Für das geplante Komplettverbot von Pflanzenschutzmitteln in ökologisch sensiblen Gebieten liegen in Brüssel bereits 156 Änderungsanträge auf dem Tisch. Doch mit dem Gesetz zur Wiederherstellung der Natur könnte die umstrittene Regelung durch die Hintertür eingeführt werden.
Die EU-Bürokratie lässt den Weinbau im Remstal nicht zur Ruhe kommen. Nach dem nach wie vor drohenden Komplettverbot von Pflanzenschutzmitteln in allen Schutzgebieten taucht am Horizont jetzt auch ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur auf. Das stellt aus Sicht der beiden liberalen Landtagsabgeodneten Julia Goll und Jochen Haußmann eine noch größere Gefahr für die Erhaltung der landwirtschaftlichen Produktion dar – und betrifft längst nicht nur die Weinerzeuger.
Seit mehr als einem halben Jahr wird über die Zukunft des Weinbaus gestritten. Im Herbst war durchgesickert, dass die EU-Kommission den Einsatz von Spritzmitteln in ökologisch sensiblen Bereichen komplett untersagen will. Das ist im Remstal fast ein Drittel der bestehenden Weinberge, auf manchen Gemarkungen wie etwa in Weinstadt machen die Schutzzonen mehr als vier Fünftel aller Rebflächen aus.
Mehr als 800 Familien sorgen sich im Remstal um ihre Zukunft
Dass nicht mal Biowinzer zur Pflanzenstärkung gedachte Wirkstoffe ausbringen dürfen sollen, hatte zu einem Aufschrei der Branche geführt. Im Schulterschluss mit dem Weinbauverband warnte im Oktober unter anderem Rems-Murr-Landrat Richard Sigel vor dem Aus für den Weinbau. Wie mehrere Rathauschefs wies er auf die Gefahr eines Totalverlusts der untrennbar mit dem Remstal verbunden Kulturlandschaft und der Auswirkungen auf Tourismus und lokale Gastronomie hin.
Seit die Nachricht von der geplanten Verschärfung der Öko-Auflagen die Runde machte, gibt es kein Thema, das den Weinbau im Kreis mehr bewegt. Durch das drohende Verbot jeglicher Spritzmittel in Schutzgebieten bangen nicht nur knapp 60 Weinbaubetriebe in Fellbach und dem Remstal um ihre Existenz. Auch die gut 800 nebenberuflich wirtschaftenden und meist an die Genossenschaften liefernden Familien fragen sich, ob der Rebensaft eine Zukunft hat. „Wer legt noch einen Weinberg an, wenn unklar ist, wie lange er überhaupt Ertrag bringen darf?“, fragte etwa Stefanie Karpf vom Weingut Zimmer in Stetten bei einer Diskussionsveranstaltung.
Erst im Oktober soll das EU-Parlament über den Entwurf abstimmen
Aufgeschreckt durch die Hilferufe aus der Branche veranstaltete die CDU bereits im November in der Remstalkellerei einen „Weingipfel“. Namhafte Weinmacher kamen zu Wort, die lokalen Abgeordneten nahmen nicht nur die Kritik auf, sondern ließen auch eine als „Weinstädter Erklärung“ bekannt gewordene Protestnote unterzeichnen.
Just dieser Tage haben die Organisatoren des „Weingipfels“, neben der Waiblinger Bundestagsabgeordneten Christina Stumpp auch ihre Landtagskollegen Siegfried Lorek und Christian Gehring, die Teilnehmer über den Stand der Dinge informiert. Denn zur geplanten Pflanzenschutzmittel-Verordnung hat allein das christdemokratische Lager mittlerweile 156 Änderungsanträge eingereicht – und deutlich gemacht, dass der vorliegende Vorschlag der EU-Kommission strikt abgelehnt wird. „Parallel kämpfen die EU-Abgeordneten weiter dafür, dass zumindest die Reduktionsziele realistisch und praxisnah gestaltet werden und dass das Pflanzenschutzmittelverbot ‚in empfindlichen Gebieten’ ersatzlos gestrichen wird“, heißt es im Schreiben an die Gipfel-Teilnehmer.
Für die Behandlung im EU-Parlament gibt es folgenden Zeitplan: Am 23. Mai soll der Berichtsentwurf im Agrarausschuss vorgestellt werden, am 19. Juli ist die Abstimmung im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung geplant. Im September stimmt der Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit über die Änderungsanträge ab, im Oktober dann wird das Europäische Parlament in Gesamtheit über den Entwurf abstimmen.
Auch SPD und Grüne im Remstal hatten sich mehrfach gegen den geplanten Entwurf positioniert. Die FDP warnt unterdessen vor einem Gesetzentwurf, der das Pflanzenschutz-Verbot noch in den Schatten stellen könnte: Im Rahmen des Green Deals haben im Europaparlament vor wenigen Tagen die Verhandlungen über die Nature Restoration Law begonnen. „Wir fangen damit die ganze Diskussion wieder von vorn an“ beklagt die Waiblinger Landtagsabgeordnete Julia Goll. Denn in den Vorschlägen ist unter anderem ein Verbot von Pflanzenschutz in Naturschutzgebieten enthalten.
Die Befürchtung der Liberalen: Im Gegensatz zur Spritzmittel-Verordnung ist fürs Gesetz über die Wiederherstellung der Natur der Umweltausschuss zuständig – wo es viel weniger landwirtschaftliche Expertise gibt als im Agrarausschuss. „Wir brauchen eine Allianz in der EU, die solch unsinnige Regelungen verhindert“, sagen Jochen Haußmann und Julia Goll.