Robert Mürb, Vorsitzender der Landesvereinigung Baden in Europa, sieht Baden noch immer im Nachteil. Foto: dpa/Uli Deck

Sieg der Vernunft oder Zwangsheirat? Vor 50 Jahren stimmte Baden für den Südwest-Staat. Der gilt als Erfolgsmodell. Doch die Badener fühlten sich ausgetrickst. Sie proben noch heute manchmal den Aufstand.

Karlsruhe - Eine Liebesheirat war es nicht: Vor 50 Jahren stimmte Baden für den Südwest-Staat – und gab so nachträglich das Ja-Wort für das 18 Jahre zuvor gegründete Baden-Württemberg. Damit wurde am 7. Juni 1970 die Neugliederung des Südwestens endgültig besiegelt. Für die einen war es der Sieg der Vernunft, für die anderen die formelle Bestätigung einer Zwangspartnerschaft. Inzwischen hat man sich längst zusammengerauft. Das Bundesland, das aus Baden, Württemberg und Hohenzollern entstand, ist zum wirtschaftlich starken „Musterländle“ avanciert.

Aus Sicht von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist die bisher einzige Länderfusion per Volksentscheid in der Bundesrepublik „sehr erfolgreich“ verlaufen. „Das Land zeichnet sich durch die Vielfalt und das besondere Verhältnis zwischen Badenern und Schwaben aus, dadurch sind wir zu einem wirtschaftlich starken und kulturell vielfältigen Land geworden.“ Man sei zwar ein Bindestrich-Land. Doch, so betont Kretschmann: „Das Verhältnis zwischen Badenern und Schwaben hat sich entspannt.“

Kein Grund zum Feiern

Das sieht auch Robert Mürb so, der prominenteste Verfechter der badischen Sache. Die Zeiten, als er von Ex-Regierungschef Erwin Teufel (CDU) als „Separatist“ und „Volksverführer“ beschimpft wurde, sind vorbei. Zentralismus aus Stuttgart kritisiert er gleichwohl. Der Vorsitzende der Landesvereinigung Baden in Europa bemängelt, dass badische Kliniken, Hochschulen oder Kultureinrichtungen weniger Landesmittel bekämen als württembergische. Auch sei nicht einzusehen, warum die Stuttgarter Wilhelma mit Millionen bezuschusst werde, der Karlsruher oder Heidelberger Zoo aber nicht. „Es kann auf Dauer nicht gut sein, dass es sich der eine Landesteil auf Kosten des anderen gut gehen lässt.“

Ein Grund zum Feiern ist der Jahrestag der zweiten Volksabstimmung für den früheren Hochschullehrer nicht: „Das Ganze wurde durch Trickserei erreicht.“ Zwar hatten schon in einer ersten Volksabstimmung am 9. Dezember 1951 fast 70 Prozent für den neuen Südweststaat gestimmt. Doch Altbadener wie der südbadische Staatspräsent Leo Wohleb fühlten sich verschaukelt. Kritik gab es an der „willkürlichen“ Aufteilung in vier Wahlbezirke und am Wahlmodus: Hätte man die Stimmen aller Badener zusammengezählt, hätte sich eine knappe Mehrheit für Baden ergeben.

Volksentscheid nach 16 Jahren

Am 25. April 1952 wurde Baden-Württemberg aus der Taufe gehoben. Damit wurde zugleich das Provisorium der drei Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern beendet, das Amerikaner und Franzosen nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen hatten.

Doch die badische Frage blieb ein Stachel im Fleisch des neuen Landes. Dass nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war, bestätigte 1956 das Bundesverfassungsgericht: „Der Wille des badischen Volkes ist durch die Besonderheit der geschichtlich-politischen Entwicklung überspielt worden“, urteilten die höchsten deutschen Richter - und machten den Weg zu einer neuen Abstimmung frei.

Doch die ließ auf sich warten - durch eine Serie „geschickter Ungeschicklichkeiten“ zwischen Stuttgart und Bonn, wie es Paul-Ludwig Weinacht in „Der Weg in den Südweststaat“ ausdrückt. Erst nach 16 Jahren bekamen die Badener ihren Volksentscheid. Nur noch 18,1 Prozent stimmten dabei für ein selbstständiges Baden, die überwältigende Mehrheit (81,9 Prozent) für Baden-Württemberg.

„Baden-Frage“ theoretisch passé

„Der alte Streit hatte sich in den zwanzig Jahren, die seitdem vergangen waren, längst erledigt“, so Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble rückblickend. „Deshalb sprach man ja auch zeitgenössisch von der „seltsamsten Abstimmung“ in Deutschland - vielleicht vergleichbar dem Ansinnen, heute noch einmal über den Hauptstadtbeschluss abstimmen zu wollen.“ Die Kraft des Faktischen, nicht zuletzt der wirtschaftliche Erfolg des Bindestrich-Ländle hatte selbst leidenschaftliche Altbadener mit dem Zusammenschluss versöhnt, sagt der aus dem badischen Gengenbach stammende CDU-Politiker Schäuble. „Und das gilt bis heute.“

Seitdem ist die „Baden-Frage“ theoretisch passé - und taucht doch bei tatsächlichen oder vermeintlichen Ungerechtigkeiten etwa bei Fusionen oder Standortfragen regelmäßig wieder auf; genau wie das Badnerlied bei Fußballspielen. Schlagzeilen machte zuletzt der Fähnchenstreit: Als vor zwei Jahren die Baden-Flagge nicht über dem Karlsruher Schloss wehen durfte, probten die Badener 170 Jahre nach der Revolution von 1848 erneut den Aufstand. Dank einer Ausnahmeerlaubnis durch Kretschmann durfte die Flagge wieder flattern.

Baden wäre alleine ein Zwerg

Dass Badener immer wieder Unheil aus Württemberg wittern, hängt auch mit einer Geschichte zusammen, als Baden noch Großherzogtum und Württemberg ein Königreich war: Es waren die schwäbischen Nachbarn, die Preußentruppen zur Niederschlagung der Revolution von 1848/49 über ihr Gebiet ließen. 1921 hieß es in Spott-Versen über die zwei Nachbarskinder: „Noch heute sind beide zu schauen/Als Bräutigam und als Braut:/Man kann sie leider nicht trauen,/Weil kein’s dem anderen traut!“

Rund 11,1 Millionen Menschen leben nach Angaben des Statistischen Landesamtes heute in Baden-Württemberg, 5,1 Millionen davon in den badischen Regierungsbezirken Karlsruhe und Freiburg, 6 Millionen in den württembergischen Regierungsbezirken Stuttgart und Tübingen. Auch wenn Mürb überzeugt ist, dass Baden allein heute besser dastünde - im europäischen Vergleich wäre das Land ein Zwerg. Über den Weg zum gemeinsamen Bundesland kann man streiten, meint der Freiburger Historiker Bernd Martin. Aber: „Letztlich war es die richtige Lösung.“