In den USA läuft ein gewagtes Experiment: Ein Biotech-Konzern lässt gentechnisch veränderte Stechmücken frei, die sich mit wilden Insekten paaren und so die Population unfruchtbar machen sollen. Der Widerstand vor Ort ist groß.
Wenn Bryon Elliot auf Mückenjagd geht, lässt er die Chemikalien erst mal im Auto. Stattdessen greift der Schädlingsbekämpfer zu einem Kescher und einem Eimer, in dem Silberkärpflinge schwimmen. Behutsam setzt er die Fische in einem Regenüberlaufbecken aus. „Die sind sehr nützlich“, sagt Elliot, „denn sie fressen Mückenlarven für ihr Leben gern.“
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Stechmücken sind in Florida seit je ein Problem, vor allem auf den Florida Keys, einer Inselgruppe am südlichsten Zipfel des Landes. Derzeit breitet sich die Gelbfiebermücke besonders stark aus, eine invasive Spezies aus den Tropen.
In den vergangenen Jahren kam es ihretwegen mehrfach zu Dengue- und Zikavirus-Ausbrüchen auf den Keys. Um das Problem zu lösen, haben sich die Behörden nun auf ein gewagtes Experiment eingelassen: gentechnisch veränderte Stechmücken. Es ist der erste derartige Großversuch in den USA.
Mücken werden resistent gegen Spritzmittel
„In diesem Kampf brauchen wir jedes Werkzeug, das wir kriegen können“, sagt Andrea Leal, die Direktorin des Florida Keys Mosquito Control District. Diese staatliche Behörde ist für die Bekämpfung der Schädlinge zuständig – und das ist zunehmend schwieriger: „Viele Mücken werden gegen unsere Insektizide resistent“, sagt Andrea Leal. „Deshalb sind wir dankbar für jedes neue Mittel in unserem Arsenal.“ Das neue Mittel ist – ebenfalls eine Stechmücke.
Der britische Biotech-Konzern Oxitec hat auf den Florida Keys fünf Millionen gentechnisch veränderte Larven freigelassen. Die daraus entstehenden Mücken werden sich mit der wild lebenden Population paaren. Die veränderten Gene sollen dazu beitragen, dass die Mückenbestände langfristig zurückgehen – ohne jede Gefahr für Menschen und Umwelt, versichert Oxitec.
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Gentechnik macht Einheimischen Angst
Viele Einheimische sind sich da nicht so sicher. Neben dem Overseas Highway thront ein Plakat, das lokale Umweltverbände aufgestellt haben. Es zeigt eine riesige Mücke, die einer Frau ins Auge sticht. Bildunterschrift: „Gen-Mücken? Was kann da schon schiefgehen?“ Das Motiv fasst die Sorgen der Projektgegner zusammen. „Bei solchen Experimenten gibt es keinen Raum für Fehler“, sagt Ed Russo, der Präsident des Umweltverbands Florida Keys Environmental Coalition. Wer wisse schon, wie sich die Gen-Mücken in der Nahrungskette auswirken?
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Seit Jahren kämpfen Russo und sein Team gegen das Experiment, das sie für undurchsichtig und gefährlich halten. „Ich habe nicht generell etwas gegen Gentechnik“, sagt Russo. „Am Anfang war ich sogar richtig begeistert. Wir dachten, dass nun keine Chemikalien mehr eingesetzt werden müssen.“ Aber das habe sich als Trugschluss herausgestellt: Gelbfiebermücken machten nur vier Prozent aller Mücken auf den Keys aus. Gegen alle anderen Arten müssten weiterhin Insektizide versprüht werden – was auch die staatliche Moskito-Kontrolle bestätigt.
Volksabstimmung unter dubiosen Bedingungen
Auch die Art und Weise, wie das Experiment durchgedrückt wurde, löst Unmut aus. So wurden zwei rechtlich nicht bindende Volksabstimmungen abgehalten. In der Stadt Key Haven – dem Ort, an dem die Mücken zuerst ausgesetzt werden sollten – stimmten 2016 zwei Drittel der Bevölkerung gegen das Projekt. Gewertet wurde aber am Ende nur die Abstimmung des gesamten Landkreises, in dem die Mehrheit der Befragten für das Experiment votierte.
Tatsächlich gibt es auch glühende Verfechter der Gen-Mücken. So etwa Doug Mader, der als Tierarzt auf den Keys arbeitet. Mader wirbt seit Langem für das Projekt – „ohne einen Cent von Oxitec zu bekommen“, wie er mehrfach betont. Er sorgt sich vor allem um Hunde: „Die Gelbfiebermücken übertragen Herzwürmer“, sagt er. „Das ist eine sehr grausame Krankheit.“ Außerdem töteten die derzeit eingesetzten Chemikalien viele Schmetterlinge und andere nützliche Insekten. Deshalb unterstütze er die Alternativen.
Auch ein Einsatz in Europa denkbar?
Die erste Phase des Projekts auf den Florida Keys, die mit dem Aufstellen der Larvenboxen im April 2021 ihren Anfang genommen hatte, ist nun abgeschlossen. Oxitec hat die Boxen nach eigenen Angaben wieder eingesammelt. Nun widmet sich das Biotechnologie-Unternehmen dem nächsten Ziel: der Anwendung im großen Stil. Das Projekt soll dieses Jahr fortgeführt werden; einen Antrag bei der Umweltbehörde hat Oxitec schon gestellt.
Wenn das Experiment auf den Keys erfolgreich verläuft, könnten die Gen-Mücken auch in anderen Bundesstaaten zugelassen werden. Auf lange Sicht ist sogar ein Einsatz in Europa denkbar, angepasst etwa auf die Asiatische Tigermücke, eine invasive Stechmückenart, die sich hierzulande verbreitet.