Orangen aus Portugal sind süß, aber die Transportkosten stoßen Matthias Kästner gerade sauer auf. Foto: Gottfried Stoppel/Gottfried Stoppel

Während Discounter dank langfristiger Verträge ihre Obst- und Gemüsepreise halten können, kommen Vertreiber von Bio unter Druck. Die Kosten steigen, die Verbraucher sparen. „Aldi und Lidl können die Paprika immer noch für 89 Cent anbieten“, sagt Märktechef Lehmann.

Was macht ein Mensch, dessen Lebenstraum bedroht ist? Er hofft. Auf bessere Zeiten und ein gutes Ende. So ähnlich ist gerade die Gefühlslage von Matthias Kästner, Inhaber des Obst- und Gemüsehandels Pois – Natürlich Portugal“. Sein Traum, die Erzeuger in Portugal fair zu entschädigen, ist seit der Energiekrise ins Wanken geraten. Hatte im Dezember eine Fuhre Obst aus Portugal noch 2000 Euro gekostet, wollen die Spediteure jetzt 4000 Euro. Tendenz steigend. „Die Container-Preise haben sich verdoppelt“, sagt Kästner, „gleichzeitig ist aber der Direktvertrieb um 20 Prozent eingebrochen.“ Kurzum: Das Wasser steht ihm zwar noch nicht Unterkante Oberlippe, aber allzu lange sollte die Situation nicht andauern. Sonst werde es bedrohlich.

Geiz-ist-geil-Mentalität

Und damit ist, wie gesagt, mehr in Gefahr als nur seine Obst- und Gemüseläden in der Rotebühlstraße 90 und in Winnenden (Karl-Krämer-Straße 23). Denn hinter Pois steckt eine Haltung. Eine Haltung zur Welt, der Natur, der Menschen und dem herrschenden Wirtschaftssystem. Schon bei seinen ersten Gesprächen mit Bauern und Kleinerzeugern in Portugal sei ihm klar geworden, dass diese in die herkömmliche Art von Marktwirtschaft und die Geiz-ist-geil-Mentalität der Verbraucher alles kaputt mache. Die Bauern hätten so kaum reelle Chancen, Ihre Waren zu fairen Preisen zu verkaufen. „Und so habe ich mir zum Ziel gesetzt, nicht nur qualitativ einwandfreie, ehrlich und nachhaltig produzierte Ware von Kleinerzeugern und Landwirten vorwiegend aus Portugal für die Endverbraucher zu liefern, sondern die Erzeuger für Ihre Arbeit und Ernte auch noch fair zu entlohnen“, sagt Kästner.

Märktechef kennt die Probleme

Aber, um im portugiesischen Kontext zu bleiben, dies ist keine Saudade, kein portugiesischer Ausdruck von Weltschmerz, sondern eine nüchterne Analyse. Es ist eine Lage, die alle Selbsterzeuger, Bio- und Hofläden sowie Marktbeschicker betrifft. „Den Bauern geht es auch nicht gut“, sagt Kästner. Thomas Lehmann, der Chef der städtischen Märkte-GmbH, weiß wovon der Idealist Kästner spricht. „Es ist tatsächlich so“, bestätigt Lehmann, „die Energiepreise und die Kosten für Düngemittel sind enorm gestiegen. Das wirkt sich auf die Preise aus.“ Das Problem sei nur: Während die großen Lebensmittler und Discounter langfristige Verträge mit den Erzeugern hätten und die Preise stabil halten könnten, müssten (Bio-)Bauern die gestiegenen Kosten an den Verbraucher sofort weitergeben. „Aldi und Lidl können die Paprika immer noch für 89 Cent anbieten, das können Bio-Läden nicht oder Direktvermarkter nicht“, sagt Lehmann.

Und diese Gemengelage mache sich laut Matthias Kästner jetzt bemerkbar: „Ich habe 20 Prozent weniger Umsatz im Direktvertrieb.“ Nun würden die Leute wieder eher beim Discounter einkaufen. Einerseits versteht Kästner jeden, der jetzt sparen muss, andererseits sagt er: „Nirgendwo wird so wenig Geld für gesunde Ernährung ausgegeben wie in Deutschland.“

Ende der Goldgräberstimmung

Diese Einschätzung stimmt jedoch nicht ganz. Die Bio-Branche blickt auf fette Jahre zurück. Das statistische Bundesamt meldet: Der Anteil der Bio-Lebensmittel am Lebensmittelumsatz in Deutschland hat sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt. Zuletzt verzeichnete die Branche in Deutschland einen Umsatz in Höhe von 15,87 Milliarden Euro. Das liegt jedoch auch daran, dass Supermärkte und Discounter auf Obst und Gemüse mit dem Bio-Markenzeichen setzen. Die Statistiker berichten zudem, dass im Corona-Jahr 2020 der Umsatz in dieser Nische um sage und schreibe 22 Prozent angestiegen sei.

Doch der Goldgräberstimmung ist längst Ernüchterung gewichen. Der Ukraine-Krieg bringt vieles ins Wanken. Auch die Agrarmärkte. Experten berichten: Es herrsche maximale Verunsicherung – bei allen. Bei den Bio-Bauern, den Verbrauchern und den Verkäufern. Dazu kommt: Die Inflationsrate bei Nahrungsmitteln kletterte zuletzt auf die Elf-Prozent-Marke. Kästner weiß: „Das belastet natürlich die teureren Bioprodukte noch mehr.“ Aber den Weg der Discounter kann und will er nicht mitgehen. Er wird keinen Preiskrieg mit den portugiesischen Erzeugern anzetteln, nur um billiger zu werden. Vorher hört er wahrscheinlich ganz auf. Bei ihm werde es nicht einmal saisonalen Preisunterschiede geben. Denn nur so hätten seine 135 Bauern und Erzeuger Planungssicherheit.

Matthias Kästner weiß, nicht jeder wie er und seine Mitarbeiter wollten unbedingt die Welt verbessern. Aber jeder könne bewusst konsumieren. Zum Bewusstsein gehöre aber auch Wissen. Daher erzählt der Obsthändler gerne die Geschichte der Ananas. Sie beginnt mit der Frage: „Wissen Sie, wie lange eine Ananas wächst, bis sie reif ist?“ Antwort: „Zwei Jahre.“ Zwei Jahre Pflege, Hege, Bewässerung. „Im Supermarkt kostet so eine Ananas 1,89 Euro inklusive Mehrwertsteuer und Transportkosten“, sagt er, „was soll nach Abzug von Profit für die Händler noch beim Bauern übrig bleiben?“ Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben.

Daher macht Matthias Kästner das, was viele in seiner Branche machen: Sie hoffen alle auf bessere Zeiten und die Rückkehr der bisher abgewanderten Verbraucher. „Es reicht halt nicht, alle vier Jahre sein Kreuzchen bei einer ökologischen Partei zu machen“, sagt er spitz, „aber man kann auch mit kleinen Mengen beim Einkauf ein wichtiges Signal setzen.“