Medizinisches Personal untersucht den Zustand eines Patienten im Krankenhaus Jinyintan in Wuhan. Foto: Uncredited/CHINATOPIX/AP/dpa Foto: DPA - Uncredited/CHINATOPIX/AP/dpa

Mehr als 60.000 Fälle von Sars-CoV-2 sind in China erfasst worden. Die Aussagekraft dieser Zahlen ist deutschen Experten zufolge aber sehr beschränkt. Sie haben sich jetzt zum Wissensstand über die neuartige Lungenkrankheit geäußert.

Berlin (dpa) - Nach dem schweren Ausbruch der Lungenkrankeit Covid-19 in China hoffen deutsche Experten auf eine erfolgreiche Eindämmung in den anderen Ländern.

Man verwende darauf sehr viel Kraft und habe die Hoffnung, dass langanhaltende Infektionsketten verhindert werden könnten, sagte der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler.

Er verwies bei einer Veranstaltung von Science Media Center und Nationaler Akademie der Wissenschaften Leopoldina mit mehreren Experten aber auch darauf, dass man derzeit die Dynamik des Ausbruchs nicht vorhersagen könne. Ein Überblick:

AUSBREITUNG: Bisherige Daten deuten laut Wieler darauf hin, dass die neue Lungenerkrankung Covid-19 in China ähnlich verläuft wie eine schwere Grippewelle. China unternehme drastische Maßnahmen, so dass sich das Virus bislang nicht größer außerhalb des Landes verbreitet habe. Wichtig sei, dass es bislang bei den Ansteckungsketten außerhalb Chinas immer einen Zusammenhang mit China gegeben habe. «Das ist eine wichtige Aussage, weil man damit belegen kann, dass sich das Virus noch nicht weit in der Welt verbreitet hat.»

VIRUS: Wie der Virologe Christian Drosten (Charité Berlin) erklärte, vermehrt sich Sars-CoV-2 wie das Influenzavirus im Rachen, was es ansteckender mache als anfangs vermutet. Der Ursprung des Virus werde vielleicht nie gefunden, sagte Drosten. Berichte, Schuppentiere seien die Quelle, halte er für wenig sinnvoll, da diese keine Fledermäuse fräßen. Fledermäuse gelten als Virus-Reservoir. Möglicherweise habe sich das Virus irgendwo in China Menschen angenähert, bevor es auf dem Markt in Wuhan eingeschleppt wurde, von wo die ersten Fälle gemeldet wurden. Es scheine so, als sei das Virus gut an den Menschen angepasst.

STRATEGIE: Die bisherigen Bemühungen um Eindämmung in Ländern außerhalb Chinas wertete Wieler als «sehr, sehr erfolgreich». Ziel in Deutschland ist es nach RKI-Angaben, eine Erkrankungswelle hinauszuzögern. Möglichst vermieden werden soll demnach, dass eine Covid-19- und die derzeit auch in Deutschland laufende Grippewelle zusammenfallen. Drosten wies jedoch auf perspektivisch begrenzte Möglichkeiten der Eindämmung hin: «Irgendwann wird es wahrscheinlich dazu kommen, dass unbemerkte Infektionen plötzlich bemerkt werden.»

AB WANN IST ES EINE PANDEMIE? Von einer Pandemie könne man noch nicht sprechen und es bestehe auch die Chance, dass es keine werde, sagte Wieler. «Das entscheidende Merkmal ist, dass es sich auf mehrere Kontinente verbreitet. Das ist zurzeit schon der Fall.» Aber das wichtigste - und bisher nicht erfüllte - Kriterium seien Infektionsketten in der Bevölkerung, die sich nicht mehr nachvollziehen lassen.

ZÄHLWEISE: Die derzeit aus China bekannten Zahlen seien mit Vorsicht zu genießen, betonten die Experten. «Es sind Trends», so Wieler. Laut Drosten spiegeln die Werte eher Kapazitäten des Meldesystems wieder.

WER STIRBT? In China liege die aus der Statistik abzulesende Sterberate bei etwa zwei Prozent, außerhalb davon bei 0,2 Prozent, sagte Wieler. Drosten betonte, Covid-19 trete für die meisten als Erkältungskrankheit in Erscheinung. Besondere Risikogruppe seien ältere Patienten. Selbst Menschen, die wenig oder keine Symptome verspüren, können den Fachleuten zufolge andere anstecken.

WAS WÄRE WENN? Im Fall einer Infektionswelle hierzulande würde das unter anderem volle Wartebereiche und Arztpraxen, belegte Intensivbetten und vollkommen überlastete Gesundheitsämter bedeuteten, sagte Drosten. Es sei aber unklar, wann die Welle komme und wie groß sie werde. Der Vorstandschef der Charité, Heyo Kroemer betonte, man bereite sich intensiv vor. Das Krankenhaussystem fahre im Winter generell unter Volllast - im Fall von Infektionen hierzulande hätten die Einrichtungen aber Spielräume, zum Beispiel durch das Verschieben nicht dringender Operationen.

WER IST SCHULD? Drosten betonte, es handle sich um ein Naturphänomen - mit dem Finger auf andere zu zeigen, sei unangebracht. Wichtig sei vielmehr, dass sich jetzt jeder in Deutschland Wissen über die Erkrankung aneigne und sich zum Beispiel frage, wie man Menschen mit Grunderkrankungen in der Familie schützen könne. Generell sei zum Beispiel gründliches Händewaschen zur Vorsorge für die Bevölkerung geeignet, das Tragen von Mundschutz hingegen nicht, machten die Experten deutlich.

OFFENE FRAGEN: Unklar seien unter anderem die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus und die Frage, wie viele Menschen ein Infizierter anstecken kann, sagte Wieler. Drosten zufolge wären damit bessere Voraussagen zur weiteren Entwicklung möglich, etwa ob ein schleichender Prozess oder mehrere Infektionswellen bevorstünden.