Wer Symptome hat, soll eine Maske tragen, lautet der Appell. Foto: dpa/Daniel Karmann

Im Kreis Esslingen melden sich derzeit wieder mehr Menschen krank. Corona oder ein grippaler Infekt? Das spiele keine Rolle mehr, sagt ein Sprecher der Kreisärzteschaft Esslingen.

Die Pandemie ist vorüber, verschwunden ist das Corona-Virus deshalb nicht. Im Herbst und Winter infizieren sich wieder mehr Menschen mit dem Krankheitserreger. Doch darin unterscheidet sich Sars-CoV-2 nicht von einer Reihe anderer Viren wie Influenzaviren als Auslöser von Grippe oder Rhinoviren, die am häufigsten für Erkältungen verantwortlich sind. „Es ist egal, was es ist“, sagt Marc Alexander Meinikheim, Vorsitzender der Kreisärzteschaft Esslingen. Ob Corona oder eine andere Infektion, spiele keine Rolle mehr. „Diesen angstmachenden Dämon sollten wir lieber ruhen lassen“, rät er. Wer sich krank fühle, sollte sich zu Hause auskurieren. Maßnahmen wie Schnelltests oder Masken hält der Mediziner nicht für notwendig.

„Es war komplett unmenschlich“

Was aus seiner Sicht aber dringend getan werden müsste, sei eine Aufarbeitung der Pandemie. „Es wurde sehr viel falsch und den Menschen zu viel Angst gemacht“, sagt Meinikheim. Dass etwa junge, gesunde Menschen gegen Corona geimpft worden seien, hält er inzwischen für falsch. „Es gab einen großen politischen Druck zum Impfen“, sagt der Mediziner selbstkritisch. Auch dass man Menschen isoliert hat, Kindergärten und Schulen geschlossen wurden, sei ein Fehler gewesen. Das habe nicht zuletzt anfälliger für Infekte gemacht. „Die Kasernierung fällt auf uns zurück, das Immunsystem braucht auch Training“, sagt er. Dass man Kranke und ältere Menschen allein gelassen habe, um sie vor einer Infektion zu bewahren, sei gut gemeint, aber ein weiterer Irrweg gewesen. „Es war komplett unmenschlich.“

Er bestätigt, dass sich derzeit die Arztpraxen füllen, weil immer mehr Menschen im Kreis Esslingen erkältet seien. „Es zieht langsam an“, sagt der Vorsitzende der Kreisärzteschaft. Auch in den Unternehmen steigt die Zahl der Krankmeldungen. „Ja, wir haben krankheitsbedingte Ausfälle, sowohl durch Corona als auch durch normale Atemwegsinfekte“, sagt etwa Max Pradler, Sprecher der Medius-Kliniken, „das entspricht jedoch der aktuellen Wetterlage und Jahreszeit und ist auch in der Menge derzeit nichts Außergewöhnliches.“ Schutzvorschriften gebe es in den Medius-Kliniken weder für die Beschäftigten noch für die Besucher. „Wir haben inzwischen keine festen Regelungen mehr, sondern setzen auf gesunden Menschenverstand“, sagt er. Wer Symptome habe, teste sich und trage gegebenenfalls eine Maske. „Wer krank ist, bleibt zuhause – unabhängig davon, ob es sich um Corona, Erkältung oder Grippe handelt.“

Am Klinikum Esslingen tragen Beschäftigte mit grippeähnlichen Anzeichen zum Schutz eine Maske, berichtet die Sprecherin Anja Dietze. „Wenn Besucherinnen und Besucher Symptome verspüren, bitten wir ebenso, eine Maske zu tragen.“

Patienten müssen beatmet werden

Schwere Verläufe bei einer Covid-Erkrankung gibt es aber nach wie vor. An den drei Standorten der Medius-Kliniken in Kirchheim, Nürtingen und Ostfildern-Ruit seien 20 Patienten aufgrund von Corona stationär aufgenommen, berichtet Pradler. „In Nürtingen muss ein Patient beatmet werden, in Ruit vier, davon einer mit Intubation, drei erhalten eine Sauerstoffzufuhr“, sagt der Klinik-Sprecher mit Blick auf die vergangene Woche. „Wir haben einen moderaten Anstieg an Corona-Patienten, die isoliert werden müssen“, berichtet Anja Dietze aus dem Klinikum Esslingen. Zuletzt waren es sieben Patienten, von denen einer beatmet wurde.

„Wir müssen lernen, mit Corona wie mit anderen Infektionen zu leben“, sagt Marc Alexander Meinikheim. Auch die Grippe, die uns schon seit Langem begleite, sei eine ernsthafte Erkrankung und führe regelmäßig zu Todesfällen. „Aber diese Zahlen werden kaum thematisiert.“

Risikogruppen und Menschen ab 60 Jahren rät er, sich jeden Herbst gegen Grippe impfen zu lassen. Jetzt im Oktober sei der richtige Zeitpunkt. Eine Grippe unterscheidet sich von einem grippalen Infekt dadurch, dass die Symptome schlagartig auftreten. Die Ständige Impfkommission empfiehlt für besonders gefährdete Personengruppen eine jährliche Corona-Auffrischimpfung, die vor einem schweren Verlauf schützen kann. Geimpft werden sollte im Herbst, das sei zusammen mit der Impfung gegen Influenza und gegen Pneumokokken möglich.

Die Situation nach der Pandemie

Wie Grippe
Aus Sicht des Virologen Christian Drosten, der als enger Berater der damaligen Bundesregierung politische Entscheidungen maßgeblich mit beeinflusst hat, habe sich das Corona-Virus verändert und stehe nun auf einer Gefahrenstufe mit Grippeviren. Das Robert-Koch-Institut (RKI) warnt auf seiner Homepage: „Dass Covid-19 mehr und mehr einer endemisch auftretenden Infektionskrankheit gleicht, bedeutet nicht, dass sie für alle harmlos geworden ist.“ Von einer Endemie sprechen Fachleute, wenn eine Krankheit in bestimmten Regionen regelmäßig und mit durchschnittlicher Häufigkeit auftritt, ohne exponentiell anzusteigen. Eine Pandemie dagegen ist länder- oder sogar kontinentübergreifend.

Streit um Aufarbeitung
Die Ampel-Koalition streitet derzeit über die richtige Aufarbeitung der Corona-Politik: Die FDP pocht auf einer Enquete-Kommission des Bundestags. Die SPD favorisiert einen Bürgerrat aus zufällig ausgewählten Teilnehmern. Im April 2023 hat der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Corona-Pandemie offiziell für beendet erklärt. Damit waren auch die noch verbliebenen Maßnahmen wie das Tragen einer FFP2-Maske beim Besuch in einem Krankenhaus oder Pflegeheim weggefallen.