Aktuell schaffen sich zu viele Menschen unüberlegt Haustiere an. (Archivbild) Foto: dpa/Franziska Kraufmann

Die Lage im Tierheim Stuttgart ist so angespannt wie nie zuvor. Täglich werden zahlreiche Haustiere abgegeben – die Mitarbeiter sind an ihren Grenzen. Tierschützerin Petra Veiel klärt auf, wie diese Notlage durch unsere Gesellschaft entstanden ist.

Kinder wollen eine Beschäftigung zum Spielen, Senioren wollen nicht allein sein und Singles wollen einfach einen Best Buddy – die Gründe, sich ein Haustier zuzulegen, sind vielfältig. Wenn sich dann noch die Beschreibung des Tiers im Internet ganz nett anhört, die Fellnase auf dem Foto mit seinen Knopfaugen süß in die Kamera schaut und sich das Tier beim Kennenlernen auch lieb streicheln lässt, ist der Weg zum eigenen Haustier quasi vollbracht.

Doch genau hier liege das Problem, laut Petra Veiel, Tierschutzlehrerin und Pressesprecherin des Tierheims Stuttgart. Tagtäglich erlebt die Tierschützerin, wie zahlreiche Tiere im Tierheim abgegeben werden, da sie schnell adoptiert wurden und dann den Besitzern plötzlich „zu viel“ sind. Die Lage in den Tierheimen ist so angespannt wie nie zuvor – der Zuwachs an abgegebenen Tieren enorm. „Es ist für uns jeden Tag ein bisschen Leben am Limit. Jeden Tag gibt es einen neuen Fall, bei dem wir uns fragen, wie wir das jetzt auf die Reihe bekommen“, verdeutlicht Petra Veiel die Notlage. Aber wie ist diese Notsituation entstanden?

Unüberlegte Käufe über das Internet

Neben geretteten Tieren von Tierschutzorganisationen aus dem Ausland, landen auch viele Haustiere aus der Region im Tierheim, die noch vor gar nicht all zu langer Zeit bei ihren Besitzern eingezogen sind. Ein Großteil der Haustiere, die im Tierheim Stuttgart abgegeben werden, haben die Besitzer über Online-Seiten wie den Auslandstierschutz, Ebay Kleinanzeigen oder meinetierwelt.de adoptiert, erzählt Petra Veiel. Das sei derzeit ein riesiges Problem, denn „seit das Internet so rege sämtliche Rassen und Arten von Tieren anbietet, sind die Leute im Shoppingrausch und das wird mehr.“ Sich ein Haustier anzuschaffen, ist nahezu so einfach wie Online-Shopping. Dieses Verhalten findet Tierschützerin Veiel „sehr unbedacht und blauäugig“.

Petra Veiel kann das Verhalten vieler Tierbesitzer nicht nachvollziehen. (Archivbild) Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Nachdem die süße Katze oder der tapsige Hundewelpe eingezogen sind, lässt jedoch oft die anfängliche Euphorie nach und vielen Besitzern wird schnell klar: Da steckt doch ein bisschen Arbeit dahinter, das Tier kann auch einmal krank werden und nur mit den Anschaffungs- und Futterkosten ist es oftmals nicht getan. Vor allem in letzter Zeit wollen daher viele Tierbesitzer ihr Haustier schnell wieder loswerden, da es zu viel Verantwortung, Zeit und Geld kostet, berichtet Petra Veiel.

Lage im Tierheim ist „Spiegelbild unserer Gesellschaft“

Die Tierschutzlehrerin macht es traurig, dass viele Besitzer davon ausgehen, „Tiere müssen nur funktionieren und haben in eine Familie oder zu einem Besitzer zu passen. Dass aber gleichermaßen das Tier auch Bedürfnisse hat, wird oft außerachtgelassen“. Die Tierschützerin wünscht sich, dass sich Haustierbesitzer im Voraus mehr über die Tiere informieren würden.

Leider sieht die Realität anders aus und die Unüberlegtheit und Verantwortungslosigkeit vieler Haustierbesitzer kann Tierschützerin Veiel nicht nachvollziehen. Für sie ist durch die angespannte Lage im Tierheim aktuell der gesellschaftliche Wandel deutlich zu spüren. Sie ist verärgert darüber, dass „man heutzutage alles haben muss und sich nicht mehr überlegt, dass man dafür auch etwas geben muss. Dass alles am Anfang toll ist und wenn es schwierig wird, dann lässt man es fallen. Das ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft gerade“, berichtet Petra Veiel mit trauriger Stimme.

Unachtsamkeit führt auch zu Unfällen

Die Unachtsamkeit der Haustierbesitzer und die oftmals nicht artgerechte Haltung machen Petra Veiel besonders sauer: „Wir haben todkranke Tiere hier, die zum Beispiel aus dem fünften Stock gefallen sind oder sich im Kippfenster verfangen haben, weil die Besitzer nicht aufgepasst haben.“ Diese Tiere landen dann oft im Tierheim, weil die Besitzer die Tierarztkosten der Tiere nicht mehr bezahlen können oder die Tiere ihnen zur Last fallen. „Was wir dieses Jahr an kranken Tieren bekommen haben, die auch vom Menschen verschuldet sind, machen mich einfach böse“, berichtet die Tierschützerin.

Die Tierarztkosten wachsen vielen Haustierbesitzern über den Kopf. (Archivbild) Foto: 7aktuell.de/Oskar Eyb

Viele Tiere werden im Tierheim derzeit aber nicht nur aus Unüberlegtheit abgegeben, sondern genau wegen derartigen Tierarztkosten. Neben den laufenden Kosten fielen diese für viele Besitzer besonders ins Gewicht, nach Aussagen von Petra Veiel. Gleichzeitig ließen viele Tierhalter die Tierarztkosten bei der Anschaffung des Haustiers außer Betracht. Neben den Anschaffungs- und Futterkosten bedenken viele Besitzer laut Veiel nicht, dass ein Tier jährlich ein bis zwei Mal zur Kontrolle zum Tierarzt muss, Impfungen braucht oder auch wie beim Mensch ungeplant größere Arztkosten durch Unfälle, Operationen oder Krankheiten entstehen können.

Aber auch Besitzer, die anfangs die Tierarztkosten einberechnen, werden derzeit häufig von teuren Rechnungen überrascht, berichtet Tierschutzlehrerin Veiel. Denn die Tierarztkosten seien deutschlandweit durch eine angepasste Gebührenordnung um 30 Prozent gestiegen. Diese Gebührenordnung war über lange Zeit stagniert, musste nun aber durch gestiegene Kosten der Tierärzte für neue Geräte, Strom, Wasser und die Inflation von der Tierarztkammer angepasst werden.

Wie ist die finanzielle Lage des Tierheims?

Die gestiegenen Tierarzt-, Futter- und Haltungskosten spürt auch das Tierheim Stuttgart. Grundsätzlich finanziert sich das Tierheim über Spenden und bekommt durch die Stadt Stuttgart zusätzlich 502.000 Euro. Doch die jährlichen Kosten belaufen sich laut Veiel auf rund zwei Millionen Euro.

Tierschutzlehrerin Petra Veiel betreut Chihuahuas. (Archivbild) Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Dank der Medien könne das Tierheim immer wieder auf sich aufmerksam machen, wodurch schubweise Spenden reinkämen, jedoch sei es immer ein „Gewaltakt“, die jährlichen Kosten zu decken – vor allem wenn größere Anschaffungen oder Fälle auf das Tierheim zukämen, sei das Geld oft knapp.

Keine Grenze der Tieraufnahme

Anfang des Jahres erst hatte das Tierheim mit einem großen „Animal-Hoarding“-Fall von Chihuahuas zu kämpfen. „Da kommen dann schon immer mal wieder Schweißausbrüche, ob wir das schaffen“, erzählt Pressesprecherin und Tierschützerin Petra Veiel.

Einen Aufnahmestopp musste das Tierheim Stuttgart aus finanziellen Gründen bisher noch nicht einlegen – dieser hätte wenn dann meist platztechnische Gründe. Doch dank der Belegschaft gibt es immer noch irgendwie eine Notlösung: „Wir Tierpfleger nehmen auch mal Tiere mit nach Hause, was natürlich auch eine Mehrbelastung für uns ist. Aber wir lassen keine Tiere im Regen stehen“, so Petra Veiel.