Nürtingen will mit seiner attraktiven Lage am Neckar punkten. Foto: Ines Rudel

Die Fraktionen im Nürtinger Gemeinderat haben sich personell neu sortiert. Nun geht es darum, die anvisierten kommunalpolitischen Ziele in der neuen Legislaturperiode voranzubringen und den Haushalt zu sanieren.

Die drittgrößte Stadt im Kreis Esslingen befindet sich seit Jahren in einem komplexen Erneuerungsprozess. Jede Entscheidung des am 24. Juli neu konstituierten Nürtinger Gemeinderats hat Auswirkungen auf ein vielschichtiges Aufgabenfeld, das sich Jahr für Jahr wandelt. Die größten Herausforderungen bleiben aber die städtebauliche Neuordnung der bahnnahen Quartiere, der Erhalt von Wirtschaftskraft, Arbeitsplätzen und Bildungslandschaft, die Belebung der Innenstadt sowie die Klimaanpassung.

Bezahlbares Wohnen bleibt eine Herausforderung

Während die Kommune bei der lange ersehnten Anbindung an das S-Bahn-Netz in der Region Stuttgart auf die Deutsche Bahn angewiesen ist, wird von kommunaler Seite versucht, die städtebauliche Entwicklung der bahnnahen Quartiere unter der Überschrift „Neue Bahnstadt“ voranzutreiben.

Einige Hoffnungen verbinden die Fraktionen im neu zusammengesetzten Gemeinderat mit der neu gegründeten Stadtentwicklungsgesellschaft. „Ziel muss es sein, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen, besonders für die Bürgerinnen und Bürger mit schmalem Geldbeutel“, fordert beispielsweise die SPD-Sprecherin Bärbel Kehl-Maurer mit Blick auf die Neugründung, die allerdings „nicht ganz unseren Vorstellungen von Wohnungsbauförderung durch die Stadt entspricht“. Kehl-Maurer setzt sich gemeinsam mit ihrer vierköpfigen Fraktion für eine neue Grundsteuer C für unbebaute Grundstücke, eine Wohnungstauschbörse, den Erhalt der Sozialstandards beim Wohnungsbau und ebenso wie die Nürtinger Liste/Grüne für eine Nachverdichtung ein.

Und der Grünen-Sprecher Martin Häberle verlangt überdies einen Businessplan mit verbindlichen Aussagen zur quantitativen Wohnbaupolitik der Kommune, der bis zum Jahreswechsel vorgelegt werden soll, sowie ein Leerstandsmanagement. Während Michael Brodbeck, der Sprecher der Freien Wähler, der mit sieben Sitzen zweitstärksten Gemeinderatsfraktion, anmerkt, er rechne mit einer leichten Entlastung, da sich einige Projekte in der Schlussphase befinden, möchte CDU-Sprecher Thaddäus Kunzmann nicht nur den Fokus auf den sozialen Wohnungsbau richten. „Wichtig ist genauso, die Mittelschicht in den Blick zu nehmen, die es in diesem Lande derzeit besonders schwer hat“, sagt er und fordert attraktive Baugebiete für alle Einkommensgruppen.

Die Grünen wollen die autofreie Innenstadt

Beim Thema Verkehr verlangt Kunzmann, der zusammen mit acht weiteren Räten der größten Fraktion im Gemeinderat angehört, Ziele mit Maß und Mitte, da die meisten Pendler auch in Zukunft auf das Auto angewiesen sein würden, gleichzeitig müsse das Radwegenetz sicher ausgebaut werden. Diesen Ausbau befürworten auch die Grünen und setzen noch eins drauf mit einer angepassten Ampelschaltung, die alle Verkehrsteilnehmer gleichstellen soll.

Ergänzend votiert die sechsköpfige Gruppe für eine bessere Aufenthaltsqualität in Nürtingens Mitte mit Hilfe einer autofreien Innenstadt sowie für ein Parkraummanagement mit Anwohnerparken im gesamten Stadtgebiet. Die SPD verlangt reduzierte bürokratische Hürden, damit örtliche Betriebe schneller erweitern und sich neue Firmen ansiedeln können. Außerdem sollte der Wirtschaftsstandort Nürtingen durch niedrigere Steuersätze gestärkt werden. Als Wirtschaftsfaktor bezeichnet Kehl-Maurer auch die verlässliche Kita-Betreuung und die Ganztagsbetreuung in den Grundschulen, was für Fachkräfte für Bedeutung sei.

Die Freien Wähler wollen dagegen über die „Standards nachdenken“, da Nürtingen sehr hohe Ausgaben im Bereich Kinderbetreuung verzeichne. Michael Brodbeck möchte genau prüfen, welche Ausgaben hierfür nötig sind und verlangt deshalb verlässliche und realistische Prognosen, diese gelte außerdem für die Unterbringung von Geflüchteten. Im Übrigen sei dies geeignet, um die städtischen Finanzen zu sanieren. Auch sein CDU-Ratskollege Kunzmann möchte die ständigen Ausgaben der Kommune hinterfragen, da Nürtingen vor dem Hintergrund hoher Investitionen in die Gymnasien, eine dreiteilige Sporthalle und beim Hochwasserschutz in den nächsten Jahren massiv in die Verschuldung gehe. Gleichzeitig brauche es mehr Finanzmittel, um den Haushalt zu sanieren.

Die eine oder andere nicht angenehme Entscheidung kündigt auch die SPD an, dies müsse man aber gut kommunizieren. Eine Haushaltskonsolidierung durch den Verkauf städtischer Liegenschaften werde es mit der SPD nicht geben, so Kehl-Maurer, die eine verbindliche Priorisierung für Projekte bis 2030 mit realistischeren Investitionssummen fordert. Während die SPD einen Klimaausschuss, eine Bürgerenergiegenossenschaft sowie eine PV- und Solar-Ausbauoffensive anstrebt, wollen CDU und Grüne das Fernwärmenetz in Angriff nehmen und den Hochwasserschutz forcieren. Außerdem votiert Grünen-Sprecher Häberle für Schwammstadtareale, Regenwassermanagement und Retentionsflächen.

Die Verschuldung steigt weiter

Weniger Listen im neuen Rat

Wahl
 In Nürtingen hat im Vergleich zu 2019 vor allem die CDU bei der Gemeinderatswahl am 6. Juni zugelegt – und zwar um 8,5 Punkte auf 26,4 Prozent. Damit sind die Christdemokraten nun mit neun Sitzen stärkste Fraktion vor den Freien Wählern mit sieben Sitzen (plus 6,3 Prozentpunkte auf 20,6 Prozent). Stimmenkönig wurde Matthias Hiller (CDU), der 11 469 Stimmen erhielt. Während die Grünen in vielen Kreiskommunen bekannterweise Einbußen erlebten, stieg ihr Stimmenanteil bei der Wahl in Nürtingen um 0,5 Prozentpunkte an. Allerdings haben sie weniger als CDU und Freie Wähler davon profitiert, dass die Liste Aktive Bürger (bisher zwei Mandate), die Freie Wählervereinigung Nürtingen-Oberensingen und Basis Nürtingen (je ein Mandat) keine Bewerber mehr zur Wahl stellten.

Vielfalt
 Befürchtungen vor der Wahl, wonach durch eine Vielzahl neuer Listen die Gremien immer stärker zersplittern, haben sich damit in Nürtingen nicht erfüllt, hier sank ihre Zahl von neun auf sechs.