Hygiene-Hysterie? Falsch verstandene Sauberkeit kann ungesund sein. Foto: dpa-tmn/Christin Klose - dpa-tmn/Christin Klose

Über kaum etwas kann man sich so herrlich streiten wie über die Sauberkeit im Haushalt. Was aber sagen eigentlich Experten dazu: Wie sauber sollte sauber sein?

Hamburg/DessauStimmen die Vorurteile eigentlich: Staub und Schmutz in der Wohnung seien ein Zeichen mangelnder Hygiene. Wer zu wenig oder zu schlecht putzt, ist nicht nur ein unordentlicher Mensch, sondern gefährdet auch die Gesundheit seiner Familie. Hanne Tügel sagt Nein: „Wir sind völlig hysterisch, was die Hygiene anbelangt.“ Die Wissenschaftsjournalistin und Autorin des Buches „Sind wir noch ganz sauber?“ hält das Putzverhalten vieler Mitmenschen für übertrieben und stellt die Behauptung auf, dass falsch verstandene Sauberkeit ungesund sein kann. „Panik vor Staub und Keimen ist genauso falsch wie Gleichgültigkeit“, so Tügel. „Wichtig ist zu erkennen, wo und wann welcher Schmutz gefährlich sein kann.“

Während eine Staubschicht auf den Möbeln zwar unschön, aber harmlos ist, ist bei Schneidbrettern in der Küche hingegen Vorsicht geboten. „Sie müssen nach dem Kontakt mit rohem Fleisch, Fisch und Salat gut abgewaschen werden“, sagt Tügel. „Denn in diesen Lebensmitteln können Keime wie Salmonellen stecken. Erhitzen macht sie unschädlich, aber bei der Verarbeitung gelangen sie auf die Arbeitsgeräte.“

Zu viel Chemie kann schaden

Genauso abwägen sollte man beim Einsatz der Putzmittel. Statt dem Schmutz sofort mit scharfen Reinigungsmitteln zu Leibe zu rücken, rät Tügel zur Abrüstung. Denn in vielen Produkten stecken Substanzen, die schwer abbaubar sind. Dazu können Gesundheitsrisiken kommen. „WC-Beckensteine, Duftbäumchen und Raumsprays zum Beispiel entfernen unangenehmen Geruch nicht, sie übertünchen ihn nur mit Duftstoffen, die zum Teil Allergien auslösen können.“ Auch Bernd Glassl vom Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel in Frankfurt, der Produzenten von Reinigungsmittel vertritt, erklärt: „Einen Haushalt bekommt man nie keimfrei – und das ist auch gar nicht nötig. Man kann viel Chemie einsparen, wenn man das richtige Putzmittel für seinen bestimmten Zweck einsetzt.“

Desinfektionsmittel sind oft unnötig

Ein Problem stellen gerade die als Bakterienkiller beliebten Desinfektionsmittel dar. Von deren Nutzung im üblichen Privathaushalt rät das Umweltbundesamt grundsätzlich ab. „Es besteht die Gefahr, dass Desinfektionsmittel falsch angewendet werden, wodurch sich Resistenzen bilden und auch Gefahren für die Gesundheit oder die Umwelt ergeben können“, sagt Experte Christoph Stang. Zumal bei vielen antimikrobiellen Zusätzen in Reinigungsmitteln die Wirksamkeit nicht erwiesen sei. Daher gelte: Desinfektionsmittel sollten sinnvollerweise nur nach ärztlicher Anweisung angewandt werden. Ein weiterer Grund für den Verzicht: „Das sind aggressive Chemikalien, die im Abfluss weiter wirken und in den Kläranlagen auch die Bakterien dezimieren, die das Wasser reinigen sollen“, so Tügel.

Der Allzweckreiniger reicht

„Für die Hygiene in Küche, Bad, WC und auf anderen Flächen im Haushalt genügen einfache Reinigungsmittel“, erklärt Stang. Ein hautfreundliches Spülmittel, ein milder Allzweckreiniger sowie ein saurer Reiniger zum Beispiel auf Basis von Zitronensäure gegen den Kalk und Scheuermilch bei stärkerer Verschmutzung – dieses Sortiment reicht völlig aus. Durch die waschaktiven Substanzen in den Mitteln werden Bakterien in ausreichendem Umfang beseitigt.

Herstellerangaben beachten

Und dann kommt es auf den Putzenden selbst an: Er muss die Reinigungsmittel nach Herstellerangaben anwenden. Die Dosierung ist vom Grad der Verschmutzung und auch von der Härte des Wassers abhängig. „Man sollte die Putzmittel möglichst lange einwirken lassen, denn sie entfalten ihre volle Kraft oft besser nach längerer Zeit“, rät Reinigungsexperte Glassl. Entscheidend ist auch, dass das Mittel für die Oberfläche geeignet ist, die geputzt werden soll. Essigessenz kann zum Beispiel Armaturen schädigen.

Wichtig ist, gerade Bad und Küche stets trocken zu halten, denn Bakterien und Schimmelpilze vermehren sich besonders gut bei hoher Luftfeuchtigkeit. „Deshalb ist es sinnvoll, nach dem Putzen durchzulüften, Wischlappen und Schwämme auszuwringen und zum Trocknen aufzuhängen“, sagt Buchautorin Tügel. „Die Waschmaschine sollte offen stehen, wenn sie nicht gebraucht wird.“

Heikle Ecken

Und doch: So gut man es auf diese Weise auch angeht, es bleiben die heiklen Stellen. Zwar könne man sich manches Putzmittel „fast ganz sparen“, sagt Reinigungsexperte Glassl. Wird zum Beispiel nach dem Duschen die Kabine sofort mit einer Gummilippe und die Ecken mit einem Lappen getrocknet, entstehen erst gar keine Kalkflecken, die später mühselig beseitigt werden müssen. „Aber wer ist schon so diszipliniert?“, weiß Glassl.

Ein bisschen gelassener werden

Gibt es hierfür nicht Tricks? Hanne Tügel rät zu mehr Gelassenheit. „Hygiene bedeutet nicht keimfreie Ultrareinheit. Unser Immunsystem ist durchaus in der Lage, mit Schmutz und Bakterien fertig zu werden“, sagt die Putzexpertin. „Überall, wo wir uns bewegen und wo wir hin fassen, lauern Keime in gigantischer Zahl, viele harmlose, aber auch tückische. Trotzdem sind sehr viele Menschen sehr oft ziemlich gesund.“

Service: Hanne Tügel: Sind wir noch ganz sauber? - Klüger mit Schmutz umgehen, gesünder leben, der Umwelt helfen, Verlag Edel Books, 2019, 288 Seiten, 17,95 Euro, ISBN: 978-3841906564