US-Präsident Joe Biden ist zu Besuch in Berlin – und wird schon jetzt vermisst. Nicht nur, weil ein möglicher Nachfolger Donald Trump die Welt ins Chaos stürzen könnte.
Joe Biden ist nach Deutschland gekommen, um sich für seinen Einsatz für die transatlantischen Beziehungen danken zu lassen. Dass der amerikanische Präsident das tut, ist aber auch ein Abschiedsgeschenk an Kanzler Olaf Scholz. Das zeigt Biden mit großen Worten – und kleinen Gesten.
Als die beiden Staatsmänner zum Pressestatement im Kanzleramt kommen, klopft Biden Bundeskanzler Scholz sanft auf den Rücken. Eine kleine Geste, die man nicht für jeden übrig hat, sondern nur für einen, vom dem man etwas hält. Während Scholz – gewohnt hölzern – sein Lob auf Joe Biden, die deutsch-amerikanischen Beziehungen und für den gemeinsamen Einsatz für die Ukraine ausspricht, steht der amerikanische Präsident fast schon lässig am Rednerpult. So lässig, wie es eben im Alter von 81 Jahren geht. Biden legt nur die rechte Hand auf das Pult und dreht sich mit dem Körper Scholz zu. Jedes Mal, wenn Scholz die Worte „Mister President“ spricht, nickt er freundlich.
Drei Mal danke
Das Mikro des Amerikaners ist laut aufgedreht. Denn der US-Präsident gehört zu den wenigen Menschen, die oft noch leiser sprechen als Olaf Scholz. Biden dankt der Bundesregierung nicht nur dafür, dass Deutschland nach den USA der zweiwichtigste Unterstützer der Ukraine ist. Der Präsident nennt Deutschland den „engsten und wichtigsten Verbündeten“ der Vereinigten Staaten. An Scholz gerichtet sagt er: „Ich will Dir für Deine Freundschaft danken.“
Biden lobt auch, dass Deutschland nach dem Überfall des russischen Präsidenten Wladimir Putin die Weichen so gestellt hat, dass es nun das Zwei-Prozent-Ziel der Nato einhält. Scholz nickt stolz. Im eigenen Land gilt er vielen Menschen wegen des Dauerstreits in der Ampelkoalition als schwacher Führer. Seine eigenen Umfragewerte und die seiner Partei, der SPD, sind mehr als nur dürftig. „Thank you, thank you, thank you“, sagt Biden. Dreimal Danke. Das hat Scholz sicher lange nicht gehört. Jetzt sagt es der mächtigste Mann der Welt.
Doch das ist Biden nur noch kurze Zeit. Er ist zwar der festen Überzeugung, dass er eine zweite Amtszeit verdient hätte, doch die Demokraten haben ihn – nach einem katastrophalen Auftritt bei einem TV-Duell mit Donald Trump – gedrängt, seine Kandidatur zurückzuziehen. Wer Biden noch nie gesehen hat, würde auch in Berlin in ihm vor allem einen eher klapprigen alten Mann erkennen. Diejenigen, die ihn länger beobachten, sagen: Er wirkt an diesem Tag beweglich, präsent – und wie einer, der gut drauf ist.
Das enge Rennen
Dass Biden im Kanzleramt nur ein Statement abgibt, dass er sich nicht in einer Pressekonferenz den Fragen der Journalisten stellt, ist aber auch ein Zeichen dafür, wie viel Angst sein Umfeld vor missglückten Auftritten hat. Davor, dass Biden mal wieder Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin verwechselt – oder, dass ihm sonst irgendein Fehler passiert, der die Demokraten bei der Wahl im November Stimmen kosten könnte. Denn das Rennen zwischen Vize-Präsidentin Kamala Harris und dem Republikaner Donald Trump ist sehr eng.
Mit Joe Biden geht eine Ära zu Ende. Dass es noch einmal einen US-Präsidenten gibt, dem Europa so wichtig ist, sollte niemand auch nur zu hoffen wagen. Wenn seine Vize-Präsidentin Kamala Harris die Wahl gewinnt, dürfte sie Bidens Außenpolitik zwar fortsetzen. Doch Harris wird – auch angesichts der knappen finanziellen Mittel – stärker als Biden darauf dringen, dass Europa für die eigene Sicherheit Verantwortung übernimmt. Wenn mit Donald Trump Bidens Vorgänger auch sein Nachfolger werden sollte, drohen unkalkulierbare Folgen. Trump hat angekündigt, er könne den Ukrainekrieg in der Ukraine als Präsident per Deal innerhalb von 24 Stunden beenden. Das ist Unsinn. Er könnte die Welt aber innerhalb kürzester Zeit ins Chaos stürzen. Biden spricht bei seinem Besuch in Berlin keinen historischen Satz wie John F. Kennedy, als er 1963 vor dem Rathaus Schöneberg sagte: „Ich bin ein Berliner.“ Er tritt nicht öffentlich auf und könnte die Menschen nie so begeistern, wie Barack Obama es getan hat. Doch Biden hat, realistische betrachtet, mehr für Europa und Deutschland getan als viele andere Präsidenten. Er verkörpert die USA, die Europa helfen und dabei partnerschaftlich handeln.
Deshalb erhält Biden einen Orden, den davor schon historische Größen wie der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow zehn Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erhalten hat: die „Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Jode Biden den Orden im Schloss Bellevue noch vor dem Besuch im Kanzleramt verleiht, sorgt für ein Lachen in Bidens Gesicht, als er über einen alten Aktenvermerk spricht. Steinmeier erinnert in seiner Rede zur Ordensverleihung an einen Besuch des jungen US-Senators Biden vor mehr als 40 Jahren in Bonn. Der Senator sei interessiert an der Bundesrepublik und habe eine bedeutende Karriere vor sich, hieß es dort.
Eine Aktennotiz und ein Lachen
In einer Zeit, in der die Demokratie in der gesamten westlichen Welt unter Druck stehe, sei Biden „ein Leuchtfeuer der Demokratie“, sagt Steinmeier nun. Der Bundespräsident, der zuvor auf Englisch gesprochen hat, erklärt Biden, er müsse, das Dokument zur Ordensverleihung auf Deutsch vorlesen. Nur dann hat alles amtlich seine Richtigkeit. Steinmeier tut es. Und heftet dann Biden den Orden an und dreht den US-Präsidenten sanft in die Richtung, in der er mit dem Gesicht zum Publikum steht. Applaus im Saal.
Eine solche Ehrung unter Staatsmännern ist, wenn man so will, eine sehr förmliche Variante des Freundschaftsbändchens, das sich junge Menschen gegenseitig ans Handgelenk binden. Das soll sagen: „Wir sind uns verbunden – jetzt und in Zukunft.“ Es ist ein Versprechen, dass sich 18-Jährige, die mit der Schule fertig sind, in Wirklichkeit kaum geben können, weil sie noch gar nicht wissen, was sich in ihrem Leben alles ändert. Bei Staaten ist es noch schwieriger. Eben, weil sich Regierungen ändern.
Die fehlende Antwort
Anfang Februar dieses Jahres war Kanzler Scholz bei Biden im Weißen Haus zu Besuch. Blauer Teppich, komfortable Armsessel – und hinter Scholz das Porträt des früheren US-Präsidenten Abraham Lincoln. Es war eng und gemütlich im Oval Office, wo Biden den Kanzler empfing. Beide sprachen darüber, wie wichtig es sei, der Ukraine zu helfen, ihr Land zu verteidigen. Sie demonstrierten Einigkeit – auch wenn sie hinter den Kulissen um vieles gerungen haben mögen.
Jetzt, bei Bidens Besuch im Kanzleramt, kann Scholz nicht wissen, ob und wann er überhaupt wieder willkommen im Weißen Haus ist. Wie es mit der Ukraine und der Nato weitergehe, ruft ein amerikanischer Reporter dem US-Präsidenten zu, als er mit Scholz die Statements beendet. Eine Antwort gibt es nicht.