Viel Konfliktpotenzial steckt derzeit im Verhältnis zwischen Polizei und Migranten. Foto: imago images/Arnulf Hettrich

Die Diskussionen über Rassismus in der Polizei reißen nicht ab. Das Innenministerium hat jetzt die Disziplinarstatistik der vergangenen Jahre durchforsten lassen. Das Ergebnis: Es gibt kaum Fälle. Doch die Auswertung ist schwierig.

Stuttgart - Die Polizei im Land steht seit Monaten im Blickpunkt – und das ziemlich unerwartet. Erst ist die Rassismus-Debatte aus den USA herüber geschwappt, dann haben die Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt Ende Juni große Diskussionen ausgelöst. Auch über die generelle Rolle der Beamten in Sachen korrekten Verhaltens gegenüber allen Bevölkerungsgruppen. Das Innenministerium will allgemeine Vorwürfe, Migranten würden gezielt schikaniert, nicht im Raum stehen lassen – und hat die Disziplinarstatistik aller Angehörigen der Landespolizei im Hinblick auf Diskriminierungsfälle durchforsten lassen. Und zwar rückwirkend von Anfang 2015 bis heute. Die Ergebnisse liegen seit kurzem vor. Aus Sicht der Politik geben sie Entwarnung.

„Die Untersuchung durch den Inspekteur der Polizei zeigt: Unsere Landespolizei hat kein strukturelles Rassismus- oder Diskriminierungsproblem“, sagt Innenminister Thomas Strobl (CDU). Er habe dieses Thema ganz bewusst ganz oben, beim ranghöchsten Polizeivollzugsbeamten, angesiedelt: „Mir ging es um eine intensive und umfassende Auswertung, wo ein Fehlverhalten möglicherweise einen rassistischen Hintergrund haben könnte“, so Strobl. Zudem habe der Inspekteur den Auftrag erhalten, die Disziplinarstatistik auf Verbesserungen zu hinterfragen, sodass beispielsweise Fälle mit rassistischem Hintergrund als solche künftig genauer erfasst würden.

Was die Zahlen betrifft, hat die Untersuchung zwei verschiedene Bereiche unter die Lupe genommen. Der eine ist die Zahl der Beschwerden, die seit Januar 2015 bei allen vorhandenen offiziellen Stellen eingegangen sind. Die hatte das Ministerium bereits vor kurzem auf eine kleine Anfrage der CDU-Fraktion genannt – allerdings mit leicht anderen Werten. Jetzt ist die Rede von 163 Beschwerden wegen diskriminierenden Verhaltens. Bei 136 davon ging es um die ethnische Herkunft. Bei den übrigen ging es um das Alter, das Geschlecht, eine Behinderung oder allgemeine Diskriminierung. Bei 133 der Beschwerden habe sich, so das Ministerium, der Vorwurf nicht erhärtet. 19 Verfahren sind noch nicht beendet. Drei Fälle waren nicht mehr nachvollziehbar. Nur in acht haben sich die Vorwürfe bestätigt. Angesichts von 33 000 Beschäftigten bei der Landespolizei sei das minimal, so Strobl.

Eine Freiheitsstrafe auf Bewährung

Die Untersuchung hat aber auch die angefallenen Disziplinarverfahren durchleuchtet. Da gab es seit 2015 insgesamt 26 Fälle wegen des Vorwurfs der Diskriminierung – 17 davon wegen rassistischen, antisemitischen oder fremdenfeindlichen Verhaltensweisen. Elf dieser Fälle sind noch nicht abgeschlossen. In drei Fällen gab es einen Verweis, in zweien eine Geldbuße. Im Großteil dieser Verfahren waren auch Staatsanwaltschaften mit eigenen Ermittlungen betraut. Fünf Mal wurde vor Gericht eine Geldstrafe ausgesprochen, in einem Fall kam es zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten auf Bewährung. Außerdem sind gegen sieben Polizeischüler beamtenrechtliche Entlassungsverfahren eingeleitet worden. Sie hatten in einer Whatsapp-Gruppe rassistisches, antisemitisches und frauenfeindliches Gedankengut geteilt. In zwei dieser Fälle laufen noch Widerspruchsverfahren. So weit, so gut. Kritiker monieren allerdings, dass das Ergebnis wenig überraschend sei – angesichts einer Untersuchung durch die Polizei selbst. Doch noch ein anderer Punkt hat sich als schwierig erwiesen. Denn so, wie die Disziplinarstatistik bislang geführt wird, ist eine Auswertung auf Rassismus- und Diskriminierungsvorwürfe nur schwer möglich.

„Deshalb machen wir hier Verbesserungen“, kündigt Strobl an. Zum einen würden die Auswertungsoptionen der Statistik um den detaillierten Unterpunkt „Diskriminierungen“ erweitert. Danach sollen alle Dienststellen rückwirkend zum 1. Januar 2020 alle solchen Fälle nachmelden. „Außerdem wird künftig im Landespolizeipräsidium eine eigenständige Liste geführt, in der alle Disziplinarfälle mit Bezug zu diskriminierenden Vorwürfen aufgeführt werden“, so Strobl. Eine solche Liste gibt es bereits für Disziplinarfälle mit Extremismus-Bezug.

Das Innenministerium hofft, mit den Erkenntnissen etwas Ruhe in die Diskussionen zu bringen – auch zum Wohl der Beamten auf der Straße. „Wir dulden bei der Polizei keinerlei rassistisches Verhalten“, betont Strobl – und verweist darauf, dass immer mehr der Beamten selbst einen Migrationshintergrund haben. Im vergangenen Jahr war das bei 27,2 Prozent der neu eingestellten Polizisten der Fall.