Trotz Starkstromtrasse und Windrädern am Horizont ist das Aichelberger Schurwaldpanorama ein landschaftlicher Genuss. Foto: Roberto Bulgrin

Eine Rundwanderung um Aichwald verbindet Aus- und Einblicke mit einem Ab- und Aufstieg. Am topografischen Tiefpunkt der Tour wartet der kulinarische Höhepunkt, Anfang und Ende ist die Kirche in Krummhardt.

Natürlich ist eine Landschaft so, wie sie ist. In unseren Breiten ist sie das seit Jahrtausenden nicht mehr, sondern verändert durch Landwirtschaft, Siedlungen, Verkehr, künstliche neben den natürlichen Wahrzeichen. Aber auch eine Kulturlandschaft ist nicht einfach so, wie sie geworden ist. Mit ihrem weichen oder schrundigen Relief des Auf und Ab, den Schneisen, Spuren und Eingriffen aus älterer und neuerer Zeit wird Landschaft im Auge des Betrachters symbolisch: für Seelisches oder sogar für das eigene Leben, dessen Höhen und Tiefen man wie im Zeitraffer durchmisst, wenn man über Berg und Tal wandert. Solches Sinnieren mag einen begleiten auf dem Rundweg bei Aichwald, von der Erhabenheit der gerodeten Schurwald-Hochfläche – um die 450 Meter über dem Meer, gut 200 Meter über dem Neckar – ins Baacher Tal und zurück.

Sakrales Kleinod: Die Kirche in Krummhardt ist Anfang und Ende der Tour. /Roberto Bulgrin

Die Kirche bleibt im Dorf Anfang und Ende ist, wie es sich gehört, die Kirche im Dorf, nämlich im Aichwalder Ortsteil Krummhardt. Wenn es aus dem Kirchturm über die Hochebene läutet, könnte es sein, dass das Jahr 1487 mitklingt. Eingegossen ist die Zahl ebenso wie der Name des Gießers („pantlion sidler von eslingen gos mich“) auf der älteren der beiden Glocken. Das Datum dürfte übereinstimmen mit der Bauzeit des spätgotischen Kirchenkleinods. Es ist tagsüber geöffnet, sodass man sich auch die gut zwei Jahrhunderte später entstandene rustikale Barockmalerei im Inneren zu Gemüte führen kann: mit Blumen, Ranken und fröhlichen Gesichtern, die offenkundig den Bibelsprüchen an der Kanzel als wahrer Frohbotschaft entgegenlächeln. Als Prunkstück gilt der auf der Empore platzierte, mit zünftigem Mühlrad verzierte Patronatsstuhl des Müllers Jacob Schwilk aus Baach.

In einem Bächlein helle Nach Baach, früher zu Aichschieß, heute zu Weinstadt gehörend, machen wir uns auf den guten, aber abschüssigen Weg (markiert mit blauem Kreuz). Beim Abstieg mit fast 200 Höhenmetern kann man sich gut vorstellen, wie sich einst der Müller bei seinem Kirchgang in umgekehrter Richtung keuchend den Berg hinaufquälte; sollte er dabei geflucht haben, wurde die Sünde im Moment des Begehens durch die Mühsal gesühnt, sodass er am Ende schwer und doch unbeschwert in seinen Patronatsstuhl sinken konnte. Unten im Tale schwimmt derweil nicht nur in einem Bächlein helle nicht nur eine muntere Forelle, sondern derer viele in Schlier-, Gunzen- und Beutelsbach. Und selbstverständlich in der Forellenzucht. Versteht sich, dass die drei Baacher Restaurants den Fisch im Angebot haben, das Rössle, der Adler und die Forellen-Mühle sowieso. Jedenfalls gerät der (topografische) Tiefpunkt zum (kulinarischen) Höhepunkt der Tour. Und Baach selbst, wie es sich so in Wiesen und Talauen schmiegt, wirkt wie ein Zentrum der Weltabgeschiedenheit mitten im Ballungsgebiet.

Jetzt geht’s aufwärts Doch so hold sich das Tal auch weitet – es will verlassen sein. Zunächst geht’s noch auf der Talsohle ein Stück der offenen Pforte gen Remstal zu, dann beim Wanderparkplatz links zwischen Gartenhausgebiet und Waldrand aufwärts – mit zunehmender Steigung, aber auf bequemem, asphaltiertem Weg. Beschleunigter Puls, beschleunigter Atem – aber weit ist es nicht mehr. Immer den Schildern Richtung Aichelberg folgen, nach den Gärten im offenen Gebiet noch einmal links abzweigen und dem Finale entgegenschnaufen, das nicht so lang ist als befürchtet: Wir müssen nicht ganz hoch bis zum Ort, bei einem frei stehenden Haus, in Sichtweite der einige Meter weiter oben befindlichen Aichelberger Kelter (heute eine Imkerei), führt ein Weg links in die Weinberge, dem wir folgen.

Der Weg führt unterhalb der Kelter in Aichelberg vorbei. Im historischen Gebäude, wahrscheinlich aus dem späten 18. Jahrhundert, wurden zum letzten Mal 2015 Trauben angeliefert. 2019 ist eine Imkerei eingezogen. Foto: Roberto /Bulgrin

Zur schönen Aussicht Nur noch leicht ansteigend zieht der Weg den Hang entlang, mündet in einen anderen, der eben die Höhe hält. Nach dem lodengrünen Wald- und Wiesental sind wir in einer anderen, lichteren Welt, mit dem Panoramablick schweifend über monumental geschwungene Schwurwaldhügel, die sich in den Sonnenschein über Seiten- und Remstal wölben. Ein paar Windräder fallen auf – nein, Gott bewahre, nicht im Kreis Esslingen, drüben in Rems-Murr. Ob Verspargelung oder Energiewende, muss jeder selbst entscheiden. Auf Aichwalder Gemarkung schneidet eine Starkstromtrasse den Himmel in Tranchen. Zivilisation halt. Und ein eigenes Schriftzeichen im Kontext der Landschaft, den es trotz allem nicht zerstört. Erhalten bleibt, freilich mit den Narben von Zersiedelung und Verkehr, die Dynamik der Topografie, die landschaftliche Erzählung von urtümlichen Wäldern (auch wenn sie längst keine Urwälder mehr sind), Licht und Fruchtbarkeit, Natur, Kultur und allmählichen oder dramatischen Übergängen: eine Geschichte eigener Art, der Landschaft eingeschrieben und ablesbar.

Gehen wir weiter, bis der asphaltierte Weg, dem Waldrand folgend, im rechten Winkel auf einen anderen asphaltierten Weg stößt. Hier ein paar Meter nach rechts aufwärts, bis der Spiel- und Grillplatz zur Schlussrast einlädt. Denn nur noch ein kurzes Stück ist es, an dieser Kreuzung links abbiegend auf den mit blauem Punkt markierten Fahrweg, bis zurück zum Start.

Kurz gesagt Sieben Kilometer, rund 200 Höhenmeter runter und rauf, kinderwagentauglich auf guten, überwiegend asphaltierten Wegen, aber nicht ganz unanstrengend. Und wie kommt man hin? Der Ausgangspunkt, die Krummhardter Kirche, ist mit dem Bus 114 ab Esslingen zu erreichen – je nach Tag und Zeit direkt oder etwas umständlich mit Umstieg in Aichelberg.

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Ein Kind der Gemeindereform

Entstehung
Die Gemeinde Aichwald ist dieses Jahr gerade 50 geworden – ein Baby in einem mindestens 25 Mal älteren Siedlungsgebiet. Aichwald ist ein Kind der Gemeindereform, am 1. Januar 1974 zusammengefügt aus den zuvor selbstständigen Ortschaften Aichschieß (mit Krummhardt), Aichelberg und Schanbach (mit Lobenrot).

Entwicklung
Die neue Gemeinde hatte bei ihrer Gründung knapp 6000 Einwohner. Vorausgegangen war in den jetzigen Teilorten ein bemerkenswerter Bevölkerungszuwachs seit den frühen 1950er Jahren. 1950 zählte man in den drei heute zu Aichwald gehörenden Gemeinden 1847 Einwohner. Vor dem Krieg, im Jahr 1939, waren es 1294 Einwohner. Bis zu diesem Jahr stagnierte die Entwicklung seit dem späten 19. Jahrhundert. 1871 etwa gab lag die Gesamtzahl bei 1237. Erst die Flüchtlinge in der Nachkriegszeit, dann aber vor allem der Bauboom der 1960er und 1970er Jahre haben die Einwohnerzahl vervielfacht. Am dynamischsten war die Entwicklung zwischen 1961 (2666 Einwohner) und 1980 (7657). Der Höhepunkt war 1990 mit 8122 Einwohnern erreicht. Bei der jüngste Zählung von Mai 2023 lebten 7667 Menschen in Aichwald. In den vergangenen 30 Jahren waren also keine großen Zu- oder Abwanderungen zu verzeichnen.

Wandel
Die Statistik belegt den Strukturwandel eines ursprünglich rein landwirtschaftlich geprägten Gebiets: Immer mehr der Bewohnerinnen und Bewohner arbeiteten mit der zunehmenden Industrialisierung des Neckar- und Remstals in den dortigen Fabriken. Zu diesen Auspendlerströmen zur Arbeit kamen in den Jahrzehnten nach dem Krieg die Einpendlerströme zum Wohnen und Schlafen hinzu: ein typischer Speckgürtel-Effekt, der ländlichen Raum zur Peripherie eines Ballungsgebiets verwandelt.