Raoul Schrott Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Raoul Schrott ist Erzähler, Lyriker und Übersetzer. In seinem neuen Buch „Eine Geschichte des Windes oder Von dem deutschen Kanonier, der erstmals die Welt umrundete und dann ein zweites und ein drittes Mal“ erzählt er von einem jungen Mann, der mit dem Entdecker Magellan auf Reisen war.

EsslingenRaoul Schrott hat Mut. Keine literarische Herausforderung kann dem österreichischen Übersetzer, Lyriker und Erzähler groß genug sein – ganz egal, ob er Homers „Ilias“ neu übersetzt oder ein Opus über die Entstehung der Erde zu Papier bringt. Und wer sein jüngstes Buch zur Hand nimmt, dem signalisiert die liebevoll-unkonventionelle Aufmachung, dass man es mit einem außergewöhnlichen Werk zu tun hat: Seitenzahlen fehlen, das Cover mit seiner zeittypischen Typografie ziert der Kupferstich einer Weltkarte aus dem 16. Jahrhundert, der Schnitt ist rau, wie man das von alten Folianten kennt. Schrott erzählt auf 324 Seiten „Eine Geschichte des Windes oder Von dem deutschen Kanonier, der erstmals die Welt umrundete und dann ein zweites und ein drittes Mal“ (Hanser-Verlag, 26 Euro). Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der 1519 auf einem der Schiffe des Seefahrers Ferdinand Magellan anheuerte. Hannes hieß er, und er war in Aachen aufgebrochen in der Hoffnung auf Abenteuer, Entdeckungen und ein bisschen Ruhm und Ehre. Weil Hunger, Unterdrückung und Entbehrung seine ständigen Begleiter waren, hat ihn die Realität auf hoher See eine harte Lektion gelehrt: „Die Welt ist ein Karneval, bei dem man lieber seinem Fleisch gleich Ade sagt.“ Doch als er den Horror überstanden hat, hält es ihn nicht in der Heimat, und er wagt sich erneut ins Abenteuer.

Über die großen Entdecker ist viel geschrieben worden – Raoul Schrott fand es an der Zeit, auch von Menschen wie Hannes zu erzählen, ohne die ein Kolumbus oder Magellan nie ans Ziel gekommen wäre. „Alles aus der Chronik der Ereignisse übernommen, alles wahr“, versichert der Autor. Und er lässt Hannes im Duktus der damaligen Zeit erzählen. Weshalb er diese Sprache so authentisch trifft? Schrott verrät, dass er in jungen Jahren begeistert Schelmenromane gelesen habe: „Das jetzt aus dem Ärmel zu schütteln mit der Sprache der Epoche und alldem, was der Volksmund damals hervorbrachte, das ist eine Fundgrube für einen Schriftsteller.“ Wenn Hannes nicht selbst zu Wort kommt, schaltet sich immer wieder der Erzähler ein, der dann ins Grundsätzliche geht: Was hat einen Magellan angetrieben? Und weshalb wagte sich einer wie Hannes erneut ins Abenteuer, obwohl er nach der ersten Reise wusste, worauf er sich einließ? Raoul Schrotts Geschichte spielt im 16. Jahrhundert, doch der Autor betrachtet sie universeller: „Die Habgier, die Eifersüchteleien, das war so altbekannt und so modern, dass es vergnüglich war, es auf einer anderen Bühne darzustellen, einer schwankenden Bühne, von den Wellen und manchmal auch vom Wind angetrieben.“ adi