Mit Fliege, Charme und Melone erinnern die Protagonisten der Theatergruppe an die Gründung im Jahr 1923. Foto: Werner Kuhnle

Mit einer Auftaktveranstaltung bereitet sich der 100 Jahre junge Turnerbund Rielingshausen auf seine Jubiläumsfeier vor. Der Verein war bereits der zweite seiner Art. Die Altvorderen wollten sich mit der Gründung im Jahr 1923 von den kommunistisch infiltrierten Turnern abgrenzen.

Wir schreiben den 23. Januar 1923. Im Gasthof Rössle haben sich engagierte Rielingshäuser Bürger getroffen und wollen einen Verein zur Förderung der Leibesübungen gründen, kurz auch Turnverein genannt. Die Mitglieder der Theatergruppe spielten jetzt diese Gründungsveranstaltung so gut und überzeugend nach, dass man sich in einer Zeitreise an einen kalten Tag im Januar 1923 zurückversetzt fühlte. Und erst mit dem langen Applaus endete im Saal der ehemaligen Traditionsgaststätte Rössle die Illusion der Zuschauer, man wäre tatsächlich mit dabei gewesen.

Doch wie kam es zur Gründung eines weiteren Turnvereins in Rielingshausen? Man wolle nichts mit diesen kommunistischen Turnern zu tun haben, erläuterte Reinhard Giebel als Sprecher für die Theatergruppe die damaligen Hintergründe. Also musste flugs ein alternativer Turnverein ins Leben gerufen werden. Beachtlich, denn damals habe Rielingshausen zwar nur 750 Einwohner, doch dafür fünf Wirtschaften gehabt, liest Giebel weiter aus der Vereinschronik vor. Ein Vertreter aus Steinheim stand den Gründungsmitgliedern mit Rat und Tat zur Seite, und so konnte Rielingshausen auf den Erfahrungen des etwas zuvor gegründeten Clubs in Steinheim aufbauen. Die Gründungsurkunde scheint stark von den Familienmitgliedern der Familien Holzwarth und Wildermuth dominiert worden zu sein.

Finanzielle Sorgen zum Auftakt

Anfänglich erschwerten noch finanzielle Sorgen den Kauf von wichtigen Turngeräten für den Start mit den Leibesübungen. Doch eine erste Spendensammlung erbrachte 4305 Mark. Kurze Zeit später klingelten dann 25000 weitere Spenden-Märker in der Sammelkasse.

Beim damaligen Mitgliedsbeitrag stellte manch einer im Raum Parallelen zu unserer heutigen Inflation her. Kostete eine Mitgliedschaft im TBR im Februar 1923 noch 50 Mark, war es im Oktober schon der schier unvorstellbare Betrag von einer Milliarde Inflationsmark. Abgehalten hat das jedoch keinen, und die Mitgliederzahl wuchs in den folgenden Jahren und Jahrzehnten bis heute beständig. Und noch eine Parallele gab es zum Ende der damaligen Gründungsveranstaltung wie zur heutigen Feierstunde. Am Ende wurde wieder das Volkslied „Turner auf zum Streite, tretet in die Bahn, Kraft und Mut geleite uns zum Sieg hinan“ gesungen, fast so etwas wie die inoffizielle Nationalhymne der Turner.

Der Rest ist Geschichte und lebendige Gegenwart. Bei 675 Vereinsmitgliedern und rund 2600 Einwohnern ist heute fast jeder vierte Rielingshäuser dem Verein als Mitglied verbunden. Damit ist der TBR der größte Verein in Rielingshausen, und der zweitgrößte im Stadtgebiet Marbachs, betont man stolz. Längst wird nicht nur geturnt, sondern Hand- und Volleyball gespielt, gesungen, Theater aufgeführt oder sich in Karatekunst geübt. Selbst „Bauch-Beine-Po“, Zumba oder „Männer-Fit“ steht auf dem Programm. Und wer noch nicht Mitglied ist, kann Kurse buchen – und endet dann meist am Ende doch im Verein, weil Mitmachen und Gemeinschaft in einer Gruppe eben einfach so viel schöner ist.

Die ältesten Mitglieder sitzen ganz vorn

Und überhaupt vermittelt einem der TBR den Eindruck, es wäre wichtiger die Glut der Tradition in die Zukunft zu tragen, als tote, erstarrte Asche zu konservieren. Einmütig und harmonisch saßen die ältesten Mitglieder ganz vorne im Saal und lauschten dem jungen Trio des Vereinsvorstands.

Der frühere Ortsvorsteher Eberhard Ruoff gab dann nach den Grußworten vom heutigen TBR-Vorstand Marc Beerwart und dem amtierenden Ortsvorsteher Jens Knittel noch etwas tiefer Einblick in die Vereinsseele und plauderte aus dem Nähkästchen. Die Zuhörer im Rössle-Saal goutieren das mit kräftigen Lachern, wie beispielsweise sein damaliger Trainer nahezu vergeblich versucht habe, ihn zu einem Talent am Reck zu machen.

Und so ein starker Verein in einem so kleinen Ort bestimmt dann ja oft auch über die späteren Sportlerkarieren junger Menschen. Ein schon etwas ergrauter Vater erzählte am Rande der Veranstaltung, er hätte seine Kinder gern zum Fußball herangeführt. Doch durch das Angebot des TBR vor Ort seien sie eben Turner geworden, schilderte er ohne Wehmut und auf die sportliche Entwicklung seiner Kinder zurückblickend.