Die Verteidigungsministerin ist umstritten. Foto: I/MAGO/Florian Gaertner/photothek.de

Alle warten auf den Rücktritt der Bundesverteidigungsministerin, deren Amtsführung als unglücklich gilt. Über mögliche Nachfolger wird bereits spekuliert.

Es sind Bilder, die es von einer Verteidigungsministerin nie hätte geben dürfen. Jedes Grundschulkind müsste wohl darüber lachen, wie unbeholfen sich Christine Lambrecht an Silvester mitten in Berlin in eine Böllerkulisse gestellt hatte, um eine Videobotschaft zum Jahresende abzugeben. „Mitten in Europa tobt ein Krieg“, hatte Lambrecht gesagt. „Damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte. Viele, viele Begegnungen mit interessanten und tollen Menschen.“ Hier wiederum ist fast jeder halbwegs erwachsene Mensch irritiert über Lambrechts Worte.

Der unprofessionelle Auftritt war vielleicht der eine Fehler zu viel der Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Sie steht vor dem Rücktritt. Doch auch in diesem Moment zeigt die SPD-Politikerin, dass sie eine Ministerin ist, mit der das Land Dinge erlebt, die es eigentlich gar nicht gibt. Diesmal ist es der Rücktritt in der Schwebe, der einerseits von allen als sicher angenommen wird – und andererseits auf seinen Vollzug wartet.

Wenig Interesse an der Bundeswehr

Am Freitagabend hatte die „Bild“-Zeitung gemeldet, Lambrecht sei entschlossen zurückzutreten. Andere Medien zogen nach, darunter der „Spiegel“, der sich auf das Umfeld der Verteidigungsministerin berief. Seitdem gab es weder eine offizielle Bestätigung noch ein Dementi, das dringend nötig gewesen wäre, wenn Lambrecht weitermachen wollte.

Es ist viel zusammengekommen in ihrer nun mehr als einjährigen Amtszeit, das auch Unterstützung in den eigenen Reihen gekostet hat. Lambrecht nahm ihren Sohn im Helikopter mit, als sie zu einem Truppenbesuch flog – der auch noch verdächtig gut auf dem Weg zum eigenen Urlaubsort lag. Der Sohn postete ein Foto aus dem Helikopter auf Instagram. Vor allem aber verfestigte sich nach und nach in der Truppe der Eindruck, dass die 57-Jährige sich gar nicht so recht für die Bundeswehr interessiere.

Pleiten, Pech und Altlasten

Der Weg Christine Lambrechts zur Verteidigungsministerin war ungewöhnlich. Im September 2020 hatte sie erklärt, dass sie nicht noch einmal für den Bundestag kandidieren wolle. Da war sie Bundesjustizministerin. Damals entdeckte manch Altgedienter in der SPD, dass es im Leben noch etwas anderes als die Politik geben könnte. Es sah nämlich danach aus, als würde die SPD in der kommenden Legislaturperiode kaum noch eine Rolle spielen. Dann folgte die unglaubliche Geschichte des Wahlsiegs von Olaf Scholz.

Lambrecht ließ sich in der Zeit nach der Wahl viel auf Terminen blicken, sie signalisierte, dass sie doch gern weiter Ministerin wäre. Das Innenressort hätte ihr gefallen. Scholz, der angekündigt hatte, sein Kabinett paritätisch mit Frauen und Männern zu besetzen, schätzte Lambrecht. Er bot ihr aber nicht das Innen-, sondern das Verteidigungsministerium an. Sie griff zu, und die unglückselige Zeit Lambrechts im Verteidigungsministerium begann: mit Pleiten, Pech, aber auch vielen Altlasten der Vorgänger.

Eva Högl gilt als Kandidatin

Doch warum schweigt Christine Lambrecht nun zu ihrem erwarteten Rücktritt, obwohl in der Öffentlichkeit bereits seit zwei Tagen darüber diskutiert wird, wer ihr nachfolgen könnte? Will sie sich den Zeitplan nicht von außen aufzwingen lassen? Oder soll der Kanzler die Chance haben, erst die Nachfolge zu regeln?

Es gibt für Scholz eine Reihe von Optionen. Dabei muss er die Grundsatzentscheidung treffen, ob er daran festhält, das Kabinett gleichermaßen mit Frauen und Männern zu besetzen. Tut er dies, spräche viel für die Wehrbeauftragte Eva Högl.

Die Sozialdemokratin gehörte nie zum engeren Umfeld von Scholz. Und: Paradoxerweise warf man auch Högl, als sie im Jahr 2020 Wehrbeauftragte wurde, vor, sie sei nicht vom Fach. Nach allgemeiner Einschätzung ist die 54-Jährige heute bestens im Thema eingearbeitet. Sie könnte die Interessen des Ministeriums selbstbewusst vertreten. Als Wehrbeauftragte hat sie gerade die Frage aufgeworfen, ob es in Wahrheit nicht 300 Milliarden Euro für die Bundeswehr brauche – statt allein das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro.

Merz fordert schnelle Entscheidung

Als Option für das schwierige Amt wird auch die Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller, genannt. Sie stünde in den Augen der Öffentlichkeit aber nicht zwingend für einen Neuanfang. Bei den Männern gelten Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, Arbeitsminister Hubertus Heil und SPD-Chef Lars Klingbeil als Kandidaten.

Da das Kanzleramt die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine eng an sich gezogen hat, kennt sich Wolfgang Schmidt in Verteidigungsfragen gut aus. Er wird aber auf seinem derzeitigen Posten gebraucht. Arbeitsminister Hubertus Heil ist der Job zuzutrauen – ein Verteidigungsexperte, auf den viele hoffen, ist er nicht. Als solcher gilt der aus einer Soldatenfamilie stammende SPD-Chef Lars Klingbeil. Würde er den Job wollen? Und wie müsste man dann das Kabinett umbauen, falls die Parität erhalten bleiben soll?

CDU-Chef Friedrich Merz hat den Kanzler zu einer schnellen Entscheidung aufgefordert. Scholz schweigt bislang. Spätestens, wenn der erwartete Rücktritt Lambrechts zum Rücktritt geworden ist, muss er sprechen.