Nach zwei Jahren Zwangspause wird in der Murr- und der Remsmetropole wieder gefeiert. Impressionen von den Straßenfesten in Backnang und Waiblingen.
Ihr erstes Backnanger Straßenfest hat Kirstin Schmidt zu dessen Premiere 1971 erlebt, allerdings davon wohl noch nicht viel mitbekommen. Ihre Mutter war hochschwanger, doch Kirstin ließ sich noch bis zum September mit ihrer Geburt Zeit. Die Premiere im Bauch eingerechnet, habe sie kein einziges Straßenfest verpasst, sagt die Frau stolz, die in diesem September 51 Jahre alt wird. Aber sie ist auch sicher, damit keineswegs ein Exot zu sein. Der Nationalfeiertag, der sich über 77 Stunden erstreckt, sei einfach Pflicht für alle, die im Flecken geboren sind – und zum Teil auch darüber hinaus. „Fernbleiben geht eigentlich nicht. Allerhöchstens nur mit einer glaubhaft triftigen Entschuldigung.“
Das Motto: „Koi Zeit, Stroßafescht“
Am Samstag steht Kirstin Schmidt zusammen mit anderen Familien vor einem Regal, in dem alle bisher erstellten Fest-Bierkrüge aufgereiht sind. Der Heimatverein hat im Helferhaus auf dem Stiftshof eine Ausstellung zum Straßenfest-Jubiläum zusammengestellt. Das Motto „Koi Zeit, Stroßafescht“ gilt auch für die 82-jährige gebürtige Gelsenkirchenerin Annegret Wilhelmsen, die 1967 ins Weissacher Tal gezogen ist und relativ bald straßenfestinfiziert wurde – von ihrer Freundin, der Mutter von Kirstin Schmidt. Und so ist auch für sie das letzte Wochenende im Juni seit Jahrzehnten fest reserviert für das größte erweiterte Familien- und Klassentreffen im nördlichen Teil des Rems-Murr-Kreises.
Eröffnet worden ist dies abends zuvor mit fünf vom Stadtturm abgefeuerten Böllerschüssen. Dass man im Ritus von der Zahl der Jahre auf Jahrzehnte umgeschwenkt sei, habe ganz gewiss nichts mit schwäbischer Sparsamkeit zu tun, betonte der Oberbürgermeister, Maximilian Friedrich, für den das 50. Straßenfest als OB eine Premiere war. Vielmehr habe man das heuer mit Rücksicht auf die „derzeitige Situation in Europa“ entschieden. Allerdings wurden die Knaller der örtlichen Schützengilde erstmals optisch untermalt: Mit entsprechendem Rauch wurde der Stadtturm in die Backnang-Farben Blau und Gelb eingehüllt.
Danach gab es 250 Liter Freibier für alle, die dem Regen auf dem Marktplatz trotzten. Eine Gelegenheit für Friedrich, um einen alten Wahlkampfslogan, seines Vorgängers – „Fröhlich feiern kann die Stadt, wenn Nopper mal das Sagen hat“ – zu verlängern: „Mit Friedrich jedoch merke dir, gibt’s dazu noch viel mehr Bier“. Der Stuttgarter Stadtchef Frank Nopper ließ es sich dennoch nicht nehmen, beim Einschenken an alter Wirkungsstätte zu assistieren.
Blasmusik und Mittelalter in Waiblingen
Blasmusik und Mittelalter
Auch in Waiblingen hat es parallel zu Backnang eine Eröffnungsreden-Premiere gegeben. Der neue Oberbürgermeister Sebastian Wolf durfte in jener Stadt, in der er selbst aufgewachsen ist, den Start der 46. Auflage des Altstadtfestes verkünden. Auch dort war nach zwei Jahren Zwangspause die Sehnsucht nach dem wichtigsten gesellschaftlichen Treff spürbar.
Spätestens am Samstag herrschte nach dem etwas durch Regengüsse beeinträchtigte Auftakt am Freitagabend bei strahlendem Sonnenschein ausgelassene Stimmung allerorten. Während auf dem Elsbeth-und-Hermann-Zeller-Platz vor der Michaelskirche die Stadtkapelle mit Marschmusik den Ton angab, machte sich hinter dem Bürgerzentrum das Mittelalter in der Gegenwart breit. Schon beim Kulinarikangebot war klar: Hier ist man der Zeit entrückt. Es gab Ochsenfetzen und Fleischlappen im Brötchen, den Durst bekämpfte man mit Met in allen möglichen Varianten oder Flüssigkeiten wie dem Knollen-Trunk (Ingwer-Prosecco). Am Marktstand des Berchtesgadener Honigstüberls entpuppte sich insbesondere ein Liebestrank (Hauptkomponente ebenfalls Ingwer) als Verkaufsschlager.
Einblicke gab es in alte Handwerkskünste wie Brettchenweben, Leder punzieren oder in der Pergament- und Buchmanufaktur. Bei „allerley fröhlicher Kinder-Arbeit“ konnten sich die Jüngsten im Gestalten von Moosschwertern und Haarkränzen oder im Flechten von Körbchen ausprobieren. Für Unterhaltung sorgten Pepe der Büttel, Theo der Reimsprecher und Shows wie die von Majandra & Dusan und den Burdyris mit ihren brennenden Schwertern. Musik gab es von Gruppen Poeta Magica oder Totus Gaudeo.
Auch zahlreiche Gäste passten sich den Gegebenheiten an. Udo Engel aus Ebersbach an der Fils etwa, der im richtigen Leben eine Reinigungsfirma leitet, kam als frühmittelalterlicher Schamane, Mama, Papa und das siebenmonatige Töchterchen Jentsch aus Schwäbisch Hall in eindrucksvollen Fantasykostümen. Das Familienoberhaupt, in der Gegenwart ein IT-Spezialist, erklärt, warum: „Weil wir uns bei manchen anderen Mittelaltermärkten in Zivil etwas blöde vorkamen, machen wir das jetzt immer so.“ Und schon jetzt freuen sich alle inklusive der Straßenfest-Gemeinde auf das nächste Jahr.
Weitere Bilder von den Straßenfesten unter: stzlinx.de/strassenfestwnbk