Gespritzt wird im Weinberg seit Jahren nur noch im Ausnahmefall gegen tierische Schädlinge. Meist sind Pilzkrankheiten das Problem. Foto: dpa/Franziska Kraufmann

Der massive Protest von Weinbau und Landwirtschaft gegen die Pläne der EU-Kommission wirkt laut Europaabgeordneten inzwischen. Doch wie könnte ein Kompromiss aussehen?

Der Protest der Weinbauern auch im Remstal gegen die geplante Pflanzenschutzverordnung der EU wird in Brüssel nicht ungehört verhallen. Das zumindest erwartet der Europaabgeordnete Andreas Glück. „Die EU-Kommission rudert bereits zurück, weil sie festgestellt hat, dass sie mit einem pauschalen Verbot nicht durchkommen wird“, sagte der aus Münsingen auf der Schwäbischen Alb stammende Liberale am Donnerstag in Fellbach.

Statt einer generellen Verbannung von Spritzmitteln aus den Weinbergen sei mittlerweile nur noch von „besonderen Schutzgebieten“ die Rede, berichtete Glück bei einem vom FDP-Kreisverband Rems-Murr veranstalteten Meinungsaustausch. Den von der EU-Kommission vorgelegten Entwurf bezeichnete der im Ausschuss für Umweltfragen, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sitzende Parlamentarier als „absolute Oberkatastrophe“. Auch die angestrebte Halbierung der in den Rebhängen ausgebrachten Pflanzenschutzpräparate ist aus seiner Sicht „nicht mal im Ansatz tragbar“.

Chef der Fellbacher Weingärtner spricht von „Berufsausübungsverbot“

Ausgelöst wird die Zuversicht, die Pflanzenschutzverordnung noch politisch kippen zu können, von der massiven Kritik an den EU-Plänen. Das drohende Verbot kommt aus Sicht der Branche einem Todesurteil für den Weinbau gleich, weil extrem viele Rebflächen in Schutzgebieten liegen. Allein in Baden-Württemberg wären 9000 Hektar Weinberg von der neuen Regelung betroffen, an der Mosel würden 90 Prozent der Rebflächen brach fallen und von Buschwerk und Brombeerhecken überwuchert werden. „Auf einem großen Teil der bisher genutzten Fläche wäre kein Weinbau mehr möglich, der Rest keine Grundlage für einen auskömmlichen Betrieb. Im Grunde wäre das für die Wengerter ein Verbot, ihren Beruf weiter auszuüben“, sagt Thomas Seibold, der Vorstandschef der Fellbacher Weingärtner.

Er sieht deshalb nicht nur die Betriebe in Gefahr, sondern auch einen Verlust von Arbeitsplätzen in der Getränkeindustrie, der Gastronomie und dem Tourismus. Ohne Pflanzenschutz geht es laut dem in Fellbach auch als Stadtrat engagierten Familienvater im Weinberg nicht. „Gegen Pilzkrankheiten wie Oidium und Peronospora braucht es Wirkstoffe. Das ist absolut unerlässlich, egal ob man konventionellen oder ökologischen Weinbau betreibt.“ Wert legt Seibold gleichwohl auf die Feststellung, dass Insektengift in den Rebhängen seit Jahren die Ausnahme sei. „Wir Wengerter haben ja ein ureigenes Interesse, verantwortlich mit der Natur umzugehen – nicht nur, weil der Pflanzenschutz ein erheblicher Kostenfaktor ist, sondern auch, weil wir von einem intakten Ökosystem im Weinberg leben“ , sagt Seibold.

Für Wein und Obst wurden die Schutzgebiete überhaupt erst eingeführt

Absurd ist aus seiner Sicht, dass durch die EU-Pläne ausgerechnet die Landwirtschaft in den Landschaftsschutzgebieten bedroht ist. Ausgewiesen seien sie schließlich mit dem erklärten Ziel, die von Weinbau und Obsterzeugung geprägte Kulturlandschaft zu erhalten. Jetzt stehe durch das geplante Verbot von Pflanzenschutzmitteln ausgerechnet der eigentliche Schutzzweck auf der Kippe. „Ich hatte die Hoffnung, dass in Brüssel schneller kapiert wird, dass es sich da nur um einen schlechten Witz handeln kann“, sagt der Fellbacher. Erschlossen hat sich ihm ohnehin nicht, wo der ökologische Mehrwert liegen soll, wenn Wein und Obst in Übersee mit mutmaßlich deutlich geringeren Standards produziert und über tausende von Kilometern in deutsche Supermärkte gekarrt werden. Seibold: „Diese Verordnung zeigt deutlich, wie viel Ignoranz herrscht, wenn es um Lebensmittel geht.“

Ins gleiche Horn stößt Andreas Glück: „Wir sprechen hier nicht nur vom Weinbau, ein generelles Verbot von Pflanzenschutzmitteln wird auch die Landwirtschaft und den Obstbau erwischen – und das in einer Zeit, in der wir in eine weltweite Hungerkrise steuern. Da können wir nicht nur Blümchen zählen und so tun, als ob uns das alles nichts angehen würde“, kritisiert er den Entwurf als „zu grün geprägt“. Allerdings habe sich bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass es Deutschland mit der Umsetzung von EU-Normen in nationales Recht besonders gut meine. Während die Regelungen in anderen europäischen Ländern gern mal ausgesessen oder nur in abgeschwächter Form realisiert würden, setze die Bundesrepublik wie etwa bei der Datenschutzverordnung oft noch eine verschärfte Regelung drauf.

Auch deshalb sei es wichtig, dass die geplante Pflanzenschutzverordnung im Weinbau bereits frühzeitig einen Aufschrei ausgelöst habe. Kritik am Entwurf komme aus ganz Europa, nirgends aber sei der Protest so massiv wie in Deutschland. Zurück führt Glück das auch auf die Tatsache, dass es in der Bundesrepublik mehr ökologische Reservate gibt wie in Frankreich, Italien oder Spanien – nicht zuletzt dank der Landschaftsschutzgebiete sind 27 Prozent der Fläche zwischen Flensburg und Berchtesgaden unter Schutz gestellt. Auch der FDP-Bundestagsabgeordnete und Fellbacher Ortsvorsitzende Stephan Seiter spricht von einer „unsinnigen Überregulierung“. Man müsse alles tun, um den Weinbau als Wirtschaftsfaktor und Kulturgut zu schützen.

Gegen Pilze ist im Weinberg kein Kraut gewachsen

Verwirrmethode
 Auch wenn Normalbürger es beim Anblick von über Steillagen kreisenden Hubschraubern vermuten könnten, wird im Weinbau kaum noch Gift gegen tierische Schädlinge eingesetzt. Mit ein Grund für den Verzicht auf Insektizide ist die erfolgreiche Entwicklung der Verwirrmethode. Mit Sexual-Duftstoffen gefüllte Pheromon-Kapseln werden in den Rebzeilen ausgehängt und verströmen derart viele Locksignale, dass Weibchen und Männchen schlicht nicht mehr zusammenfinden. Das hat nicht zuletzt Raubmilben geholfen, die im Weinberg anderen Schadinsekten den Garaus machen. Positiv auf die Artenvielfalt ausgewirkt hat sich außerdem auch die Begrünung der Rebzeilen.

Fungizide
 Kein Kraut gewachsen ist im Weinberg gegen Pilze wie Oidium und Peronospora. Vor allem bei feuchtwarmer Witterung können die aus Übersee eingeschleppten Krankheiten ganze Weinberge vernichten. Während konventionelle Erzeuger auf chemische Präparate setzen, greifen Biobetriebe zu Backpulver und Schwefel.