Was für ein Abend: Starkregen und schwere Sturmböen sind über Stuttgart und die Region gezogen. Wassermassen und Sturmschäden sorgten für zahlreiche Einsätze von Feuerwehr und Polizei. Auch die S-Bahn musste den Betrieb einstellen.
Stuttgart - Land unter in Stuttgart. Die B 14 in der Innenstadt bietet gegen 21.30 Uhr ein Bild wie aus der Stuttgarter Stadtchronik. Nur diesmal in Farbe: Unter der Paulinenbrücke ist die Unterführung vollgelaufen. Zwei Autos stehen tief im Wasser. Glücklicherweise ist niemand zu Schaden gekommen. Viele erinnern sich dunkel und nicht nur in Schwarz-Weiß: am 15. August 1972 wütete ein Starkgewitter in der Landeshauptstadt: Tennisballgroße Hagelkörner gingen über Stuttgart nieder, Sturmböen fegten durch die Straßen, Dächer wurden abgedeckt. So schlimm ist es diesmal nicht. Auch Schlauchboote werden auf der B 14 nicht benötigt.
Aber die Feuerwehr! Polizeibeamte sichern die Stelle. „Das wird die Feuerwehr abpumpen müssen“, sagt einer von ihnen. „Wenn wir darauf warten, bis das Wasser verdunstet, stehen wir noch in zwei Wochen hier.“ Trotz allem Stress an diesem Abend, beweist der Polizist Humor. Alle Achtung.
Am Schnarrenberg fallen 42 Liter Wasser pro Quadratmeter
Ein paar hundert Meter weiter stehen Menschen mit Eimern an einem Hauseingang – ein vollgelaufener Keller. Es ist nicht der einzige an diesem Abend und in dieser Nacht. Über die gesamte Stadt verteilt, bahnt sic das Wasser in die Keller, stürzen Bäume um, demolieren herabfallende Äste geparkte Autos.
Wieviel Regen war’s denn nun? Die Dame vom Deutschen Wetterdienst ist kurz angebunden. Nicht aus Unhöflichkeit, sondern weil sie um 21.45 noch mitten in der „Warnlage“ ist. In Stuttgart regnet’s zu dem Zeitpunkt noch, doch das Starkgewitter ist bereits ost- und nordwärts weitergezogen. Die wichtigsten Daten hat sie parat: Am Messpunkt Schnarrenberg fielen in einer Stunde 42 Liter Wasser auf den Quadratmeter. „Das ist sehr viel“, sagt sie. „Der Wert liegt über der Schwelle zum extrem heftigen Starkregen.“ In der Region werden ebenfalls hohe Werte gemessen: 37 Liter in Backnang. Alle Zutaten für den Starkregen, sagt sie, seien vorhanden gewesen.
Deshalb hatte der Wetterdienst tagsüber auch vor dem Unwetter gewarnt. Auch vor Sturm. Die Windgeschwindigkeiten am Stuttgarter Schnarrenberg betragen um 21 Uhr 90 Kilometer pro Stunde, am Flughafen sind sogar 107 Stundenkilometer. Dafür regnet es dort deutlich weniger: „nur“ 24 Liter in der Stunde. Ein Zeichen dafür, dass die Niederschläge lokal sehr unterschiedlich ausfallen.
„Der Notruf ist völlig überlastet“
Bei der Feuerwehr herrscht Land unter. Großalarm in der Stadt. „Der Notruf ist völlig überlastet“, sagt Feuerwehrsprecher Daniel Anand, „wir teilen über die Social-Media-Kanäle mit, dass man nur in dringenden Fällen anrufen soll.“ Die Einsatzkräfte seien im Dauereinsatz, es müssten noch zahlreiche Einsatzstellen abgearbeitet werden. „Bis gegen 23.15 hatten wir etwa 250 Einsätze, über die ganze Stadt verteilt“, sagt Anand.
Der S-Bahn-Verkehr ist gegen 20.30 Uhr lahm gelegt. Auf allen Strecken heißt es: Komplettausfall. Auch die Regionalzüge werden vom Unwetter gestoppt. Zwischen dem Stuttgarter Hauptbahnhof und Tübingen heißt es: „Zugverkehr vorübergehend eingestellt! Mehrere Streckenschäden, mit einer Betriebsaufnahme wird erst in den frühen Morgenstunden gerechnet.“
Das Wetter wirbelt den Fahrplan durcheinander
Auch der Stadtbahnverkehr wird völlig ausgebremst. Von überall her gehen in der Leitstelle Störungsmeldungen ein. Betroffen ist etwa die Stadtbahnlinie U 13, die, so lauten erste Meldungen, durch einen umgestürzten Baum im Bereich Kienbachstraße blockiert ist. Da gerät alles durcheinander: Normalerweise ist man binnen fünf Minuten in Untertürkheim – das Unwetter wirbelt so einen Fahrplan schnell durcheinander. Wer um 20.22 Uhr hätte losfahren wollen, muss sich bis 21.41 Uhr gedulden.
Ähnliche Meldungen kommen von der unteren Ebene der Stadtbahn-Haltestelle Charlottenplatz. Dort, wo beispielsweise die Linie U 1 und U 4 verkehren, werden Wasserprobleme im Tunnel gemeldet. Die Verspätungen sind immens. Der elektronische Fahrplan vertröstet für eine U 4, die um 20.28 Uhr hätte fahren sollen, auf 22.08 Uhr. Doch werde denkt jetzt noch ans Fahren?
„Mülleimer im Gleis“ und andere Beobachtungen zwingen die Stadtbahnfahrer zu höchster Vorsicht. In der Esslinger Straße in Fellbach soll ein Hindernis auf den Schienen liegen. Zeitweise müssen die Stadtbahnfahrer die nächste Haltestelle ansteuern und dort mit dem gelben Zug ausharren. Es dauert lange nach 21 Uhr, bis die Bahnen wieder freigegeben werden. „Fahren Sie vorsichtig“, lautet die Anweisung aus der Leitstelle, „und achten Sie auf die Oberleitungen.“
„Es gibt große Behinderungen im Regional- und Fernverkehr im Südwesten“, sagt ein Bahnsprecher. Angesichts der Vielzahl ausgefallener und verspäteter Züge sollten sich Fahrgäste am besten per Handy-App informieren.
Teile des Operndachs werden abgedeckt
Alarm auch an der Oper: Der Sturm hat Teile des Dachs abgedeckt, Kupferteile fallen auf den Vorplatz. Auch eine Statue zerschellt am Boden. Intendant Viktor Schoner sagt: „Ich stehe unter dem Dach und werde ganz schön nass.“ 250 Gäste seien zur Zeit des Unwetters bei einem Liederabend in der Oper gewesen, niemand sei verletzt worden. „Wasser dringt ins Gebäude ein, das ist eine unserer großen Herausforderungen“, sagt Feuerwehrsprecher Anand.
Auch die Polizei wird vom Unwetter nicht verschont. Eine Streifenwagenbesatzung wird am Charlottenplatz in der Unterführung vom Wasser überrascht. Die Beamten müssen schnell raus und den Dienstwagen zurücklassen. Ein ähnliches Schicksal erleidet ein Polizeiauto auf Höhe des Gebhard-Müller-Platzes. „Außerdem sind in manchen Polizeirevieren die Keller vollgelaufen“, sagt Polizeisprecherin Elena Marino. Das Cannstatter Revier an der Martin-Luther-Straße sei wegen der Gefällstrecke der Waiblinger Straße besonders betroffen. Auch vom Revier Ostendstraße werden Wasserschäden im Dienstgebäude gemeldet. Die Polizei verzeichnet bis zum Abend 230 Einsätze.
Das Kanalnetz kommt ans Limit
Übrigens: Schon lange warten Experten davor, dass Stuttgart bei sintflutartigen Regenmengen wie ein Trichter wirke. Das 1600 Kilometer lange Kanalnetz könne große Wassermassen, etwa 60 Liter pro Quadratmeter, nicht aufnehmen. Was Stuttgart am Montagabend erlebt hat – das waren jedenfalls bis zu 42 Liter. In allen tief liegenden Unterführungen wollte man bis 2021 die Pumpwerke für mehrere Millionen Euro erneuert haben.