Marcus Faust hat im Dezember schon einmal eine Mahnwache gegen Altersarmut in Stuttgart abgehalten. Für den 24. Januar wird bundesweit zu solchen Veranstaltungen aufgerufen. Foto: privat

Die Facebook-Gruppe „Fridays gegen Altersarmut“ hat mehr als 300 000 Mitglieder. Derzeit wird bundesweit zu Mahnwachen aufgerufen. Was die Gruppe fordert und warum sie umstritten ist.

Stuttgart - 400 Euro legt Marcus Faust monatlich privat fürs Alter zurück, sagt er. Der Mann aus Stuttgart ist Fahrer bei einem Reinigungsgroßhandel, im Nebenjob fährt er Pizza aus. Um seine eigene Rente macht er sich weniger Sorgen. Der Grund, warum der 43-Jährige auf die Straße geht, ist seine Mutter. Knapp 1000 Euro Rente habe die Frau im Monat netto zur Verfügung. Sie sei Hausfrau mit zwei Kindern gewesen, habe Multiple Sklerose und immer nur in Teilzeit gearbeitet. „Es regt mich auf, dass sie nicht mehr bekommt.“

Deshalb ist Marcus Faust beigetreten, als ein Bekannter von ihm vor einiger Zeit auf Facebook die Gruppe „Fridays gegen Altersarmut“ gefunden hat. Vor rund vier Monaten wurde sie gegründet. Diesen Freitagvormittag zählte die Seite etwa 307 000 Mitglieder, aktuell kommen täglich einige Hundert hinzu. Mehrere Nachahmer- und Abspaltungsgruppen haben sich gebildet. Für Freitag, den 24. Januar, rufen die Mitglieder in zahlreichen Städten zu „Mahnwachen“ auf – auch in Stuttgart. Marcus Faust organisiert die Veranstaltung auf dem Schlossplatz.

Wie weit verbreitet ist Altersarmut?

Wer weniger als 1035 Euro im Monat hat, gilt in Deutschland als arm. In den letzten Jahren betraf das relativ gleichbleibend 15 bis 17 Prozent der Bevölkerung. Der Anteil von Menschen über 65, die als arm gelten, ist in den letzten Jahren gestiegen. Derzeit sind alte Menschen in etwa genauso häufig arm wie der Durchschnitt. 14,7 Prozent betrug die Armutsquote bei den Über-65-Jährigen im Jahr 2018. So steht es im Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.

Die Angst vor Altersarmut ist groß in Deutschland: Jeder Zweite hat einer Umfrage zufolge diese Sorge – doch für die private Vorsorge fehlen nach eigener Einschätzung fast ebenso vielen Menschen die Mittel. Zu diesem Ergebnis kam eine Umfrage der Deutsche Bank mit Unterstützung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos im Dezember 2019. „Man kann Angst- und Horrorszenarien aufbauen“, sagt Andreas Peichl über das Wort „Altersarmut“. Der VWL-Professor ist Direktor des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen an der Uni München. Bilder von alten Menschen, die Flaschen sammeln kenne schließlich jeder, so Peichl. Genau mit diesem Bild wirbt die Facebook-Gruppe in ihrem Logo: Eine alte Frau fischt im Mülleimer nach Pfandflaschen.

Was fordert die Gruppe?

Peichl hat sich die Forderungen angesehen, die „Fridays gegen Altersarmut“ im Netz veröffentlicht hat. „Das ist alles sehr populistisch“, sagt der Wissenschaftler. An erster Stelle steht „die sofortige Einführung eines solidarischen Rentensystems, in dem ausnahmslos alle einzahlen müssen.“ Dass Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen sollen, wird immer wieder gefordert. Langfristig würde es laut Peichl aber gar nichts bringen – unter anderem, weil durch die zusätzlichen Beitragszahlungen auch neue Ansprüche entstehen.

Auch die meisten anderen Forderungen sind laut dem Wissenschaftler zu kurz gedacht oder beziehen sich auf Dinge, die heute schon gelten. Ein Beispiel: „Die Verschwendung von Steuergeldern in Amtsstuben, Behörden und Ministerien ist gesetzlich unter Strafe zu stellen“, heißt es in dem Papier. Der Bundesrechnungshof prüft aber heute schon, wie mit Steuergeldern umgegangen wird. „Und natürlich gibt es auch heute schon gesetzliche Strafen, wenn gegen Auflagen verstoßen wird“, sagt Peichl.

Darüber hinaus fordert die Facebook-Gruppe einige Dinge, die mit der Rente gar nichts zu tun haben - zum Beispiel, dass Lebensmittelketten gesetzlich verboten werden soll, Lebensmittel wegzuwerfen.

Stuttgarter Organisator hetzt gegen die Grünen

Ein genauerer Blick in die Facebook-Gruppen wirft die Frage auf, ob die Beteiligten wirklich nur die Sorge um arme Rentner antreibt. In einem Informationsbrief heißt es, die Gruppe sei „politisch unabhängig“ und stünde nur dem „kleinen Mann“ nahe. Doch Marcus Faust, der Organisator der Stuttgarter Mahnwache, hetzte im Netz schon gegen die Grünen. „Deutschland säubern! Weg mit dem Grünen Dreck! Grüne entsorgen!“, postete er im März 2019 auf Facebook. Die Kriminalprävention der Stadt Singen, wo auch eine Mahnwache geplant ist, sprach dem „Südkurier“ zufolge eine Warnung aus. Die Bewegung werde mit antidemokratischen Verbindungen in Tendenzen gebracht.

Insgesamt sind in den „Altersarmut“-Gruppen Menschen unterschiedlicher politischer Couleur vertreten. Ein Administrator der großen Facebook-Gruppe namens Alexander Berger hat zum Beispiel diverse Likes für SPD-Ortsgruppen und –politiker sowie für die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht vergeben. Viele stehen ihren „Gefällt mir“-Angaben zufolge dagegen der AfD nahe. Das rechte Blog „Politically Incorrect“ hatte der Partei schon letzten Sommer geraten: „Aufruf an die AfD: Besetzt das Thema Altersarmut!“

Ein Like für die NPD

Gudrun Ruh, Administratorin einer kleineren „Altersarmut“-Gruppe und laut Facebook wohnhaft im baden-württembergischen Ebersbach, gefällt der NPD-Vorsitzende Frank Franz. Ein Mann namens Norbert Manz schreibt in einem Post, die „Bürger Solidarität“ habe sich „Fridays gegen Altersarmut“ angeschlossen. „Wir werden den Raum Baden-Württemberg betreuen“, heißt es in dem Beitrag. Das erklärte Ziel der „Bürger Solidarität“ wiederum lautet: Der AfD dabei zu helfen, „die Altparteien in die Bedeutungslosigkeit zu schicken.“ Norbert Manz erklärt auf Anfrage, dass er einen Zusammenhang zwischen Geflüchteten und der Rente sehe. „Es geht nicht, dass die eigenen Leute – egal welchen Alters – aus dem Mülleimer essen, und die die hier nicht hingehören, auf dem silbernen Tablett getragen werden“, schreibt Manz per email.

In zahlreichen Beiträgen der Facebook-Gruppe wird zudem gegen demokratisch gewählte Politiker Stimmung gemacht. Zum Beispiel spricht der Gründer der Grupper Heinz Madsen von der „selbsternannten politischen Elite in Berlin“ und schreibt: „Wenn unsere gewählten Volksvertreter uns nicht mehr vertreten, müssen wir lernen uns selbst zu vertreten.“ Ein Sprecher der AfD erklärte auf Anfrage: Einzelne Mitglieder unterstützten die Gruppen, nicht aber der Bundesverband. „Selbstverständlich stehen wir wohlwollend hinter dem Anliegen dieser Facebook-Gruppen“, schrieb der Sprecher.

Im Dezember gab es schon einmal eine Mahnwache

Marcus Faust aus Stuttgart betont, dass es ihm nicht um Politik gehe. „Ich nehme die Gruppen nicht so wahr, dass sie parteiisch sind.“ Wenn Rechtsextreme zu seiner Mahnwache in Stuttgart kämen, würde er das tolerieren, sagt Faust auf Nachfrage. „Solange es keine Hetze oder Hasssprüche gibt, darf jeder seine Meinung vertreten.“

Im Dezember hat Faust schon einmal eine Mahnwache gegen Altersarmut in Stuttgart organisiert. „Circa zwölf Personen, keine besonderen Vorkommnisse“, stand damals laut eines Sprechers im Bericht der Polizei. Für die Mahnwache am 24. Januar hat Faust nach Angaben der Stadt Stuttgart 50 erwartete Teilnehmer angemeldet.