Ulrich Kuhn und Stefan Gaißer präsentieren in ihrer Kirchheimer Praxis ihr umstrittenes Schild. Foto: Ines Rudel/Ines Rudel

Ein Schild am Eingang einer Kinderarztpraxis in Kirchheim unter Teck weist Patienten darauf hin, dass sie nur behandelt werden, wenn sie die Sprache verstehen. Der Arzt wehrt sich gegen Rassismusvorwürfe – und bekommt auch viel Zuspruch.

Als Ulrich Kuhn und Stefan Gaißer 2001 ihre Kinder- und Jugendarztpraxis am Alleenring in Kirchheim/Teck (Kreis Esslingen) eröffneten, haben sie nicht gedacht, dass sie 23 Jahre später am Empfang ein solches Schild aufhängen würden: „Wir sprechen hier in der Praxis ausschließlich Deutsch! Sollte eine Kommunikation aufgrund fehlender deutscher Sprachkenntnisse nicht möglich sein und auch kein Dolmetscher persönlich anwesend sein, müssen wir eine Behandlung – außer in Notfällen – zukünftig ablehnen.“

Das sorgt für Aufregung. Seit die örtliche Tageszeitung darüber berichtet hat, gibt es zahllose Menschen, die das Vorgehen von Kirchheims größter Kinderarztpraxis in den sozialen Medien kommentieren. Das Spektrum der Meinungen reicht dabei von heftiger Kritik wie „Geht gar nicht“ und „Schlimm, ganz schlimm. Das ist Alltagsrassismus in seiner ganzen Pracht“ bis zu großem Verständnis für das Vorgehen: „Der Doc hat meine volle Zustimmung. Wie soll der denn eine Diagnose stellen, wenn kein Deutsch gesprochen wird? Nachher beschwert sich wer über die falsche Diagnose.“

„Die Sprachbarriere ist Realität“

Den Rassismus-Vorwurf kann auch Ulrich Kuhn überhaupt nicht verstehen: „Das Problem tritt doch gerade deshalb auf, weil wir schon immer jedes Kind ohne Ansehen der Hautfarbe oder der Herkunft versorgt haben und das natürlich auch weiterhin tun.“ Vermehrt sei es in den vergangenen Jahren aber passiert, „dass Patienten einfach kommen und weder Eltern noch Kinder verstehen, was wir sagen. Diese Sprachbarriere ist Realität.“

Dazu komme, dass die Praxis heute sehr viel mehr Kinder zu versorgen habe als früher: „Das zwingt uns, die Abläufe in der Praxis so effizient wie möglich zu gestalten.“ Schließlich seien Ärzte und damit auch Kinderärzte gesetzlich verpflichtet, die Patienten über alles aufzuklären. Das beginne mit der Erhebung der Vorgeschichte und der Frage, ob es Vorerkrankungen oder Allergien gibt. Kuhn: „Dazu müssen wir schon mit den Eltern sprechen können.“


Eine rechtliche Grauzone

Schließlich müssten die Ärzte nach der Untersuchung den Eltern erklären können, was sie jetzt tun müssen. Kuhn: „Das alles ist ohne, dass man sich sprachlich versteht, nicht möglich. Wenn wir nicht dafür sorgen, begeben wir uns nicht nur in eine rechtliche Grauzone, sondern in eine tiefschwarze.“

Ein weiteres gutes Beispiel sei das Impfen. Kuhn: „Jede Impfung ist eine kleine Körperverletzung. Deshalb müssen die Eltern explizit einwilligen. Dabei muss auch klar sein, dass sie verstanden haben, was passiert.“ Tatsache sei, dass keiner der Ärzte, die in der Kirchheimer Praxis arbeiten, über eine so langjährige Auslandserfahrung verfügt, dass er sagen könne, er spreche eine andere Sprache genauso gut wie deutsch. „Deshalb weisen wir darauf hin: Wir sprechen nur deutsch.“

„Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit ist absurd“

Den immer wieder genannten Hinweis in den sozialen Medien, es gebe ja mittlerweile gute Übersetzungsapps, lässt Kuhn nicht gelten: „Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, ob man radebrechend in ein Restaurant geht, um sich etwas zu bestellen, oder ob wir rechtssicher behandeln müssen. Dazu muss ich selber wissen, was ich gesagt habe. Uns da eine Form der Diskriminierung zu unterstellen oder gar Fremdenfeindlichkeit ist absurd.“

Immerhin räumt Kuhn ein, dass ein solches Schild in Kinderarztpraxen momentan die Ausnahme ist: „Die Kollegen haben zwar das gleiche Problem und sie sehen das genauso wie wir mit der rechtlichen Unsicherheit. Sie sind aber wohl noch nicht auf die Idee gekommen, dass man das machen könnte – oder sie haben Sorgen vor Reaktionen aus dem Netz.“

Schilder sind keine Empfehlung des Bundesverbands

Auch dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), der Interessenvertretung der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland, sind keine ähnlichen Plakate bekannt. Sprecher Jakob Maske betont, dass solche Entscheidungen durch die Praxisinhaber selbst getroffen werden – „und dies nicht auf Empfehlung des Berufsverbands erfolgt“.

Grundsätzlich müssten alle Kinder- und Jugendärzte zunehmend effizient mit Ressourcen umgehen, also möglichst Zeit sparen. Die Kommunikation mit Menschen, die nicht die eigene Sprache sprächen, sei zeitaufwendig. Zudem komme es häufig zu Kommunikationsproblemen und damit zu Missverständnissen, was Diagnose und Therapie betreffe. Maske: „Dies kann zu einer Gefahr für das Kind führen. Deshalb ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn fremdsprachige Eltern einen Dolmetscher mitbringen.“

„Die Situation ist kaum lösbar“

Auch Kai Sonntag, der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, hat Verständnis für das Vorgehen der Kirchheimer Ärzte: „Sie sind in einer Situation, die für sie kaum lösbar ist: Auf der einen Seite möchten sie Patienten behandeln. Auf der anderen Seite müssen sie Patienten aufklären, müssen sie über Behandlungen und Therapien informieren. Dafür ist ein Mindestmaß an Kommunikation erforderlich. Auch Anwendungen wie Google Translator oder Ähnliches sind hier eben nur suboptimal und kosten viel Zeit, die dann nicht für andere Patienten zur Verfügung steht.“ Die AOK Baden-Württemberg erklärt, bisher habe es noch keine Beschwerden gegeben. Sollten sie kommen, würde man diese an die Landesärztekammer und die Kassenärztliche Vereinigung weiterleiten.

Eines ist Ulrich Kuhn und Stefan Gaißer bei allen Diskussionen wichtig: „Bei den Patienten ist unsere Aufforderung bisher gut angekommen. Wir haben weniger Fälle, in denen wir Verständigungsschwierigkeiten haben – und es hat sich noch niemand beschwert.“

Versorgungsengpässe in den Kinderpraxen

Ärztesituation
Laut Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) nimmt der Mangel an Kinder- und Jugendärzten von Jahr zu Jahr zu. Zunächst mache sich diese in ländlichen Gebieten bemerkbar, sei mittlerweile aber auch in den Städten spürbar. Diese Situation werde sich sehr bald drastisch verschärfen: In den nächsten fünf Jahren werden 20 bis 25 Prozent der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte pensioniert. Nachfolger gibt es nur selten.

Personal
Auch der Mangel an Personal sei, so der BVKJ, in den Praxen „deutlich angekommen“. In vielen Praxen könnten schon jetzt nicht mehr ausreichend Medizinische Fachangestellte angestellt werden, weil es schlicht zu wenige Bewerberinnen und Bewerber gibt. hol