Vor der Premiere: Felix Metzner inszeniert „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ nach dem Roman von Sasa Stanisic an der Esslinger Landesbühne. Aus Idyll wird Krieg, aus Krieg Flucht, aus Flucht Rückkehr – und mittendrin ein großer Geschichtenerfinder.
Da ist diese Erinnerung, die alles größer, greller, schöner, schlimmer macht. Ein Idyll, dieses Jugoslawien, wo der Lehrer irgendwann das Bild des toten Diktators Tito abhängt. Seine Schüler nehmen’s lustig. „Diese Erinnerungen sind ein Zerrspiegel“, erklärt der Regisseur Felix Metzner. „Das gibt uns die Gelegenheit für fantastische Szenen auf der Bühne, eine ganz besondere Magie.“ Die Geschichte Aleksandars, des jungen Bosniers aus Sasa Stanisic’ autobiografischem Roman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“, ist schließlich die eines Erinnerungsgenies und Fabuliertalents. „Poetische Momente und Traumsequenzen“, so Metzner, durchziehen denn auch den Originaltext, seine Theaterfassung, die er vom Autor absegnen ließ, und seine Inszenierung, die am Donnerstag an der Esslinger Landesbühne Premiere hat.
Erst bunt, dann fahl und kahl
Und doch ist der Realitätsbezug schlagend. Das Idyll zerfließt wie der Staat, dem es galt, im Blutstrom des Jugoslawienkriegs. Danach ist alles fahl und kahl: das Deutschland, in das Aleksandar mit seiner Familie flieht, aber auch das quasi blutleere Bosnien, in das er viel später zurückkehrt und wo die Freundschaft mit seinem einst besten Kumpel Edin, der dort geblieben war, an gegenseitiger Verständnislosigkeit zerbricht.
„Im ersten Teil, dem Bosnien vor dem Krieg, ist die Szene bunt und opulent“, sagt Metzner. Bühnen- und Kostümbildner Johannes Weckl verrät: „Für die Flucht wird alles eingepackt in einen Wagen, bis die Bühne leer ist.“ In diesem kargen Raum beginne der der zweite, der Deutschland-Teil. Aleksandar – und mit ihm das Publikum – erfahren, wie es ist, als „Jugo“ tituliert zu werden, obwohl es Jugoslawien nicht mehr gibt und die „Jugos“ sich gegenseitig den Schädel einschlagen. Oder wie es ist, wenn die Polizei keinen Schnaps trinkt, wenn sie kommt. Manches ist besser, findet Aleksandar. Dann „reist die Inszenierung“, so Weckl, „mit zurück nach Bosnien, das nicht mehr dasselbe Land ist.“
„Geschichte vom Erwachsenwerden“
„Es ist vor allem eine Geschichte vom Erwachsenwerden“, sagt Metzner. Aber eines Erwachsenwerdens vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund von Krieg, Vertreibung, Tod. Ein Flüchtlingsschicksal, verallgemeinerbar und doch besonders dank Stanisic’ Fähigkeit zu erhellendem Humor in der Katastrophe, der weder peinlich noch zynisch noch verkrampft wirkt. Und das spiegelt sich in der Fähigkeit seines Alter Ego Aleksandar, durch das Erfinden von Geschichten „seine Traumata und Ängste wie in einer Therapie zu bewältigen“, sagt Metzner. Und so strömt durch Aleksandars Fantasie nicht mehr das Blut des Krieges, sondern der Fluss seiner Jugend, die Drina. In Metzners Inszenierung tritt sie personifiziert auf, zunächst – als Wellenassoziation – auf einer Schaukel, dann in verwandelter Funktion. „Sie ist der Strom der Erinnerungen“, sagt Produktionsdramaturgin Anna Gubiani. „Sie führt als zentrale Erzählerfigur durch den Abend.“
„Zeit für wahre Geschichten“
Schön und gut, aber ist die lindernde Macht der Fantasie nicht gründlich entzaubert, wenn demnächst wieder dieser Märchenonkel und Münchhausen US-Präsident wird? Genau das, so Gubiani, werde in dem Text thematisiert, denn „mit dem Erwachsenwerden wächst die Verantwortung“. Der Großvater, von dem Aleksandar seine Gabe hat, mahnt: „Es ist nicht Zeit für gute, es ist Zeit für wahre Geschichten.“ Denn mag der Soldat auch das Grammofon reparieren – die Fantasie kann den Krieg nicht reparieren. So wenig wie Trump den Klimawandel wegschwätzen.
Die Premiere beginnt an diesem Donnerstag, 16. Januar, um 19.30 Uhr im Esslinger Schauspielhaus. Die nächsten Vorstellungen folgen am 21. und 24. Januar, 15. Februar, 6. März, 5. und 30. April sowie 9. Mai.