Am Esslinger ZOB fuhr am Dienstag nur noch ein Teil der Busse. Foto: Roberto Bulgrin

Wie angekündigt, hat am Dienstag die Gewerkschaft Verdi zum Warnstreik im ÖPNV aufgerufen. In Esslingen fielen 63 Prozent der Busse aus. Für den kaufmännischen Leiter des SVE ist der Streik unverhältnismäßig.

Esslingen - Von lahmgelegtem Busverkehr kann am Dienstag zur Mittagszeit am Zentralen Omnibus-Bahnhof (ZOB) in Esslingen keine Rede sein. Einige Fahrgäste stehen an den Bussteigen, denn es gibt Busse, die trotz des Warnstreiks im öffentlichen Personennahverkehr fahren. Auffällig sind aber die teilweise sehr langen Wartezeiten, die auf den Anzeigetafeln zu sehen sind.

Grund für die Arbeitsniederlegung sind die bundesweiten Tarifverhandlungen im kommunalen Nahverkehr (wir berichteten). Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hatte die Beschäftigten im öffentlichen Personennahverkehr darum zu Warnstreiks aufgerufen. Betroffen vom Streik sind acht kommunale Verkehrsbetriebe, unter anderem in Stuttgart und Esslingen. Neben den Stadtbahnen sind in der Landeshauptstadt Busse betroffen, die normalerweise im Stadtgebiet Stuttgart, zum Teil auf den Fildern, nach Sindelfingen, Fellbach, Remseck, Leonberg, Gerlingen und Nürtingen fahren.

„Wie aus der Zeit gefallen“

Auch die Angestellten des Städtischen Verkehrsbetriebs Esslingen (SVE), der mit 63 Prozent der Buslinien in Esslingen den Großteil des Busverkehrs stellt, sind in Streik getreten. Zu Hauptverkehrszeiten setzt der SVE für gewöhnlich 26 Busse ein. „Wir haben heute das Unternehmen unter Vollstreik gesetzt“, erklärt Andreas Schacker, Landesfachbereichsleiter Verkehr bei der Verdi. „Wir haben heute Morgen um 4 Uhr die Tore zugemacht und bis auf vier Notverkehre hat kein Bediensteter – ob im Fahrdienst, in der Werkstatt oder im Kundendienst – heute einen Handschlag getan“, sagt er. Um sicherzustellen, dass Kinder zur Schule kommen, hat der SVE vier Busse für den Schülertransport eingesetzt. Das sei entschlossen worden, um den Verkehr nicht komplett zum Erliegen zu bringen, heißt es von der Verdi. Die Notfahrten „wurden aber nur dort eingesetzt, wo es keine oder nur sehr eingeschränkte Alternativmöglichkeiten gab“, wie der Kaufmännische Werkleiter des SVE, Andreas Clemens, auf Anfrage mitteilt. Verdi-Vertreter Schacker geht davon aus, dass sich ein Großteil der 180 SVE-Beschäftigten am Streik beteiligt hat. Er nennt unter anderem eine gewachsene Belastung und einen erhöhten Arbeitsdruck als Antrieb, weshalb sich die Beschäftigten sich für bessere Konditionen im Tarifvertrag einsetzen.

„Aus Sicht des SVE sind die aktuellen Streikmaßnahmen unverhältnismäßig“, wie Clemens mitteilt. Die Gewerkschaft streike zeitgleich für drei unterschiedliche Ziele. „Als erstes für einen neuen Manteltarifvertrag ÖPNV in Baden-Württemberg, dann mit dem heutigen Streiktag für einen bundeseinheitlichen Rahmentarifvertrag Nahverkehr und als Drittes am Donnerstag für mehr Entgelt im öffentlichen Dienst.“ Insgesamt belaufen sich die Forderungen aus dem Mantel auf 25 Prozent der Lohn- und Gehaltssumme. Parallel laufe eine Entgeltrunde, in der weitere rund fünf Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten gefordert werden, „insgesamt also eine Lohnkostensteigerung für den SVE von rund 30 Prozent“, fasst Clemens zusammen. „Dies erscheint gerade jetzt unter den Einflüssen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona wie aus der Zeit gefallen.“

Fahrgäste sind geteilter Meinung

Die Fahrgäste am Esslinger ZOB blicken am Dienstagmittag unterdessen verwundert auf die Anzeigetafeln über den Bussteigen. Dort ist zu lesen, dass die Busse des SVE bestreikt werden. Mitbekommen haben das offenbar nicht alle. Ein Fahrgast gibt an, schon seit zwei Stunden auf seine Verbindung zu warten. Auch eine Rentnerin aus der Pliensauvorstadt ärgert sich über den Streik. Sie wirft der Bundespolitik vor, sich nicht um die Älteren zu kümmern. Vor Pflegern habe sie großen Respekt, „aber die Busfahrer kriegen den Hals nicht voll“, sagt sie. Ganz anders sieht es eine ältere Dame, die ebenfalls aus Esslingen kommt. Sie habe zwar am Morgen aufgrund eines ausgefallenen Busses einige Kilometer zu Fuß zurücklegen müssen, „aber das finde ich nicht so schlimm“, sagt sie. „Ich stehe voll und ganz hinter den Streikenden.“ Sie habe früher selbst gestreikt, habe also Verständnis dafür, dass sich der Streik auf den Berufsverkehr auswirke.

Nicht betroffen waren die Busse des SVE-Subunternehmens Rexer. Für die Beschäftigten dort gilt ein anderer Tarifvertrag. Auch die S-Bahnen wurden nicht bestreikt. Zusätzliche Waggons seien aber nicht eingesetzt worden, wie ein Sprecher der Deutschen Bahn mitteilt. Viele Fahrgäste, die sonst mit dem Bus fahren, sind am Dienstag offenbar auf das Auto umgestiegen – mit merklichen Folgen für den Esslinger Stadtverkehr, wie der Sprecher der Stadt, Roland Karpentier, bestätigt. Besonders in den Morgenstunden stauten sich auf vielen Straßen die Autos.