Demonstranten begleiten immer wieder die Atomverhandlungen in Wien. Foto: imago /Viennareport

Der Westen und der Iran sind sich im Grunde einig: Es braucht ein neues Atomabkommen. Doch die Proteste nach dem Tod einer 22-Jährigen erschweren die Verhandlungen.

Seit anderthalb Jahren ringen der Iran und der Westen um ein neues Atomabkommen. Der Vertrag soll den Bau einer iranischen Atombombe verhindern, strenge Kontrollen ermöglichen und Teheran dafür mit einem Abbau von Wirtschaftssanktionen belohnen. Nach viel Auf und Ab stehen die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss – doch nun erschwert die Protestwelle im Iran eine Einigung. Westliche Politiker wollen sich nicht dem Vorwurf aussetzen, das iranische Regime mit Milliardensummen aus dem Sanktionsabbau zu unterstützen, während in Teheran auf Demonstranten geschossen wird. Der Westen bereitet stattdessen neue Sanktionen vor.

Risiko für einen Krieg steigt ohne neues Abkommen

Dabei sind beide Seiten grundsätzlich an einer neuen Vereinbarung interessiert. Der Iran braucht dringend mehr Zugang zu den Weltmärkten für sein Öl, um die heimische Wirtschaft aus der Dauerkrise zu holen. Außenminister Hossein Amir-Abdollahian lobte jetzt, die USA zeigten „ein besseres Verständnis“ in den Atomverhandlungen. In mehreren Bereichen gebe es Einigkeit.

Die USA und Europa befürchten, dass der Iran ohne die Fesseln eines neuen Abkommens bald in der Lage sein wird, eine Atombombe zu bauen. Dann würde das Risiko eines neuen Krieges im Nahen Osten steigen, denn Irans Gegner wie Israel und Saudi-Arabien dürften das nicht unbeantwortet lassen. Das erste Atomabkommen von 2015 konnte das iranische Atomprogramm bremsen, doch seit dem Ausstieg der USA unter Präsident Donald Trump im Jahr 2018 lehnt der Iran immer mehr Kontrollen ab. Trumps Nachfolger Joe Biden will deshalb einen neuen Vertrag.

Die Unruhen haben Bidens Zwangslage noch verstärkt, wie der Iran-Experte Alex Vatanka unserer Zeitung sagte. Der Präsident werde versuchen, die Atomfrage und die Unruhen auseinanderzuhalten, meint Vatanka, Chef des Iran-Programms am Nahost-Institut in Washington. Biden strebe weiter einen neuen Atomdeal an, wolle zugleich aber viele Sanktionen gegen den Iran wegen Menschenrechtsverletzungen beibehalten. „Er hat einen Drahtseilakt vor sich“, sagte Vatanka über den US-Präsidenten.

Washington verhängte Sanktionen gegen Religionspolizei

Im September verhängte Washington bereits Sanktionen gegen die Chefs der iranischen Religionspolizei, des Geheimdienstes und anderer Teile des iranischen Sicherheitsapparates. Nun kündigte Biden neue Strafmaßnahmen gegen iranische Regimevertreter an, denen die USA „Gewalt gegen friedliche Demonstranten“ vorwerfen.

Auch in Europa wächst die Bereitschaft zu härteren Maßnahmen im Umgang mit dem iranischen Regime. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb auf Twitter, der Mut der Iraner und Iranerinnen bei den Protesten sei „unglaublich“. Die „rohe Gewalt des Regimes“ zeuge von „der puren Angst vor der Kraft von Bildung und Freiheit“. Die Möglichkeiten Deutschlands, etwas für die Demonstranten im Iran zu tun, seien zwar begrenzt. „Aber wir können ihre Stimme verstärken, Öffentlichkeit schaffen, anklagen und sanktionieren. Und das tun wir.“

Die EU-Staaten wollten am 17. Oktober entscheiden

Zusammen mit anderen EU-Staaten hat Deutschland neue Iran-Sanktionen vorgeschlagen, die sich gegen Regimevertreter und Institutionen im Iran richten sollen, die an der Gewalt gegen die Demonstranten beteiligt sind. Am 17. Oktober sollen die Strafmaßnahmen beschlossen werden. Ob und wann in Wien dann weiterverhandelt wird, ist offen.