In Weil der Stadt wäre eigentlich Endstation gewesen – doch der betrunkene Zugführer fuhr weiter. Foto: imago images

Ein S-Bahn-Zugführer ist sturzbetrunken mit vielen Fahrgästen durch die halbe Region Stuttgart gefahren. Auf ihn warten disziplinarische und strafrechtliche Schritte. Welche Sicherheitsmaßnahmen gibt es in den Zügen?

Es muss bizarr gewesen sein, was die Fahrgäste einer S-Bahn der Linie S 6 am späten Donnerstagabend erlebt haben. Und für manche auch beängstigend. Denn der Zugführer schien völlig von der Rolle. Auf der Fahrt von Stuttgart nach Weil der Stadt hielt der 43-Jährige an mehreren planmäßigen Stationen gar nicht, wie eine Sprecherin der Bundespolizei sagte. Teilweise soll er die Türen nicht oder erst mit Verspätung geöffnet haben. Die Durchsagen habe der Mann genutzt, um über seinen Job und Arbeitgeber zu lästern, so die Bundespolizei.

Als die S-Bahn an der Station Rutesheim ohne Halt vorbeirauschte, verständigte eine dort wartende Frau die Polizei. Sie hatte ihre Tochter an dem Bahnhof abholen wollen. Die Bahn-Leitstelle forderte den Mann daraufhin auf, den Zug abzustellen. Doch am geplanten Endbahnhof in Weil der Stadt, wo der Zugführer eigentlich Feierabend gehabt hätte, ging die Fahrt trotzdem weiter. Er fuhr – inzwischen offenbar allein, weil die letzten Fahrgäste in Weil der Stadt ausgestiegen waren – eine ungeplante Schleife bis zum Bahnhof in Korntal-Münchingen (Kreis Ludwigsburg). Dort stoppte ihn ein auf Rot gestelltes Signal. Er ließ sich am Gleis widerstandslos von Beamten der Bundespolizei festnehmen. Ein freiwilliger Alkoholtest gegen Mitternacht ergab 2,8 Promille.

Gegenüber den Einsatzkräften soll er angegeben haben, bereits bei Dienstantritt gegen 13.30 Uhr alkoholisiert gewesen zu sein. Bisher gibt es keine konkreten Anzeichen dafür, dass er unterwegs weiter getrunken hat. Es scheint also möglich, dass der 43-Jährige über Stunden sturzbetrunken Fahrgäste durch die halbe Region befördert hat. Aufgefallen ist das bis zum Anruf aus Rutesheim offenbar nicht. Wie viele Menschen in der letzten S-Bahn Richtung Weil der Stadt gewesen sind, können weder die Polizei noch die Deutsche Bahn genau sagen. Der genaue Ablauf des Tages wird noch geprüft.

Für den Zugführer wird der Vorfall schwere Folgen haben. Nicht nur, weil er nach der Festnahme vorsorglich in ein Krankenhaus gebracht wurde. Gegen ihn wird nun wegen des Verdachts auf gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr ermittelt. Dazu kommen disziplinarische Folgen. „Alkoholkonsum ist bei der Deutschen Bahn selbstverständlich überall im Unternehmen tabu, an allen Arbeitsplätzen gilt die Null-Promille-Regelung“, sagt eine Bahnsprecherin. Alkoholmissbrauch im Führerstand sei kein Kavaliersdelikt. „Wir ahnden Vorfälle umgehend und nach einem strengen Regelwerk. Dementsprechend wird nach einem solchen Vorfall der Triebfahrzeugführerschein des Mitarbeiters sofort eingezogen und dem Eisenbahnbundesamt übergeben.“ Der Mitarbeiter werde bis auf Weiteres nicht mehr im Fahrbetrieb eingesetzt.

Zwangsbremsung bei Fahruntauglichkeit

Doch wie konnte es zu dem Zwischenfall überhaupt kommen? Vielen stellt sich die Frage nach Sicherheitsmechanismen. Denn ein Zugführer kann nicht nur betrunken sein, sondern unterwegs auch gesundheitliche Probleme bekommen, die ein Steuern eines Zuges schwierig oder unmöglich machen. Für solche Fälle gibt es Vorkehrungen. „Während der Fahrt müssen Lokführer alle 30 Sekunden eine sogenannte Sicherheitsfahrschaltung bedienen. Wenn sie das nicht tun, bleibt der Zug stehen“, so die Bahnsprecherin. Auch wenn auf Rot gestellte Signale überfahren werden, gibt es eine Bremsung.

In den Stadtbahnen der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) ist das ganz ähnlich. „Wenn Fahrgäste mitbekommen, dass mit dem Fahrer etwas nicht stimmt, empfehlen wir, die 110 anzurufen. Die Polizei informiert dann auch die Leitstelle“, sagt Sprecherin Birgit Kiefer. Die könne Signale auf Rot stellen, was zu einer Zwangsbremsung führe. „Zudem gibt es das Totmannpedal“, so die Sprecherin. Wenn der Fahrer es nicht wie vorgeschrieben drücke, erfolge ebenfalls eine Bremsung. „Und im Extremfall gibt es für Fahrgäste die Möglichkeit, die Notbremse zu ziehen“, sagt Kiefer. Im Bus allerdings sei die Lage schwieriger.

Umfangreiche Tests für Lokführer

Bei der Deutschen Bahn müssen sich Lokführer alle drei Jahre, ab dem 55. Lebensjahr einmal pro Jahr einer Gesundheitsuntersuchung unterziehen. „Dazu gehört auch eine Untersuchung der Blutwerte auf Alkoholmissbrauch“, so die Bahnsprecherin. Hinzu kämen regelmäßige Fahrtrainings im Simulator, Fahrtbegleitungen und schriftliche Tests. Bei den SSB soll es nach einer Pause von 2023 an wieder zwei Mal im Jahr Alkoholkontrollen nach dem Zufallsprinzip geben. Doch in einem Fall wie dem am Donnerstag kann es auch sein, dass alle Sicherheitsvorkehrungen nicht greifen.