Zu viele Radstationen ohne ausreichend Räder, so lautet die Kritik vielerorts. Weinstadt ist aus dem Regio-Rad-Vertrag ausgestiegen, zieht bald auch Backnang die Reißleine? Foto: Stoppel

Das Fahrradverleihsystem der DB Connect wächst zwar stetig, doch es gibt Kritik wegen fehlender und kaputter Räder, geringer Ausleihzahlen und hoher Kosten. Weinstadt ist aus dem Vertrag wieder ausgestiegen. In Backnang wird darüber abgestimmt.

Noch immer läuft es nicht rund bei Regio-Rad: Noch immer werden Leihfahrräder und Ladestationen mutwillig beschädigt. Noch immer fehlen Ersatzteile und Mitarbeiter. Besonders problematisch war die Situation im vergangenen Jahr. Laut Ralf Maier-Geißer, dem Gesamtkoordinator von Regio-Rad Stuttgart, standen im Durchschnitt nur etwa zwei Drittel der Räder zur Verfügung. Gefühlt waren es im Rems-Murr-Kreis noch weniger – da suchte man an manchen Stationen tagelang vergeblich nach einem Fahrrad oder Pedelec zum Ausleihen.

Als Ursachen für den anhaltenden Mangel nennt Maier-Geißer zum einen ein unerwartet hohes Maß an Sachbeschädigungen an Stationen und Rädern, zum anderen gebe es Lieferengpässe bei Ersatzteilen. Hinzu kämen ein hoher Krankenstand beim Personal sowie Schwierigkeiten, auf dem angespannten Arbeitsmarkt geeignete Fachleute zu rekrutieren. Dass die Deutsche Bahn Connect (DBC) als Betreiber von Regio-Rad während dieser Zeit ihr Stationsnetz stetig weiter ausgebaut hat und weiter ausbauen will, macht die Sache nicht einfacher. Rund 250 Stationen gibt es aktuell, die Tendenz sei steigend.

Regio-Rad-Koordinator verspricht Besserung

„Vor dem Hintergrund des stetig gewachsenen Stationsnetzes konnten mit dem verbliebenen beziehungsweise gewonnenen Personal leider in den Monaten Mai bis Oktober nicht an allen Stationen der gewohnt zuverlässige Service und die Versorgung mit Regio-Rädern und Regio-Pedelecs gewährleistet werden“, erklärt Maier-Geißer.

Verschärft wurde die eingeschränkte Verfügbarkeit von Fahrrädern und Pedelecs durch den bis dahin in dieser Größenordnung nicht bekannten Vandalismus an den Rädern und Stationen. Häufig wurden auch die Sicherungs- und Ladeseile durchtrennt. So konnten die elektrisch betriebenen Pedelecs zwar ausgeliehen und abgestellt, aber nicht mehr aufgeladen werden.

Besserung sei in Sicht, es dauere aber noch, teilt der Koordinator aus Stuttgart mit: „Aufgrund der noch immer bestehenden Lieferverzögerungen bei der Material- und Ersatzteilbeschaffung konnten die inzwischen neu entwickelten, robusteren Sicherungs- und Ladeseile noch nicht eingesetzt werden.“ Dies soll jedoch spätestens im April dieses Jahres erfolgen. „Die Verfügbarkeit der Räder an den meisten Stationen hat sich bereits deutlich gebessert und soll spätestens zum Beginn der Fahrradsaison 2023 wieder zuverlässig garantiert werden“, verspricht Maier-Geißer.

Für mögliche Regio-Rad-Nutzer in Weinstadt kommt die Verbesserung zu spät. Dort hat sich der Gemeinderat im vergangenen Jahr entschieden, aus dem Vertrag mit der Deutsche Bahn Connect (DBC) auszusteigen. Die Station am Bahnhof Endersbach, die im Oktober 2019 mit zehn Pedelecs in Betrieb genommen wurde, habe nicht die Erwartungen erfüllt, sagt eine Sprecherin der Stadt: „Wir durften feststellen, dass das Angebot des Regio-Rads von den Bewohnern Weinstadts nicht ausreichend angenommen wurde“, heißt es auf Nachfrage. Im Schnitt habe es pro Jahr nur etwa 100 Ausleihen gegeben, demgegenüber standen Kosten von rund 10 000 Euro. „Jede Ausleihe wurde mit etwa 100 Euro ‚subventioniert‘“, so die Sprecherin. Das sei zu viel Geld, befand der Gemeinderat und stieg aus. „Bürgerinnen und Bürger nutzen in der Regel andere Fahrzeuge, um den Bahnhof Endersbach zu erreichen oder von diesem weiterzukommen, sodass wir uns zukünftig auf andere Projekte innerhalb des Mobilitätsentwicklungsplanes fokussieren und uns entschlossen haben, den Vertrag zu kündigen.“

Nicht nur in Weinstadt herrscht Unzufriedenheit: Laut Maier-Geißer haben mittlerweile auch Freiberg am Neckar, Wolfschlugen sowie ein Partner in Stuttgart „aus rein fiskalischen Gründen und einer vergleichsweise geringen Nachfrage an ihrer Station den Vertrag mit der DBC gekündigt“. Damit seien zum Jahresende 2022 insgesamt vier von 250 Stationen wieder abgebaut worden. „Die Station am Bahnhof in Freiberg am Neckar wurde von einem Partner übernommen und bleibt weiterhin bestehen.“ Bei Regio-Rad schaut man nach vorn, der Trend gehe nach oben: Da sich aktuell „knapp 40 weitere Stationen in der Umsetzung“ befänden, soll das Netz bis zum Frühjahr nochmals weiter ausgebaut und nachverdichtet werden, so Maier-Geißer. Insgesamt werde ein Ausbau auf über 290 Stationen angestrebt.

Backnang stimmt über Ausstieg ab

Aktuell können im Rems-Murr-Kreis Regio-Räder und -Pedelecs an 16 Stationen in neun Kommunen entliehen werden: in Backnang, Fellbach, Leutenbach, Kernen im Remstal, Schorndorf, Urbach, Waiblingen, Winnenden und Winterbach. Dabei soll es nicht bleiben. Zeitnah würden sechs weitere Stationen in Korb, Rudersberg, Schwaikheim und Welzheim errichtet.

Auch in Backnang werde das bisherige Angebot um zwei Stationen erweitert. Da kann sich Maier-Geißer allerdings nicht mehr ganz so sicher sein. Denn zumindest in Backnang ist mit der schrumpfenden Verfügbarkeit der Räder und dem mangelhaften Service auch die Bereitschaft gesunken, den Vertrag mit der DBC weiterzuführen.

„Aus verkehrsplanerischer Sicht trägt das System derzeit nicht“, sagt Tobias Großmann, Leiter des Stadtplanungsamtes. Regio-Rad habe die Erwartungen bislang nicht erfüllt: „Ein Radverleih lebt von dem Komfort der zur Verfügung stehenden Räder, und das war bei uns in den vergangenen Monaten nicht gegeben.“ Im Mai 2022 sei man hoffnungsvoll mit Regio-Rad in die Saison gestartet und habe schnellstmöglich drei der fünf geplanten Stationen eingerichtet.

„Unsere These ist, dass ich nur dann das Rad innerhalb der Stadt nutze, wenn ich mehrere Stationen zur Verfügung habe, wo ich das Rad oder Pedelec auch wieder abstellen kann“, sagt Großmann. So wurden am Bahnhof, in der Innenstadt sowie an der Kreisberufsschule Stationen eingerichtet. Der Bahnhof in Maubach und der Bereich nördlich des Bahnhofs Backnang sollten folgen. Sollten, wohlgemerkt. Denn auch die Backnanger Stadträte denken über einen Ausstieg aus dem Verleihsystem nach, und gegebenenfalls würden die Stationen dann eher ab- als ausgebaut.

Bräuchten fünf- bis zehnmal so viele Ausleihen

„Wir haben, wie andere Kommunen auch, einen sehr hohen Zuschuss pro Fahrt – das kann man dann schon auf politische Sinnhaftigkeit abklopfen“, sagt Großmann. Damit sich das System rechne, seien generell sehr viele Fahrten nötig. Genaue Zahlen über Kosten und Nutzen von Regio-Rad in Backnang möchte der Amtsleiter noch nicht nennen, sie sollen den Stadträten in der entsprechenden Ausschussitzung am 20. April vorgelegt werden. So hoch wie in Weinstadt seien sie jedoch nicht.

Ob man sich die relativ hohen Kosten weiter leisten will, sei eine politische Entscheidung, kostendeckend sei das System bislang bei Weitem nicht: „Aus planerischer Perspektive brauchen wir ein verlässliches System und das Fünf- bis Zehnfache an Nutzung, um rentabel zu sein“, sagt Großmann. Der Ausstieg sei ein realistisches Szenario – aber er wolle nicht vorgreifen. „Die Entscheidung obliegt dem politischen Gremium.“ Klar ist: Bis spätestens zum 30. April müsste gekündigt werden, damit Backnang zum Jahresende die Kooperation beenden kann.

Erstaunt über gezielte und stetige Sachbeschädigungen

Ungeachtet der Ausleihzahlen: Erstaunt sei man auch in Backnang über die gezielten und stetigen Sachbeschädigungen, denen das Regio-Rad-System ausgesetzt sei. „Das ist eine neue Dimension an Vandalismus, die man hier beobachten kann“, sagt Großmann. Generell sei vor dem Hintergrund zunehmender Sachbeschädigungen daher auch die Frage zu stellen, ob die öffentliche Hand den Bürgerinnen und Bürgern derartige Services überhaupt noch anbieten könne. Schließlich seien nicht nur Rad-Verleihstationen betroffen, sondern auch öffentliche Angebote wie E-Roller oder Trinkbrunnen, über die zu bauen nachgedacht wird, oder andere Einrichtungen. „Wenn diese Dinge gezielt zerstört werden, dann schädigt man nicht nur den Anbieter oder belastet den Haushalt“, gibt Großmann zu bedenken. „Man schädigt immer auch die, die das System eigentlich gern nutzen würden.“