Eine Woche lang haben sieben Künstler die alte Rotationshalle im Verlagsgebäude der EZ als Leinwand genutzt Foto: Roberto Bulgrin

Sieben Künstler haben sieben Tage lang in der ehemaligen Rotationshalle im Verlagsgebäude der Eßlinger Zeitung ihre Straßenkunst auf die Wände gesprüht. So viel vorab: Das Ergebnis ist sehr eindrucksvoll.

Esslingen - Auf dem Weg vom Untergeschoss hinauf in die ehemalige Rotationshalle passiert der Schwerlastaufzug das erste Kunstwerk. Es ist auf die Betonwand des Fahrstuhlschachtes gesprüht und stellt einen gelangweilt dreinblickenden Männerkopf dar. „Forever up and down“ steht in roten Buchstaben daneben. Tag für Tag das Gleiche: Der Aufzug fährt hoch und runter, er brachte Mensch und Material vom Lager zu den Druckmaschinen. Etliche Male am Tag, und das Jahrzehnte lang. In all der Zeit geschah vermutlich recht wenig in dieser Fahrstuhlkabine – bis zur vergangenen Woche, als ein Graffiti-Künstler mit Sprühdose und Atemschutzmaske ausgerüstet, aus dem Fahrstuhl heraus ein Kunstwerk an die Wand geworfen hat.

Morbides Lost-Place-Flair

Ein dumpfer Schlag, die Fahrstuhltüren öffnen sich. Nun befindet man sich an dem Ort, der früher einmal die Rotationshalle im Verlagsgebäude der Eßlinger Zeitung war; hier wurden Prospekte und Kataloge gedruckt. Nun hat sich die etwa 800 Quadratmeter große Halle in eine Graffiti-Galerie verwandelt. „Wir wollten Künstlern eine Plattform bieten“, sagt Silke Rayer aus dem Marketing-Team des Verlages. Und so wurde die leer stehende Druckhalle für sieben Künstler sieben Tage lang zur Leinwand. Das Ergebnis? Absolut eindrucksvoll, da sind sich alle einig. „Ich finde das Ergebnis richtig stark. Ein ganz herzliches Dankeschön“, sagte Andreas Heinkel, der Geschäftsführer des EZ-Verlages, am Montagabend bei der Übergabe der Halle. Die knalligen Farben, die Vielfalt an Motiven und Stilen, die Verschmelzung mit der Umgebung, mit den Rohren, Türen und Kanten – all diese Elemente haben dieses Lost-Place-Flair auf einzigartige Weise unterstrichen.

„Can’t touch this“

Jeder Künstler – einige von ihnen machen das hauptberuflich, die anderen hobbymäßig – hat seine besondere Note eingebracht, seine Handschrift wortwörtlich an die Wand gesprüht. Nun finden sich stilisierte Tier-Motive neben klassischen Graffiti-Schriftzügen. Insgesamt dreizehn Werke schmücken die Wände – sie sind bunt, knallig und laut. Aber auch zurückhaltend, teils auf den ersten Blick gar nicht sichtbar. „Cant’t touch this“ steht beispielsweise in neun Metern Höhe.

Von der Stirnseite der Halle blickt eine riesige Frauenfigur herab, auf ihrer Hand landet ein kleiner, geflügelter Helikopter. Gesprüht hat das der Esslinger Künstler Jack Lack, ebenso wie den Männerkopf im Aufzug und den Schriftzug an der Decke. Neben der Frau steht das klassische Graffiti von Astor One in Rot und Grün. Die Tiermotive stammen von Kosmik One. „Hauptsächlich sprühe ich Tiere“, sagt der 40-Jährige. „Manchmal aber auch Menschen oder erfundene Figuren, wie einen Drachen. Mir geht es dabei in erster Linie um eine sehr dynamische Darstellung.“ Der in Weiß und Grau gehaltene Schriftzug von Sade und die Semi-Wild-Lettern von Blaze nehmen eine komplette Ecke der Halle ein. Direkt gegenüber prangen gleich drei Motive des Künstlers Dingo Babusch: Eine abstrakte Frauengestalt in blau-rotem Rahmen. Daneben eine verchromte Kaninchenstatue und ein klassischer Schriftzug mit Goldbarren im Hintergrund. Der 43-Jährige gehört zu den Pionieren der Stuttgarter Szene, er begann mit dem Sprühen in den frühen 90ern. „Damals ist diese Hip Hop-Welle nach Europa geschwappt und wir haben uns ausprobiert“, sagt Dingo Babusch. Zu der Zeit hätten einige mit dem Graffiti-Sprayen angefangen. „Mich hat das immer wahnsinnig interessiert. Und so hat es mich da reingezogen.“

Der Charme der Halle

Auch über der Aufzugtür wurde gemalt. Der Künstler: Moritz Vachenauer, er ist auch der Kurator der Graffiti-Ausstellung im Stuttgarter Hauptbahnhof. Der Abschluss des Rundgangs, ein klassisches, buntes Graffiti, kommt von Patrick Klein. Als Geschäftsführer von Graffiti-Stuttgart.de hat er die Entstehung der Galerie organisiert, jedoch sind nicht alle sieben Künstler Teil seiner Agentur. „Als wir von dem Projekt erfahren haben, haben wir nicht lange gezögert. Wir wussten schnell in welche Richtung das gehen wird“, sagte er. Ziel des Künstlerkollektivs sei es gewesen, den Charme der alten Halle beizubehalten. Laut Heinkel ist das der Gruppe auf jeden Fall gelungen. In der früheren Rotationshalle wird Graffiti spürbar: Auch Tage nach dem Sprayen riecht es immer noch ein wenig nach Lack. Die Öffentlichkeit wird jedoch vorerst keine Gelegenheit haben, die Kunstwerke vor Ort zu bestaunen. „Wegen dem aktuellen Infektionsgeschehen, haben wir uns dazu entschlossen, keine Führungen durch die Halle anzubieten“, sagte Andreas Heinkel.