte Staatsgründer Atatürk sie im Jahr 1934 zum Museum. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wandelte sie im Juli 2020 per Dekret wieder zur Moschee um.

Schon damals äußerten Experten die Befürchtung, das 1500 Jahre alte Gebäude mit seiner unvergleichlichen Bedeutung für die Kulturgeschichte könnte Schaden nehmen. In der Apsis ließen die türkischen Behörden weiße Stoffbahnen anbringen, die das weltberühmte Mosaik der Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind verhüllen, weil der Islam keine Abbildungen des Menschen duldet. Zudem ist die Hagia Sophia seit der Umwandlung in eine Moschee rund um die Uhr geöffnet, was eine Überwachung der täglich Zehntausenden Besucher erschwert. Die UN-Kulturorganisation Unesco, auf deren Liste des Weltkulturerbes die Hagia Sophia geführt wird, meldete ebenfalls Bedenken an und gab einen Expertenbericht in Auftrag.