Die Kapazitäten in den Flüchtlingsunterkünften sind nahezu erschöpft. Foto: Horst Rudel/Rudel

Ihren Hilfeschrei in Richtung Berlin verbindet die für Migration zuständige Justizministerin des Landes, Marion Gentges, mit heftiger Kritik an der Bundesregierung.

Die Flüchtlingssituation in Baden-Württemberg wird immer bedrohlicher. Nun hat die für Migration zuständige Justizministerin Marion Gentges (CDU) einen Hilferuf in Richtung Berlin geschickt – und diesen mit heftiger Kritik am Vorgehen der Bundesregierung verbunden. In einem Brief an die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schildert Gentges die sich zuspitzende Situation im Land: „Angesichts der nach wie vor rapide ansteigenden Zahl von Schutzsuchenden sehen wir uns als Land – und insbesondere unsere Kommunen - aktuell und künftig mit einer ungeheuren Belastungssituation konfrontiert. Alle Ebenen unserer Aufnahme- und Ausländerverwaltung stehen am Rande ihrer Leistungsgrenzen.“

In diesem Jahr habe Baden-Württemberg bisher 139 000 Menschen aus der Ukraine, 22 000 Asylsuchende und 3000 Personen im Rahmen der humanitären Hilfe aufgenommen. Im europäischen Vergleich sei Deutschland „im besonderen Maße belastet“. Laut dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen habe Deutschland seit Kriegsbeginn mehr als eine Millionen Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Das seien zehn Mal mehr Menschen als Frankreich, das mit knapp 120 000 Ukrainern weniger Menschen aus dem Kriegsgebiet Unterschlupf gewähre als Baden-Württemberg.

„Der Bund muss für eine ausgewogene Verteilung der Belastung sorgen“

Neben dem Mangel an Aufnahmekapazitäten komme, so Gentges, erschwerend hinzu, dass es an probaten Mitteln fehle, Wanderungsbewegungen von Geflüchteten aus der Ukraine innerhalb der Europäischen Union effektiv nachvollziehen zu können. Die dafür geschaffene Europäische Registrierungsplattform habe sich bislang jedenfalls als ineffektiv erwiesen.

Der Bund habe, so Gentges, eine Verantwortung gegenüber den Ländern und Kommunen. Er sei deshalb verpflichtet, auf europäischer Ebene dafür Sorge zu tragen, dass die in der Massenzustrom-Richtlinie zugesagte ausgewogene Verteilung der Belastung effektiv umgesetzt werde. Dazu müsse ein effizientes System zur Verteilung der Geflüchteten auf die Mitgliedstaaten geschaffen werden, das nicht nur Umverteilungen, sondern auch Rücküberstellungen ermögliche. Gentges: „Entsprechende Bemühungen des Bundes vermag ich jedoch nicht im Ansatz zu erkennen“.

Die angebotenen Flächen sind kurzfristig nicht nutzbar

Probleme sieht Gentges aber auch auf einem anderen Feld: Beim Flüchtlingsgipfel hatte das Innenministerium zugesagt, bundesweit 56 Immobilien zur Unterbringung von 4000 Geflüchteten zur Verfügung zu stellen. Die vorgeschlagenen Quartiere in Baden-Württemberg seien aber nicht geeignet, die rasch benötigte Hilfe zu schaffen: Für die Landeserstaufnahme scheide ein Großteil der vom Bund genannten Liegenschaften allein schon deshalb aus, weil sie zu klein seien. Bei den neun vom Bund vorgeschlagenen Bundesliegenschaften handele es sich zudem im Wesentlichen um unbebaute Freiflächen, überwiegend ohne tragfähige Infrastruktur. Gentges: „Eine dringend benötigte schnelle Inbetriebnahme von Einrichtungen auf diesen Flächen dürfte daher kaum zu realisieren sein, da eine Nutzung durch Wohncontainer oder Zelte eine entsprechende Vorlaufzeit benötigt.“

Die Liegenschaften in Heidelberg (Patrick-Henry-Village) und Schwetzingen (Tompkins-Barracks) hingegen würden bereits durch das Land genutzt und seien längst in erheblichem Umfang aufgestockt worden: Zudem seien weitere Vergrößerungen in Planung. Gentges: „Darüber hinausgehende Aufstockungen an diesen Standorten sind – auch aufgrund bestehender Vereinbarungen mit den Standortkommunen – kommunalpolitisch nicht realisierbar.“

Vermehrt Einreisende aus der Schweiz

Und ein drittes Thema treibt die baden-württembergische Justizministerin um. Zuletzt habe es Meldungen gegeben, dass die Schweiz in großer Zahl aus Österreich und Italien ankommende Migranten aus Afghanistan, Syrien, Algerien, Türkei und Tunesien in eigens vorgesehenen Zugabteilen nach Basel und damit an die Grenze zu Deutschland und Frankreich schicke. Auch das baden-württembergische Innenministerium habe bestätigt, dass zuletzt Asylsuchende verstärkt aus der Schweiz nach Baden-Württemberg eingereist seien.

Deshalb will Gentges von Nancy Faeser wissen, ob es aus Sicht der Bundesregierung Anzeichen dafür gibt, dass sich die Schweizer Behörden nicht an bestehende Vereinbarungen halte. Auch soll die Regierung erklären, wie die Bundespolizei im Raum Offenburg auf die zunehmenden Einreisen von Migranten reagiere und ob es und in welchen Fallen Zurückweisungen durch die Bundespolizei gebe. Marion Gentges: „Ich bitte auch um Prüfung, ob im Falle eines weiteren Anstiegs von Einreisen über die Schweiz Registrierungsstraßen in Grenznähe durch die Bundespolizei, wie bereits im Jahr 2015 teilweise praktiziert,eingerichtet und betrieben werden sollen.“